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Jetzt ist der BER gerettet

FESTIVAL Gemeindevorstand sagt Jüdische Kulturtage ab mit der Begründung, Berlin aus der finanziellen Patsche helfen zu wollen. Senat bedauert die Entscheidung. Kritiker vermuten, dass ein Festivalleiter fehlt

So lebendig: eine Klezmerband 2011 in der Synagoge Rykestraße bei den Jüdischen Kulturtagen Foto: Gerhard Leber/imago

von Rolf Lautenschläger

Eigentlich sind sie seit langem fester Bestandteil eines jeden Berliner Kultursommers – ebenso wie das Festival „Tanz im August“ sowie die Rock- und Jazznächte in der Waldbühne. Eigentlich. Denn erstmals seit 28 Jahren wird es im August und September 2015 keine Jüdischen Kulturtage in Berlin geben. Das über die Stadt hinaus bekannte Festival, auf dem jedes Jahr von Künstlern, Literaten, in Workshops, Musik- und Filmveranstaltungen, Ausstellungen und Diskussionsreihen sowie bei Gottesdiensten in den Synagogen die traditionelle und moderne jüdische Kultur präsentiert wurde, ist abgesagt.

Der Paukenschlag kam überraschend und mit einem bemerkenswerten Nachhall: Der Vorstand der Jüdischen Gemeinde entschied am Montag, dass die Festwochen ausfallen. Als Begründung wurden nicht eigene oder künstlerische Defizite benannt, sondern die angespannte Finanzlage des Landes Berlin angegeben. „Aufgrund der schwierigen Finanzsituation des Landes Berlin möchte die Jüdische Gemeinde zu Berlin ihren Solidaritätsbeitrag leisten und den Berliner Haushalt ein Stück weit entlasten“, erklärte der Gemeindevorstand.

Durch die Probleme am Bau, die Verzögerungen bei der Fertigstellung des neuen Flughafens Berlin/Brandenburg BER sowie wegen der Kostenexplosionen bei der Staatsoper seien „große Löcher in den Berliner Haushalt gerissen worden“. Durch den Verzicht auf die Veranstaltung der Jüdischen Kulturtage in diesem Jahr wolle die Gemeinde „einen Beitrag in Höhe von einer Viertelmillion Euro zu den Sparbemühungen des Landes“ beitragen, so der Vorstand weiter.

Das Land Berlin unterstützt bisher die Kulturtage jährlich mit einem Betrag in Höhe von 255.000 Euro. 1994 wurde dies sogar per Staatsvertrag zwischen der Gemeinde und dem Land Berlin feierlich festgeschrieben.

Dass man im Senat nicht besonders „amused“ war angesichts des plötzlichen Rückzugs des für das städtische liberale Image wichtigen Festivals, war am Dienstag deutlich vernehmbar. „Die Jüdischen Kulturtage bilden eine Bereicherung für Berlin“, sagte Diedrich Wulfert, Büroleiter von Kulturstaatssekretär Tim Renner (SPD), der taz. „Wir sind darum überrascht und bedauern diese Entscheidung der Jüdischen Gemeinde sehr.“ Trotzdem sollen Gespräche über eine Wiederaufnahme geführt werden.

Das Land Berlin, so Wulfert, habe keine Zweifel an der Weiterfinanzierung des Festivals aufkommen lassen. Im Gegenteil. Die Kulturtage gehörten gewissermaßen als Institution zum festen Programm des deutsch-jüdischen Zusammenlebens und des kulturellen Austauschs in der Stadt.

Abschied vom Organisator

Es gibt Stimmen aus der Gemeinde, welche die Absage etwas anders interpretieren. „Es gibt augenblicklich einfach niemand, der das Festival professionell macht. Der Vorstand hat das verpennt“, ärgert sich ein Mitglied über den Gemeindevorstand Gideon Joffe.

Was richtig ist: Ab 2004 organisierte der Theaterintendant Martin Kranz das Festival, das er zu einem Publikumsrenner mit 35.000 Besuchern 2014 machte. Er brachte Ben Becker oder Avi Avital, Avantgarde und Rock auf die Bühnen und vernetzte die Kulturtage mit anderen kulturellen Institutionen. Kranz war erfolgreich, sein Vertrag wurde 2014 aber nicht verlängert. Kranz zog die Konsequenzen, jetzt organisiert er die Jüdischen Kulturtage in Erfurt.

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