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Flackerndes Feuer

Viertelfinale Vor der Partie gegen Deutschland beschwört man im impulsiven französischen Team die Bedeutung des gegenseitigen Vertrauens. Zu häufig vermisste man in den vergangenen Duellen die mentale Stärke

AUS MONTREAL Doris Akrap

Wir respektieren den Gegner. Das ist einer dieser leeren Sätze, die Fußballspieler und Trainer so sagen, wenn sie eigentlich sagen wollen, dass sie den Gegner überhaupt nicht ernst nehmen, oder wenn sie sagen wollen: Wir haben ganz schön die Hose voll – aber die machen wir fertig, bevor sie uns erledigen.

Diesen so wie all die anderen Standardsätze kriegt man im Vorfeld der vorweggenommenen Finalbegegnung Deutschland gegen Frankreich sehr oft zu hören: Es wird ein Spiel auf Augenhöhe. Details werden entscheidend sein. Welche Details das sind, wird nicht verraten. Zu groß ist offenbar die Angst, der jeweilige Gegner könnte davon profitieren.

Dabei ist das natürlich vor allem ein Psychotrick. Weder werden die Deutschen noch die Französinnen ein ganz anderes System spielen als bisher. Für derartige Wechsel sind beide Teams nicht bekannt. Außerdem kennen sich viele der Spielerinnen sehr gut, sind Klub- und Trainingskolleginnen.

Die große Anspannung können diese Phrasen also weniger verdecken als offenlegen. Einen Tick mehr Unsicherheit herrscht sicher bei den Französinnen. Zu oft und eindeutig haben sie gegen die Deutschen verloren. Zu sehr fehlt ihnen bisher ein internationaler Titel. Auffällig häufig sagen sie und ihr vornehm zurückhaltender Trainer Philippe Bergeroo das Wörtchen „mental“ – die Psychologie wird das Spiel entscheiden.

Der 2:0-Sieg gegen die Deutschen vergangenen Oktober sei sehr wichtig gewesen, erzählt die Mittelfelspielerin Amandine Henry. „Jetzt gehen wir in ein Spiel und wissen, dass wir gewinnen können. Wir sind eine Herausforderung für die Deutschen.“ Henry, die wie die meisten aus der Startelf der Blauen bei Olympique Lyon spielt, ist eine von drei Schlüsselfiguren, die der Trainer, als er das Amt von Bruno Bini vor zwei Jahren übernahm, aufgebaut hat. Henry aber ist seine gewichtigste Neuerung.

Zur WM 2011 in Deutschland nahm Bini sie nicht mit. Bei der Euro 2013 ließ er sie nur ein Spiel machen. In Kanada hat sie sich dagegen bereits jetzt ins ganz große Rampenlicht gearbeitet. Zweimal wurde sie zur Spielerin des Spiels gewählt. Nach ihrem sensationellen Tor gegen Mexiko, dass sie aus gut 25 Metern Entfernung mit einem unhaltbaren Prachtschuss schoss, wurde die Blondine im Heimatland allseits mit Thierry verglichen. Dem im französischen Fußball schönste Erinnerungen weckenden Namen Henry macht sie derzeit alle Ehre.

Die 25-Jährige ackert im Mittelfeld derart stark, dass sie als unersetzlich für das französische Spiel gilt. „Sie ist eine der Anführerinnen dieses Teams, superprofessionell und mit einer perfekten Mentalität. Sie hat eine außergewöhnliche Größe erreicht und will die verlorene Zeit wieder aufholen“, sagt Bergeroo. Sein Vorgänger hatte am Talent der blonden Blauäugigen nicht gezweifelt, sie aber für sein System als nicht geeignet empfunden und auf der Bank schmoren lassen. Unter Bergeroo blüht Henry auf und bildet mit ihrer Klubkollegin Camille Abily eine perfekt harmonierende Mittelfeldachse. Geht die eine nach vorne, bleibt die andere auf der 6.

Ein anderes Wort, das man von Bergeroo in den Tagen vor dem Viertelfinale oft hört, ist „Vertrauen“. Das sei das Wichtigste, was er seinen Spielerinnen geben könne. „Ich habe Vertrauen in sie, und sie müssen Vertrauen zu sich haben.“ Die Person, der er am meisten zutraut, das Vertrauen herzustellen, ist die Innenver­teidigerin Wendie Renard. „Wendie ist die Zukunft. Deswegen habe ich sie zur Kapitänin gemacht“, sagt Bergeroo über die 1,81 Meter große 24-Jährige. „Ich wollte an dieser Stelle jemanden, der weiß, wie man eine Botschaft an die anderen vermitteln kann. Trotz ihres jungen Alters, weiß sie, wie man das Feuer, das einige Spielerinnen haben, etwas beruhigen kann. Sie ist abgeklärt. Sie ist ruhig. Weiß aber, wie man sich Gehör verschafft, wenn das nötig ist.“

Mit den feurigen Spielerinnen meint Bergeroo seine Stürmerinnen. Die französische Presse spricht tatsächlich von einem „Feuertrio“, wenn sie Eugénie Le Sommer, Elodie Thomis und Marie-Laure Delie meint. Sieben der neun Tore bei der WM gehen auf das Konto von Sommer und Delie. Vor allem Letztere, die als Einzige des Trios nicht bei Lyon, sondern in Paris spielt, hat dafür gesorgt, dass das Vertrauen unter den Blauen wieder hergestellt ist. Nach der eher Sorgen bereitenden Vorrunde hatte das Trio im Achtelfinale gegen Südkorea beeindruckend elegant, kampfstark und mit präzisen Pässen dem nächsten Gegner gezeigt, dass man nicht zehn Chancen braucht, um Tore zu schießen. „In den ersten beiden Gruppenspielen war wir sehr schüchtern. Aber hier haben wir gezeigt, dass wir uns durchsetzen müssen und dass wir uns durchsetzen können.“

Die Französinnen werden sich von der deutschen Maschine nicht einfach überrollen lassen. Wenn die Achse Renard, Henry und das Feuertrio so gut funktioniert wie gegen Südkorea, werden die Deutschen am Ende vielleicht sagen müssen: Respekt – die haben uns fertiggemacht.“

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