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Dorf-Oase am Rande der Stadt

Von Pferden und Hühnern Das Museumsdorf in Hamburg-Volksdorf ist ein halb echtes, halb künstlich angelegtes Dorfidyll, das auf den Großstädter aber ungeheuer erholsam wirkt

So grün: der Harderhof im Museumsdorf Volksdorf   Foto: An-d, Wikimedia

von Petra Schellen

Es stimmt gar nicht, dass Hühner dumm sind. 43 Hühnergesichter können die sich merken, haben Forscher herausgefunden. Das müssen sie auch, denn im Hühner-Imperium herrscht eine strenge Hierarchie, um nicht zu sagen Hackordnung. Wer da den Falschen missachtet, kann schon mal arg in die Bredouille kommen.

Allerdings gelten solcherlei Regeln weniger für die wenig rühmliche Massentierhaltung, als für die übersichtliche, um nicht zu sagen: bäuerliche Hühnergesellschaft, und eine solche findet sich ganz unverhofft im Museumsdorf in Hamburg-Volksdorf, das einen weißen und einen braunen Hahn nebst Hühner-Harem hält.

Das Museumsdorf ist im einstigen Zentrum des nördlichen Hamburger Stadtteils gelegen, der eher durch Wohlstand, etwa gediegene Lehrer- und Heilpraktiker-Bevölkerung von sich reden macht, allenfalls noch durch eine rege Anti-Fluglärm-Initiative wegen des nahen Hamburger Flughafens. Das museale Dorf im Dorf steht weniger im Fokus, und selbst wenn man schon 15, 20 Jahre in Hamburg wohnt, kann es sein, dass man es noch nie betreten hat.

Dabei führen etliche Wegweiser von der S-Bahn-Station Volksdorf aus dorthin. An der fehlenden Beschilderung kann es also nicht liegen, dass man da so selten hinstrebt. Sondern eher daran, dass man mit so etwas Konservativ-Großelterlich-Verdächtigem nichts zu tun haben will als moderner Großstädter.

Dachte man jedenfalls. Bis der Tag kommt, an dem man anderweitig in Volksdorf zu tun und unversehens vorm Termin eine Stunde „Freigang“ hat. Es ist ein freundlich-sonniger Junimorgen, und aus lauter Langeweile – die einschlägigen Cafés kennt man schon – beschließt man, das Museumsdorf in Augenschein zu nehmen. Ein hölzernes Gatter mit Schild, das über den Ehrenamtlichen-Einsatz des seit 1962 existierenden betreibenden Vereins „Die Spieker, Gesellschaft für Heimatpflege und Heimatforschung in den hamburgischen Walddörfern“ informiert, der schon 2.000 Mitglieder zählt. Er unterhält auch eine Bibliothek und ein heimatkundliches Archiv, die einmal pro Woche geöffnet sind.

Finanziert wird das Museumsdorf seit 2007 durch die in jenem Jahr zu eben diesem Zweck eingerichtete Stiftung Museumsdorf Volksdorf, die die Initiative in Streitigkeiten mit der Stadt vorm Untergang rettete.

Die Stiftung gilt der Stadt nun als ebenbürtiger Vertragspartner und hat das Gelände für 60 Jahre in Erbpacht übernommen. Ihr Ziel – das Dorf auszubauen und zu erhalten – deckt sich weitgehend mit den Satzungszielen des Spieker-Vereins.

Insgesamt neun Gebäude umfasst das Gelände, schöne alte Bauernhäuser, Stallungen, eine Remise, und einige von ihnen stehen sogar am Originalplatz in Volksdorfs Dorfkern aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Drei von ihnen – das Spiekerhus, der Harderhof und das ehemalige Instenhaus – gehören dazu. Die alte Durchfahrtscheune allerdings – beziehungsweise Originalteile von ihr – wurde aus dem lauenburgischen Schnakenbek hergebracht und rekonstruiert. Anfang der 1990er-Jahre beschloss man zudem, das Gelände samt Gebäude nicht nur instand zu halten, sondern durch museumspädagogische Angebote – Führungen und Gewerketage zum Beispiel – attraktiver zu machen, um bäuerliches Leben Ende des 19. Jahrhunderts noch anschaulicher zu machen.

Es scheint funktioniert zu haben: Der Bestand ist inzwischen langfristig gesichert, es gibt einen Plattdeutsch- und einen heimatkundlichen Gesprächskreis, eine Schmiedegruppe, einen Spinnkreis.

Vielleicht auch einen Kaffeeklatsch-Kreis und eine Krämerladen-Gruppe, jedenfalls wirken Laden und Café links des Eingangs anheimelnd an diesem Junimorgen. Man ist versucht, sich hinzusetzen, aber gleich darauf stiebt genau oben drüber eine Wolke Bienen auf und in einen Baum. Es ist die Bienenkönigin samt Schutz- und Arbeitsbienen auf Brautschau, ein Stunde geben ihr die Imker, um sich im Baum etwas umzusehen, und die Schulklasse, die eigentlich kam, um das Seilemachen zu erlernen, will das Schauspiel bis zu Ende erleben. Denn wie kommen die Bienen später wieder ordentlich in ihre Bienenstöcke, wie schafft man es, dass man keine vergisst?

Tja, das ist Aufwand, wissen die Imker, haben schon die Haube auf und fahren mit einem Netz am Stock unter dem Ast her, auf dem die Bienen sitzen. Dazu sprühen sie Wasser mit dem Schlauch, das beruhigt die Tiere. Aber so leicht ist es nicht, die Bienen haben sich unpraktischerweise nicht so waagerecht auf den Ast gesetzt, wie es der Kescher vorsieht, man zieht weiter, der Ausgang des Experiments ist nicht bekannt.

Macht auch nichts, man fühlt sich dörflich aufgemuntert in dem künstlichen Bauerndorf. Einen Kutschenschuppen gibt es, eine Feuerstelle samt Altenteil; an Wochenenden kann man Honigmachen, Schafschur und Seilemachen besichtigen oder lernen.

Aber auch ohne solche Animation lassen sich hier trefflich Untiefen der menschlichen und tierischen Seele beobachten. An diesem Vormittag zum Beispiel anhand der drei Pferde, die ein munterer Ehrenamtler mit per Schubkarre herangeholtem Heu füttert. Das mittlere frisst, die andern, mindestens genauso stark, warten. „Ja, das mittlere ist Chef“, sagt der Betreuer. Und ob sich das irgendwann ändert, ob die Jugend irgendwann Revolution macht, „das ist eine Frage des Charakters.“

Das ist es auch bei dem wild herumrandalierenden Kaninchen, das sein Trinkgefäß vom Ställchen gerissen hat, sodass man als Besucher schon panisch wird und denkt, es werde gleich verdursten. „I wo“, lacht der Ehrenamtler. „Der randaliert hier immer, muss wohl zeigen, wer Herr im Haus ist.“ Zum Beispiel den beiden Weibchen in den andern Ställen, die fünf bis sieben Junge haben, die jeweils alle versuchen, an exakt derselben Stelle auf Mutters Rücken zu kuscheln. „Da hat sich ein Wildkaninichen eingeschlichen“, sagt der Ehrenamtler. Nachwuchs war jetzt eigentlich nicht geplant. Aber wenn die Kaninchen zweimal wöchentlich Freilauf haben – wenn auch eingezäunt – kann man ja nicht auf jedes Detail ein Auge haben.

Bei den Gänsen wiederum scheint es davon zu wenig zu geben: Sieben bis zehn erwachsene Tiere beaufsichtigen fünf Junge; das können doch nicht alles die Eltern sein? Oder sind Mutter- und Vaterschaftsfrage nicht abschließend geklärt, und deshalb haben sich vorsichtshalber mal alle zu Eltern erklärt? „Vorsicht, aggressive Gänse“ oder so ähnlich lautet das Schild am Gehege; giftig schauen und schnarren sie, sobald man unverwandt in ihre Richtung blickt. Und wussten Sie, dass Ziegen weitaus interessanter und einfallsreicher sind als zum Beispiel Schafe, sich letztere von den Zicklein aber durchaus animieren lassen? In Volksdorf gibt es nur Ziegen, große und kleine, aber ihr zugewandtes Interesse, die Wachheit, Kontakt aufzunehmen und Neues zu erproben, glaubt man ihnen auf der Stelle.

Es klingt kitschig, dieses Idyll, aber trotz seiner nur halb-historischen Exaktheit und Künstlichkeit ist es ein Ort des Trostes, des „Könnte“, ein Pars pro Toto und in Sachen Tierwohl durchaus mustergültig. Zwei Schweine liegen, Bauch an Bauch, unterm schattigem Baum, berühren sich mit den Hufen; wenn der eine zuckt, tut es auch der andere, wahrscheinlich träumen sie im Schlaf vom großen Marathon.

Doch so naturgetreu das gestaltet ist – ein bisschen Trash, ein paar angenehm unaufgeräumte Stellen mit allerlei Metallgeräten wie Egge und Pflug gibt es auch auf dem Gelände; außerdem hat man tatsächlich und die Symbiose zwischen Natur und Kultur geschafft: Die Gestaltung des „Niederdeutschen Bauerngartens“ im Stil klassischer Klostergärten geht nämlich auf Hamburgs ersten Kunsthallen-Direktor Alfred Lichtwark zurück.

Er hatte um 1913 einen formal gestalteten Bauerngarten im Hamburger Botanischen Garten eingerichtet, denn für ihn war ein Garten ein Gesamtkunstwerk – mit Rondeel in der Mitte und durch kleine Hecken sorgsam abgeteilten Kräuter- und Blumenbeeten drumrum. Eine kleine Blumen-, Tier- und Heimatkunde zum Anfassen, ruhig, gar nicht städtisch und so gar nicht virtuell. Soll man sagen: eine Oase? Ja. Soll man den Besuch empfehlen? Unbedingt. 30 Bahnminuten ab Hamburg Hauptbahnhof.

Museumsdorf Volksdorf. Im Alten Dorfe 46–48. Gelände geöffnet Di bis So 9–17 Uhr, Eintritt frei

Historischer Sommerjahrmarkt bzw. Johannishöge mit Händlern in Kostümen wie vor 100 Jahren, sowie Hummel, Zitronenjette, Plattdeutsch-Theaterstück, Tanz, Kutschfahrten, Buchdrucker-Vorführung: 28.6., 11 bis 17 Uhr. Ferienprogramm: 21.-23.7.von 9.30 bis 15 Uhr (Anmeldung bis 14.7.) sowie 18.–20.8. (Anmeldung bis 11.8.)

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