piwik no script img

Der Beton verwittert schon wieder

Verkehr Bei seiner Eröffnung vor neun Jahren sollte der 142 Millionen teure Bahnhof Südkreuz Berlins zweitgrößter Fernbahnhof werden. Heute warten dort noch immer alle auf den BER. Es herrscht Geisterstadtambiente und von Zukunft ist wenig zu sehen

Ursprünglich sollte hier das Leben brummen, jetzt liegt alles brach und verkommt Foto: Karsten Thielker

von Gunnar Hinck

Nun soll er ein „Zukunftsbahnhof“ werden. Die Deutsche Bahn will aus dem Berliner Fernbahnhof Südkreuz einen „Erprobungsraum für Innovationen“ machen, eine „attraktive Drehscheibe für nachhaltige Mobilität“, mehr noch, „einen intelligenten Wegweiser“ sowie ein „Energiezentrum in der Stadt von morgen“. Kenner der PR-Sprache wissen: Wenn die Metaphern- und Floskeldichte stark zunimmt, ist die Ratlosigkeit hinter den Kulissen in Wahrheit groß. Was bisher passierte: Fernbusse können nun am Südkreuz halten und Elektroautos ihre Batterien aufladen. Die Ferngleise haben einen elektronischen Wagenstandsanzeiger bekommen, außerdem wurden Solaranlagen und zwei Windräder installiert.

Neun Jahre nach der Eröffnung des Bahnhofs herrscht in Wirklichkeit partielles Geisterstadtambiente; von Zukunft ist wenig zu sehen. Dabei wurde das 142 Millionen teure Südkreuz in Tempelhof-Schöneberg als Berlins zweitgrößter Fernbahnhof geplant. Er sollte die zentrale Bahnstation für das südwestliche Berlin und das westliche Kreuzberg werden. Bei der Eröffnung hoffte die Bahn auf 200.000 Reisende täglich, heute rangiert der Bahnhof mit knapp 100.000 Nutzern hinter dem Regionalbahnhof Zoo.

Über die Nord-Süd-Trasse der Fernbahn wurde ein monumentales Betondach gesetzt, das zwei vierstöckige Parkhäuser für 2.500 Autos tragen sollte. Die Parkhäuser sind bis heute nicht gebaut. Nur die kleinere südliche Hälfte steht als Parkdeck für 200 Autos offen, wird aber nur verhalten frequentiert. Die riesige leere Fläche auf der Nordseite wird wenigstens ab und zu genutzt: von Jugendlichen, die mit ihren Longboards und BMX-Rädern ihre Runden drehen. Das Dach, provisorisch mit Bitumenbahnen abgedichtet, verwittert schon.

Die Deutsche Bahn, der Architekt des Bahnhofs und der Bezirk Tempelhof-Schöneberg sagen der taz einhellig: Wenn der BER einmal in Betrieb gehen wird, wird alles gut. Das Südkreuz soll das Tor zum Flughafen werden, Investoren in die Gegend locken – und die Parkdecks endlich füllen. Allerdings hat diese Hoffnung zwei Haken. Unklar ist, ob Reisende und Investoren das Südkreuz tatsächlich als „Tor“ annehmen werden und sich nicht gleich direkt Richtung Flughafen ausrichten. Mit der Entscheidung, beim Bau des Südkreuzes einen 15 Kilometer entfernten, noch gar nicht existierenden Großflughafen gleich mit einzukalkulieren, sind Bahn und Stadtplaner ein großes Risiko eingegangen.

Park and Ride

Das Parkdeck

Das Parkdeck und die wenigen Parkplätze am Bahnhof Südkreuz werden nicht von der Bahn selbst betrieben, sondern von der „DB BahnPark“, einem Gemeinschaftsunternehmen der DB-Tochter „DB Station & Service“ und dem privaten Parkhausbetreiber Contipark.

Hinter Contipark steht über zwischengeschaltete Tochterunternehmen das börsennotierte belgische Versicherungsunternehmen Ageas, das wiederum im Besitz von Finanzinvestoren wie der amerikanischen Gesellschaft Blackrock ist. Logischerweise geht es den Teilhabern um möglichst hohe Gewinne.

Die „DB BahnPark“, die auch die Tiefgarage im Hauptbahnhof betreibt, hat im Jahr 2013 einen Gewinn von rund vier Millionen Euro erzielt; laut Geschäftsbericht wurde dieser zu gleichen Teilen an die beiden Anteilseigner ausgeschüttet. Die „DB Station & Service“ ist ein typisches Produkt der Bahn der neunziger Jahre, als die Bahn in sämtliche Tochtergesellschaften aufgespalten wurde. Jede Tochter muss Gewinne an die Bahn liefern.

Obwohl der Bezirk mit dem Bahnhof nichts zu tun hat, verhilft er dem halb privat betriebenen Parkdeck indirekt zu Umsätzen, indem er die Straßen rings um den Bahnhof weiträumig mit Parkverboten ausgeschildert hat. Die meisten Autofahrer scheren sich wenig darum und parken vor allem am Wochenende die Straßen zu. Vermutlich sehen sie angesichts der Leere in der Umgebung wenig Sinn darin, ein Parkdeck anzusteuern, oder es ist ihnen zu teuer. Eine Stunde kostet 1,50, die Tageskarte 15 Euro. (gh)

Das andere Problem ist die sogenannte Dresdner Bahn, die eine schnelle Verbindung zum Flughafen herstellen würde, aber bis heute nicht gebaut ist. Bislang fährt vom Südkreuz nach Schönefeld nur die S-Bahn. Die Dresdner Bahn wird nach aktuellem Stand irgendwann im nächsten Jahrzehnt fertig sein.

Fraglich ist, warum ausgerechnet das Südkreuz als sogenannter Autopendler-Bahnhof konzipiert wurde. Das Südkreuz ist mit der Nord-Süd-S-Bahn, der Ringbahn und mehreren Buslinien ziemlich gut an den ÖPNV angeschlossen. Von der Deutschen Bahn ist zu hören, dass die nahe Autobahn ein wesentlicher Grund gewesen sei.

Außerdem sei „Park and ­Ride“ in den neunziger Jahren ein populäres Konzept gewesen. Die Bahn äußert sich über den Ausbau vorsichtig: „Falls notwendig, werden wir das Parkdeck selbstverständlich aktivieren“, sagt Bahn-Sprecher Gisbert Gahler. Die Parkhäuser seien „derzeit“ nicht geplant (zur Bahn-Tochter „BahnPark“ siehe Kasten).

Gunter Bürk, der Architekt, ist vom Konzept des Bahnhofs überzeugt. Ein Parkdeck habe man schon damals bauen müssen, später wäre es bei laufendem Betrieb unmöglich gewesen. Was das Umfeld angeht, ist er aber enttäuscht: „Es ist schade, dass sich das Gebiet nicht so entwickelt hat, wie wir es uns vorgestellt hatten“, sagt er der taz.

In der Tat verströmt die Westseite des Bahnhofs mit seinen Brachflächen, einem Zirkusplatz, einem BSR-Hof und Gewerbehöfen bis heute das Flair der Westberliner achtziger Jahre. Wohlmeinend könnte man denken, dass die Stadtplaner die sogenannte Schöneberger Linse – die sich bis zum S-Bahnhof Schöneberg erstreckt und wegen der Form so genannt wird – bewusst in Ruhe lassen, um ein Kontrastprogramm zu den durchgeplanten Entwicklungsgebieten und gentrifizierten Kiezen andernorts zu setzen.

Es sollte ein Quartier mit Büros und Hotels aus dem Bodengestampft werden

Das Gegenteil ist der Fall, seit zehn Jahren planen Senat und Bezirk hier Großes. Ein neues Bahnhofsviertel mit Hotels, Veranstaltungszentren und Büros sollte entstehen. Diverse Masterpläne, Leitbilder und Untersuchungen, die mithilfe von EU-Geld im Rahmen des Programms „Stadtumbau West“ finanziert wurden, haben viel Papier produziert, auf der „Linse“ aber nichts bewirkt. Nicht, dass hier nichts passiert, ist die Nachricht. Sondern, dass die Kluft zwischen Realität und Anspruch so groß ist.

Reste von Straßen

Unmittelbar neben dem Bahnhofsvorplatz, dem Hildegard-Knef-Platz, liegen immer noch die Reste der alten Naumannstraße, die für den Ausbau des Bahnhofs verlegt wurde. Das stillgelegte Straßenstück dient heute als wilde Müllkippe. Der Eigentümer, die senatseigene Berliner Immobilienmanagement BIM, ehemals Liegenschaftsfonds, will das Areal verkaufen, nachdem über Jahre nichts geschah. Ein Bieterverfahren ist gerade beendet. Derzeit, sagt BIM-Sprecherin Marlies Masche, laufen Vertragsverhandlungen mit dem Meistbietenden. Das Verfahren hatte sich hingezogen, weil der Senat mit den ursprünglichen Plänen unzufrieden war und weniger Einzelhandel auf der Fläche will als ursprünglich geplant war. Jetzt wird ein Hotel favorisiert.

Nebenan, am Tempelhofer Weg, liegt eine noch größere Brache. Dort soll nach neuesten Plänen des Bezirks eine städtische Wohnungsbaugesellschaft 150 Wohnungen bauen; außerdem sollen schwul-lesbische Seniorenwohnprojekte ein Stück abbekommen. Baustart ist frühestens 2016, sagt die zuständige grüne Bezirksstadträtin Sibyll Klotz. Hintergrund der Verzögerung ist, dass der Senat seine Grundstücke über den Liegenschaftsfonds jahrelang zum maximalen Preis verkauft hat – was der Bezirk an dieser Stelle nicht wollte – und davon erst vor ein paar Jahren abgerückt ist.

Fehlplanungen der 90er

Gleichzeitig haben Senat und Bezirk Jahre gebraucht, um die Fehlplanungen der neunziger Jahre wettzumachen. Damals wurde die Schöneberger Linse zu einem sogenannten Kerngebiet erklärt. Hier sollte ein innerstädtisches Quartier mit Büros, Einzelhandel und Hotels aus dem Boden gestampft werden.

Irgendwann merkte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, dass Berlin keine weitere „City“ aus der Retorte braucht, und gab bei drei Architekturbüros ein „Werkstattverfahren“ in Auftrag. Die Hauptaussage der 200.000 Euro teuren Studie aus dem Jahr 2010: Es sollen Büros und Hotels gebaut werden.

Inzwischen ist die Studie angesichts der Wohnungsknappheit ebenfalls schon wieder hinfällig. Dort, wo die Planer Geschäftsgebäude empfahlen, sollen jetzt neue Wohnungen gebaut werden. Eine ebenso kurze Haltbarkeitsdauer hatte der rätselhafte Marketingname „sxberlin“, der damals samt Logo für das Areal erfunden wurde und kurz danach wieder in einer Versenkung verschwand, die tiefer nicht sein könnte.

Sibyll Klotz sieht die Pläne der neunziger Jahre vor dem Hintergrund der damaligen Wachstums­euphorie nach dem Mauerfall. „Damals war die Einstufung realistisch“, so die Stadträtin.

Christoph Götz, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion der BVV, sagt: „Es wurde viel Zeit vertan. Die Ausweisung der Schöneberger Linse als Kerngebiet war ein Fehler, der früher hätte erkannt werden müssen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen