Illegale Ferienwohnungen in Berlin: Auf der Spur der Touristen

Zwei Mitarbeiterinnen vom Bezirksamt Mitte in Berlin suchen nach illegalen Unterkünften – und stoßen dabei auf überraschte Touristen.

Vier Klingeln mit der Aufschrift Ferienwohnung

Und: Welche davon ist auch ganz legal? Foto: dpa

Mittwochmorgen, 9 Uhr, Bezirksamt Mitte: In ihrem großen, karg eingerichteten Büro im Bezirksamt Mitte sitzen Diana Schmidt (42) und ihre Kollegin Julia Krüger (24) an ihren Schreibtischen. Eine große Karte von Moabit, Wedding und Mitte an der Wand zeigt ihr Ermittlungsrevier. Die beiden sind Mitarbeiterinnen der Behörde für Zweckentfremdung. Ihre Aufgabe ist es, mutmaßliche Ferienwohnungen zu überprüfen. „Entweder, wir recherchieren selbst im Internet, auf Vermittlungsplattformen zum Beispiel“, erklärt Diana Schmidt, „oder wir arbeiten mit Hinweisen aus der Bevölkerung, vom Ordnungsamt oder der Polizei.“

Während Schmidt spricht, zeigt sie auf die Karte hinter ihr. Bereits überprüfte Ferienwohnungen sind mit einem blauen Punkt vermerkt. Die Straßen ihres Bezirkes sind stellenweise kaum zu erkennen, so viele blaue Punkte gibt es dort. Wo mehr als eine Wohnung im verzeichneten Gebäude liegt, steht in dem Punkt eine Zahl. Mindestens eine 2, maximal eine 36, weiße Schrift auf blauem Punkt. „Die 36 zeigt ein ganzes Hochhaus, das als Appartementkomplex genutzt wird und wo niemand mehr regulär wohnt“, erklärt Schmidt.

Sie greift sich eine Liste mit potenziellen Ferienwohnungen, die sie und ihre Kollegin heute überprüfen wollen, und stopft sie in ihre Tasche. Eine Digitalkamera und ein schwarzes Notizbuch wandert ebenfalls hinein. „Wollen wir?“, fragt Julia Krüger. „Los gehts!“, antwortet Schmidt.

Seit über einem Jahr, nämlich dem 1. Mai 2014, gilt in Berlin das Zweckentfremdungsverbotsgesetz. Dieses Gesetz verbietet es, Wohnraum ohne Genehmigung für andere Zwecke zu nutzen. Das betrifft zum Beispiel auch Arztpraxen und Anwaltskanzleien oder eben Ferienwohnungen, die in regulären Mietwohnungen eingerichtet wurden.

Rund 12.000 illegale Ferienwohnungen werden in Berlin vermutet. 1.800 davon sind in Mitte angemeldet - dazu kommen noch alle nicht gemeldeten. Bis zum 31. 12. 2014 konnten die Betreiber beim zuständigen Bezirksamt eine befristete Genehmigung einholen. Noch bis Mai 2016 dürfen sie legal betrieben werden. Danach müssen die Wohnungen dem Mietmarkt wieder zur Verfügung gestellt werden. Gäste der Ferienwohnungen machen sich nicht strafbar.

Das Zweckentfremdungsverbotsgesetz unterscheidet rechtlich nicht zwischen privaten und professionellen Vermietern. Allerdings: Wer eine Wohnung im Jahr mehr als 120 Tage vermietet, gilt als kommerzieller Betreiber einer Ferienwohnung, verdient also sein/ihr Geld mit der Vermietung von Immobilien. 90 Prozent der Unterkünfte auf airbnb werden bis 120 Tage vermietet, somit sind nur 10 Prozent kommerzielle Anbieter.

Besonders betroffen sind Mitte, Kreuzberg-Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Neukölln ist ebenfalls beliebt, dort gibt es aber so wenig Hotels, dass die Touristen auf Ferienwohnungen ausweichen müssen. (gn)

Federführend in der Debatte über die Ferienwohnungen ist Stefan von Dassel (Grüne), Bezirksrat von Mitte. Sein Bezirk ist der am stärksten betroffene in Berlin. Hier gibt es 1.800 gemeldete Ferienwohnungen, die Dunkelziffer liegt wohl um ein Vielfaches höher - genau weiß das niemand. Vermutlich gibt es über 12.000 illegale Ferienwohnungen in ganz Berlin.

Um gegen die illegalen Ferienwohnungen vorzugehen, stellte von Dassel im vergangenen Jahr eine kleine Behörde zusammen. Seine Kollegen in den anderen Bezirken taten es ihm gleich. Doch die Behörden sind mit der Umsetzung des Verbotes völlig überfordert. Insgesamt gibt es in Berlin gerade mal 34 MitarbeiterInnen, die wie Diana Schmidt und Julia Krüger sowohl Selbstanzeigen prüfen als auch Hinweisen aus der Bevölkerung nachgehen oder selbst im Internet recherchieren. Bei den vermuteten 12.000 Ferienwohnungen in der ganzen Stadt eine fast unmögliche Aufgabe.

Um die Arbeit der KollegInnen effizienter zu gestalten und zu vereinfachen, entwickelte von Dassel mit einer externen Firma ein Programm, dass die hinterlegten Adressdaten von Seiten wie airbnb oder wimdu auslesen kann. „Natürlich nur von den Ferienwohnungen“, erklärt er. Doch bisweilen macht ihm und seinem der Team der Datenschutz einen Strich durch die Rechnung. Das Computerprogramm lässt auf sich warten. So bleiben seinen Mitarbeiterinnen Krüger und Schmidt nur die mühselige Suche im Internet und zeitraubende Ortsbegehungen. Auf gut Glück durchforsten sie die Portale und überprüfen, wer eine Wohnung regelmäßig und über längere Zeiträume vermietet. Dafür schauen sie in die Kalender, in welchen die VermieterInnen die freien Termine eintragen.

Wie zwei Detektive

An der grauen Hauswand verweist ein großes Schild auf Appartements im Hinterhaus. Auf der Klingel am Hinterhaus, wo sich die Appartements befinden, steht kein Name, nur die Wohnungsnummern und die Telefonnummer vom Hausmeister, der den Schlüssel bringt und abholt. „Jackpot!“, murmelt Julia Krüger. „Manchmal machen sie es einem aber auch zu leicht.“ Sie zückt eine kleine, silberne Digitalkamera. Ihre Kollegin Diana Schmidt macht sich Notizen. Ihr wachsamer Blick streift über die Häuserwände, die Klingelschilder. Mit ihrem Stift streicht sie sich die schwarzen Haare aus der Stirn.

Wie zwei Detektive schleichen die beiden Frauen über den Innenhof, als plötzlich ein Mann aus dem Nebenhaus kommt. Der ältere Mann mustert die beiden, während er sich eine Zigarette dreht. Schmidt und Krüger halten ihm ihre Ausweise des Bezirksamtes unter die Nase. Sein Blick hellt sich auf. Mit seiner Zigarette deutet er auf das Nebenhaus. Die Ferienwohnungen wären dort, seit dem er in dem Haus wohne - also mindestens 15 Jahre. Schade, findet er das, Verschwendung. „Das wären so schöne Studentenwohnungen“, sagt er. „Aber wenn die die dann neu vermieten, werden die richtig teuer. Das kann sich dann auch kein Student mehr leisten.“

Was der redselige Mann sagt, notiert sich Diana Schmidt in ein schwarzes Buch. Adresse, angetroffene Personen, alles, was sie und ihre Kollegin heute herausfinden, wird genau dokumentiert. Paragraf 5 des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes erlaubt es Krüger und Schmidt, all diese Daten zu sammeln und zu verarbeiten.

Krüger stapft zurück zu der verdächtigen Immobilie und lässt ihren Zeigefinger über das Klingelschild fahren. Zehn Ferienwohnungen sind in dem Haus. Nun muss sie eine Klingel auswählen, sie entscheidet auf gut Glück.

Ziel des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes soll sein, den knappen Wohnraum in Berlin verfügbar und bezahlbar zu machen. Allerdings sind von allen Wohnungen in Berlin lediglich 0,2 Prozent Ferienwohnungen, die auch wieder dem Wohnungsmarkt zurückgeführt werden könnten.

Vermieten im Urlaub

„Die meisten vermieten ihre Wohnung, wenn sie verreisen. Das hat nichts mit kommerzieller Vermietung zu tun“, erklärt Julian Trautwein, Pressesprecher von airbnb. Dennoch könnten auch sie unter das Gesetz fallen. Obwohl ihre Wohnung auch nicht zur Verfügung stehen würde, wenn sie nicht untervermieten. „Es sollte eine klare Unterscheidung zwischen privaten Anbietern und kommerziellen Vermietungen geben“, so Trautwein weiter.

Das Gesetz kam im letzten Jahr für viele plötzlich. Nicht wenige Vermieter, die jahrelang legal eine Ferienwohnung betrieben und dafür auch Steuern gezahlt haben, bangen nun um ihre Existenz. Vor allem ältere Menschen, die eine Wohnung vermietet haben, stünden jetzt vor unüberwindbaren finanziellen Problemen. Trautwein kritisiert: „Es ist für die Stadt einfacher zu sagen, die Betreiber machen einen Fehler, statt sich an die eigenen Nase zu fassen und zuzugeben, dass man zu wenig neue Wohnungen gebaut hat.“

Über Lärm beschwert

Auch nach der vierten Tür, an der Julia Krüger geklingelt hat, bleibt den Frauen der Zugang zum Appartementkomplex verwehrt. Allerdings steht auf einem Schild an der Tür eine Handynummer. „Die werden wir heute Nachmittag anrufen und nachfragen, was es mit den Appartements auf sich hat“, erklärt Krüger. Vorher aber müssen sie und ihre Kollegin noch einer weiteren Anzeige nachgehen.

Wenige Straßen weiter hatte sich ein Nachbar bei der Polizei über den Lärm und die fremden Menschen im Haus beschwert. Aber „nicht jeder Hinweis deutet tatsächlich auf eine Ferienwohnung. Manchmal geraten wir auch in Kleinkriege unter Nachbarn“, erklärt Schmidt, während Krüger sich nach der richtigen Hausnummer umsieht. Ein Mitarbeiter einer Recyclingfirma kommt aus dem Haus, schnell schlüpfen Krüger und Schmidt durch die Tür und blicken sich um. Der Naturfaserteppich auf dem Holzboden erinnert an ein Hotel, bei jedem Schritt knarren die Stufen. Anschleichen unmöglich. Etwas Verdächtiges können sie auf den ersten Blick nicht entdecken.

Schmidt schaut auf ihre Notizen. Hinterhaus, dritter Stock. Doch auch dort: nichts Auffälliges. Krüger späht durch den Türspion in die mutmaßliche Ferienwohnung. „Die sieht aber schön aus, die würde ich auch nehmen“, kichert sie. Doch es ist niemand zu Hause. Und auch der Nachbar, der die Wohnung gemeldet hat, ist nicht auffindbar, sein Name steht nicht am Klingelschild. Etwas ratlos stehen Krüger und Schmidt im Hausflur herum und beratschlagen sich, wie es jetzt weitergeht. Sie klingeln in den umliegenden Wohnungen, die Nachbarn aber wollen nichts mitbekommen haben. Etwas enttäuscht laufen die beiden Frauen die Treppe hinunter.

Als sie gerade das Haus verlassen wollen, kommt ihnen eine junge Frau mit einem großen Rollkoffer entgegen, offensichtlich nicht ortskundig. Endlich eine heiße Spur für die Ermittlerinnen. Jetzt muss es schnell gehen.

„Entschuldigung“, sagt Julia Krüger zu der jungen Frau, die gerade den passenden Schlüssel an ihrem Bund sucht. „Wohnen Sie hier oder machen Sie hier Ferien?“ Die junge Frau guckt irritiert zwischen Krüger und Schmidt hin und her. „Ich wohne hier“, antwortet sie schließlich in gebrochenem Deutsch. „Wie lange?“, will Krüger wissen. „Zehn Wochen“, antwortet die Frau. Krüger und Schmidt bedanken sich und gehen. „Wer länger als 8 Wochen an die gleiche Person untervermietet, macht sich nicht strafbar“, erklärt Diana Schmidt, als sie die Adresse von ihrer Liste streicht. „Da können wir nichts machen.“

Krüger und Schmidt sind für heute fertig. Zwei oder drei Ortsbegehungen am Vormittag, Papierkram am Nachmittag. „Wenn wir einen begründeten Verdacht haben, so wie heute morgen bei dem Appartementkomplex, dann geht die Arbeit erst richtig los“, sagt Krüger.

Viele Fragen müssen die Frauen beantworten: Ist die Ferienwohnung angemeldet? Oder ist sie illegal? Wer vermietet sie und in welchem Umfang?

Erst wenn diese Fragen geklärt sind, werden die Vermieter zum Gespräch geladen, dann wird entschieden, ob es eine Anzeige und ein Ermittlungsverfahren gibt. „Die meisten Vermieter sind einsichtig und stellen die Vermietung ein“, sagt Schmidt. „Ein Gerichtsverfahren lohnt sich nicht“, fügt sie hinzu.

Wer seine Wohnung angemeldet hat, darf sie bis April 2016 weiter vermieten, danach kann man eine Folgegenehmigung beantragen. Die Chancen für eine Bewilligung aber gehen gegen null. Es besteht kein öffentliches Interesse an Ferienwohnungen. Die Wohnungen müssen dann dem normalen Mietmarkt zur Verfügung stehen.

Anders sieht es bei bei Immobilien aus, die als Arztpraxen oder Kindertagesstätten genutzt werden. Auch sie sind eigentlich zweckentfremdet. Aber die brauchen wir im Kiez, erklärt Schmidt.

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