Hartz IV: Rot-Rot mag es auf die sanfte Tour
Wie hat Hartz IV Berlin verändert? Die befürchteten Wohnungsumzüge sind zwar weitgehend ausgeblieben, aber das kann sich ändern. Die Grünen kritisieren die Arbeit der Jobcenter, der rot-rote Senat müsse Ausbildungen mehr fördern
Berlin ist ein deutscher Sonderfall. Nur hier regiert eine linksorientierte SPD mit der Linken, und auch deshalb lässt die Koalition fünf Jahre nach Vorstellung der Vorschläge der Hartz-Kommission kaum ein gutes Haar an ihnen. Dabei urteilen selbst Sozialverbände, der Senat habe die Hartz IV genannte Arbeitsmarktreform sanft gehandhabt. Doch die Gefahr von "Zwangsumzügen" ist nicht gebannt.
Der Paritätische Wohlverbandsverband Berlin bescheinigt der Arbeits- und Sozialsenatorin Heide Knake-Werner (Linke), eine der größten Probleme des Sozialumbaus gemeistert zu haben: "Eine Ghettoisierung von Hartz-IV-Empfängern durch sogenannte Zwangsumzüge ist vermieden worden", lobt Parität-Sprecherin Elfi Witten. Offiziell werden Empfängern von Arbeitslosengeld II (ALG II) oder Sozialhilfe nur Mieten bis zu einer bestimmten Höhe erstattet. Bei Singlewohnungen sind dies 360 Euro warm, bei Paaren 444 Euro.
Doch die Gefahr vom Amt angeordneter Umzüge bestehe fort, sagt Knake-Werners Sprecherin Roswitha Steinbrenner: Sozialhilfeempfänger hätten bereits vor der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zum Januar 2004 auf die Wohnungsgröße achten müssen. "Wer jetzt unvermutet arbeitslos wird, den treffen die Umzugsregelungen härter", sagt die Sprecherin der Arbeits- und Sozialverwaltung. "Es wird mehr Umzüge geben."
Heute leben laut Senat 623.000 Menschen in Haushalten, die von Hartz-IV-Zahlungen abhängig sind. Davon beziehen 231.600 Männer und 215.000 Frauen Arbeitslosengeld II, 152.400 Menschen erhalten Sozialgeld. 147.000 der Sozialgeld-Empfänger sind jünger als 15 Jahre. Das ALG II liegt auf dem dem Niveau der Sozialhilfe. Nach Angleichungen liegt der Grundbetrag in West wie Ost bei 347 Euro.
Die Zahl der ALG-II-Empfänger in Berlin ist binnen eines Jahres von 600.000 auf 446.000 gesunken, so Parität-Sprecherin Witten. "Aber dieser Rückgang ist nur der bundesweit anziehenden Konjunktur zu verdanken." Zudem entstünden viele Jobs lediglich bei Leiharbeitsfirmen und seien daher zeitlich befristet.
Die Grünen sehen den Senat in der Pflicht, die Lage von Hartz-IV-Empfängern in der Hauptstadt zu verbessern. "Das ursprünglich vorgesehene Fördern findet nicht statt", kritisiert die Arbeitsmarktexpertin Ramona Pop. Das Land müsse mehr tun, um Menschen durch Ausbildungen und nachgeholte Schulabschlüsse beruflich zu qualifizieren. Ein weiterer Strukturfehler liege in der gemeinsamen Verantwortung von Bund und Kommunen für die sogenannten Jobcenter. "Sie sind bis heute nicht handlungsfähig", sagt Pop. Widersprüche gegen amtliche Bescheide harrten unnötig lange ihrer Bearbeitung.
Einig sind sich Berlins Linke und Grüne in einem Punkt: Beide Seiten unterstützen die Forderung auf Bundesebene, die Regelsätze anzuheben. Der Linke-Landesverband plädiert zudem wie die Bundes- und Landes-SPD für die Einführung einen gesetzlich garantierten Mindestlohns.
MATTHIAS LOHRE
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