Afghanistan: Überforderte Polizisten

Deutschland verliert die Führung beim Aufbau der afghanischen Polizei. An seine Stelle tritt die USA.

Deutscher unterrichtet Kabuler Polizisten Bild: dpa

Die 300 afghanischen Polizisten stehen seit zwei Stunden in Reih und Glied in der brütenden Sonne. Es ist elf Uhr morgens, und da Fastenzeit ist, haben die Männer seit vier Uhr nachts weder gegessen noch getrunken. Der Erste, der zusammenbricht, ist einer der Wachleute vor der Ehrentribüne. Er trägt neben dem Plastikschild und dem Gewehr einen schwarzen Helm, der die Sonne anzieht. Weitere Männer müssen in Laufe der Veranstaltung wegen Kreislaufproblemen weggeführt werden.

Die erste Einheit afghanischer Ordnungspolizisten erhielt in dieser Woche in Masar-i-Scharif ihre Abschlusszertifikate. Sie wurden gemeinsam von dem privaten US-Sicherheitsunternehmen Dyncorps, der Bundeswehr und der europäischen Polizeimission Eupol ausgebildet. Ein Mitarbeiter der Sicherheitsfirma hält eine kurze Rede: "Wenn ich in Ihre Gesichter blicke, sehe ich die Zukunft Afghanistans", ruft er den Polizisten zu. Seine dunkle Sonnenbrille setzt er für seine Ansprache nicht ab, auch den Kaugummi hat er noch im Mund.

Ein Deutscher spricht nicht, obwohl mit Brigadegeneral Dieter Warnecke der Kommandeur des Isaf-Kommandos Nord anwesend ist. Der deutsche Eupol-Leiter Friedrich Eichele ist erst gar nicht gekommen. Der Diplomat Andreas Kindl, der Leiter des zivilen Teils der deutschen Mission in Nordafghanistan, ist empört. Er wusste nicht, dass die Deutschen bei der Feier nur Gäste sind.

Die Veranstaltung zeigt alles, was es derzeit zur Polizeiausbildung zu berichten gibt: überforderte Polizisten, forsche Amerikaner und Deutsche, die dabei sind, sich aus der Rolle der "Leadnation" bei der Polizeiausbildung zu verabschieden. Der Zustand der afghanischen Polizei offenbare "die Unfähigkeit der internationalen Gemeinschaft, rechtzeitig die Bedeutung einer umfassenden Reform der der Strafverfolgung und der Justiz zu begreifen", heißt es in einem kürzlich erschienenen Bericht der International Crisis Group.

Im Juni übernahm die EU von den Deutschen die Polizeimission. Statt der vorgesehenen 195 Polizeiausbilder solle die EU 5.000 schicken, forderte jüngst die US-amerikanische Botschafterin bei der Nato, Victoria Nuland. General Warnecke hat dafür nur ein Lachen übrig. So viele Ausbilder gebe es in Europa gar nicht. "Bei der Polizeiausbildung ist Deutschland nicht so weit gekommen, wie man sich das vorgestellt hat", muss er aber gestehen. Oberstleutnant Sandro Wiesner, der Leiter der Militärpolizei im Isaf-Kommando Nord, kann dies mit Zahlen belegen: "Mit 5.000 Ausbildern wäre man ziemlich schnell. Mit 30 braucht man zwanzig Jahre." 42 Ausbilder hat Deutschland seit 2002 geschickt. Am Training der 300 Ordnungspolizisten in Masar-i-Scharif sollten eigentlich zehn deutsche Ausbilder teilnehmen. "Es kamen aber nur vier", sagt Wiesner. Die Gründe kennt er nicht. Die Feldjäger sind dafür eingesprungen. "Wir machen hier eine Arbeit, für die wir nicht zuständig sind."

Zu langsam, zu gründlich und zu theoretisch sei die Ausbildung an der von Deutschland gegründeten Polizeiakademie in Kabul, lautet die Kritik. "Kann sein, dass sich die Amerikaner reingehängt haben, weil Deutschland nicht genug Ausbilder hat", sagt General Warnecke. "Aber jetzt hilft uns Eupol, damit nicht alles zusammenbricht." Doch drei Monate nach ihrem Beginn steht die Eupol derart in der Kritik, dass bereits erste Maßnahmen ergriffen werden. Diese Woche gab Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble bekannt, dass der Eupol-Kommandant Eichele durch Jürgen Scholz ersetzt werde, der zuvor die europäische Polizeimission in Mazedonien leitete.

In der südafghanischen Provinz Uruzgan kann man die Alternative begutachten. Dort bildet das niederländische Provincial Reconstruction Team in Zusammenarbeit mit den USA, die der Sicherheitsfirma die meiste Arbeit übertragen haben, Hilfspolizisten aus. "Die Ausbildung ist ziemlich militärisch", meint Wiesner. Viel Fitnesstraining, viel Disziplin. Kenntnis der Gesetze? Ein schwieriges Thema. "Nur zwei bis drei Prozent der Hilfspolizisten, die wir ausbilden, können lesen und schreiben", sagt der niederländische Leiter der Polizeiausbildung, Major Jaap.

Und das ist nur ein Problem: "Niemand will diesen Job machen, weil man mit 70 Dollar Monatsgehalt keine Familie ernähren kann. Die Polizisten sind quasi zur Korruption gezwungen und haben daher in der Bevölkerung einen katastrophalen Ruf", sagt Jaap, der nur mit seinem Vornamen genannt werden darf.

Im Gegensatz zu den relativ qualifizierten Ordnungspolizisten, die eine mehrmonatige Ausbildung erhalten, werden die Hilfspolizisten nur zwei Wochen lang geschult. Weil sich kaum jemand zu dem Job bereitfindet, sind es zumeist lokale Milizen, die in den Polizeidienst genommen werden. Der lokale Mullah muss bezeugen, dass der Kandidat einen ordentlichen Lebenswandel und keine Kontakte zu den Taliban hat. "Das sind keine richtigen Polizisten", gibt Jaap zu, "aber es ist ein schneller Weg, erst einmal Leute an die Checkpoints zu bekommen." Zunächst brauche man Sicherheit, dann könne man schrittweise die Ausbildung der Hilfspolizisten verbessern, meint der Major.

Auf die Frage, ob man damit nicht die Falschen kriegt, sagt der Major: "Wir kriegen keine anderen." Viele der besser ausgebildeten Ordnungspolizisten seien rasch wieder aus Uruzgan geflüchtet, weil es ihnen zu gefährlich gewesen sei.

Bereits 40.000 Polizisten wurden unter Leitung der USA auf diese Weise ausgebildet, bis Ende nächsten Jahres sollen noch mal so viele hinzukommen. 2,8 Milliarden Dollar wollen die Amerikaner dafür ausgeben. Zum Vergleich: Deutschland hat in den vergangenen sechs Jahren knapp 5.000 Polizisten ausgebildet. Das Budget der Eupol bis März 2008 liegt bei 43,6 Millionen Euro.

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