Rockabily-Revival: Der käsige Onkel

Die CD "Lost and Found: Rockabilly and Jump Blues" präsentiert die Musik zu den breiten Gürteln, den Plastikwürfelketten und Kirschhaarspangen - die nie verschwunden waren.

Elvis-Darsteller im neuen Jahrtausend: Rockabily war nie tot. Bild: dpa

Wenn Blues, wie Muddy Waters es in "And the Blues got pregnant, and they named the baby Rock n Roll" einmal nonchalant ausdrückte, die Mutter des Rock n Roll ist, dann ist Rockabilly wohl sein Onkel. Sein etwas spießiger, kreideweißer Onkel aus den Südstaaten, der einfach nicht totzukriegen ist. Zwei CDs mit "Rockabilly and Jump Blues" hat der britische DJ Keb Darge gerade in einer neuen Compilation-Reihe herausgebracht, unter dem Titel "Lost and Found" präsentieren sie Lieblingsstücke aus Lieblingsmusikstilen, ausgewählt von Darge und dem US-amerikanischen DJ und Hiphop-Produzenten Cut Chemist. Stolz postulieren die beiden einen so uralten wie modernen Trend.

Tatsächlich sind Rockabilly oder zumindest seine Symbole plötzlich überall. Kleine H&M-Umkleidekabinenbesetzerinnen, die zu Hause Tokio-Hotel-Poster an der Wand haben, tragen Plastikwürfelketten und Kirschhaarspangen aus Ramsch-Schmuckläden. Frauen mit Designerfimmel kaufen breite Gürtel mit Polkadots, flache Ballerinas und 8-Ball-Billardkugel-Anhänger. Der typische Fifties-Haarreifen steckt auf so vielen Köpfen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Jon Spencer, der coolste New Yorker Anzughemdenträger, der sich vor einer Weile mit seiner Band Blues Explosion noch erfolgreich am Blues abgearbeitet hat, stellt seiner aktuellen Band Heavy Trash einen Kontrabass auf die Bühne und spielt den aus dem Rockabilly abgeleiteten Psychobilly wie die Schmalztollen- und Flattopträger der Achtzigerjahre - sein erstes Berliner Konzert vor ein paar Jahren fand noch fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, 2006 brummte die Volksbühne vor begeisterten Cats n Chicks jeden Alters, die Spencers Rockabilly- und Psychobillyinterpretationen feierten, als hätte es The Cramps, die große Trashband der Achtziger, nie gegeben.

Vielleicht ist die Zeit wirklich wieder reif für ein Revival. Obwohl die echten Rockabillyfans, die PuritanerInnen mit überdimensionalem american car und Pomade im glänzenden Haar dazu nur müde mit den Augenbrauen zucken werden. Für sie ist Rockabilly ohnehin schon lange ein Lifestyle, der sich bei nicht wenigen durch sämtliche Ebenen ihres Lebens zieht, vom passenden Tattoo bis zur Wohnungseinrichtung, kunstvolles Boppen zu Vinylplatten ist Ehrensache.

Tatsächlich ist die Musik im bekanntesten Aufnahmestudio der USA, dem Sun Studio in Memphis, erstmalig auf einer Single festgehalten worden. Der Rock n Roll hieß damals noch Rhythm n Blues und wurde von Schwarzen gespielt. Weiße hielten sich an Country, an Hillbilly, wenn sie aus den Appalachen im Osten der USA kamen. Nur mit Gitarre, Kontrabass und wippendem Fuß kieksten sich die ersten Rockabillyinterpreten Mitte der Fünfziger durch die kurzen Songs. Wie immer bei von späteren Generationen liebevoll vereinnahmten und eifrig verteidigten Stilen ranken sich auch um die genaue Entstehung des Rockabilly Legenden, etwa, dass das erste Rockabillystück von Elvis Presley aufgenommen worden sein soll.

"Thats alright, Mama" begründete 1954 Elvis Ruf als unanständigster und schwärzester aller weißen Sänger, und nebenbei brachte die Technik, die Kontrabassseiten wegen des fehlenden Schlagzeugbeats rhythmisch zu schlagen anstatt zu zupfen, auch noch den speziellen, bis heute zwingenden Slapbass-Effekt. Andere suchen die Anfänge eher im schwarzen und auch weißen Jazz und Swing der Vierziger. Ähnlichkeiten gibt es beim vom Bigbandsound dieser Ära beeinflussten Jump Blues, zu dem man den Lindy Hop tanzt und der von Big Joe Turner und etwas später von Weißen wie Louis Prima ebenfalls als Blumentopf der zähen Pflanzenfamilie Rock n Roll angesehen wird.

Stimmt natürlich alles. Genau wie bei heutigen Musikphänomenen lag einfach ein Sound in der Luft und wurde von vielen Menschen gleichzeitig mit Gitarre, Bass und später auch Schlagzeug und Bläsern beackert und als Rhythm n Blues, Rockabilly, Rock n Roll, Northern Band Style, Doo Wop, Swing, Jive und Jump Blues weitergekaut, verändert und kopiert. Nach der ersten Welle der Fünfziger kam das erste Revival in den Achtzigern, das man Neo-Rockabilly und später, in seiner mit Garagenpunk und Skelettkunst versetzten Form, Psychobilly nannte. Und das, obwohl viele der Original-Rockabillysongs der Fünfziger durchaus schon die Stärke, Dreckigkeit und Frechheit der oft martialisch gekleideten und die Symbole bisweilen grotesk ausgewälzten Psychobillyinterpreten und ihrer Songs hatten.

Ausgestorben sind Rockabilly und seine Spielarten nie. Stets gab es - genau wie bei Ska oder Gothic - eine florierende, sich immer wieder selbst verjüngende Szene, die sich regelmäßig bei "Meetings" in verschiedenen Ländern trifft, auf denen Neo-Rockabilly-Stars wie die britischen The Keytones (deren Platten auf Grover Records erscheinen) und die neuerdings auch wieder stolz und faltig altgewordenen Ur-Psychos von The Meteors spielen. Die exquisiten Musik- und Modestilistiken der Teilnehmer und Teilnehmerinnen dieser Treffen wie die an halbe Irokesenschnitte erinnernden Flattops, Plastikkorsagen oder komplette Original-50s-Outfits samt Schalen-BH und Perlonbeinen haben nichts mehr mit den Kirschhaarspangen- und WürfelkettenträgerInnen gemeinsam, die die Symbole allein aus Mainstream-Modegründen benutzen, und außer dem "Pulp Fiction"-Soundtrack oder von Popschnulzensänger Saschas zeitweiligem Alter Ego Dick Brave noch nie etwas von dieser Art Musik gehört haben.

Keb Darge und Cut Chemist haben sich also durch die schönsten, obskursten - denn viele Rockabillysongs sind vor allem für ihren unwiderstehlichen, oft an der Grenze zum Wahnsinn entlangschlitternden Trashappeal bekannt - Platten gehört und einen Sampler zusammengestellt, den man hervorragend konsumieren kann, allerdings eher, wenn einem diese Musikrichtung wirklich neu ist. Die vielen Nerds, Fans und RockabillynischensteherInnen, und die Menschen, die im Zuge der ersten Revivalwelle in den Achtzigern bereits Interesse für die große Trash-, Garagenrock und Psychobillyszene aufgebracht haben, brauchen nur ihre tollen, bereits vorhandenen Sampler oder ihre teuer ersteigerten Originalsingles auf Sun, Imperial und Columbia zu diesem Thema hervorzukramen.

Da gab es etwa "Rockabilly Psychosis and the Garage Disease", die auf Big Beat Records erschien und neben der "Blood on the Cats"-Reihe die wohl wichtigste Rockabilly- und Psychobilly-Compilation war. Sie überzeugte schon 1986 mit einer wunderbaren Melange kruder, alter und damals aktueller Trashschätzchen wie dem verzweifelt herausgestöhnten "Love me" von einem maskentragenden Fünfzigerjahre-Countrymusiker aus Alabama namens The Phantom, das heuer auch von Cut Chemist für die "Lost and Found"- Reihe ausgesucht wurde. Der absolut hin- und mitreißende Jump-Blues-Knaller "The Walkin Blues" vom Jesse Powell Orchestra, der 1991, 40 Jahre nach seinem Erscheinungsjahr, ebenfalls bereits von anderen Fans bei den versierten und umtriebigen Retroexperten von Rhino Records wiederentdeckt worden war, hat es genauso auf "Lost and Found" geschafft wie "Run, chicken run" von Link Wray, ein Instrumental, das beim frühen Rock n Roll ungefähr die durchgenudelte Standardposition hat, die James Browns "Sex Machine" beim Funk einnimmt.

Neu ist das Zusammenpuzzlen mehr oder minder obsku- rer Früh-Rock-n-Roll-Kleinode nicht, der Gutturalgesang-Sampler gibt es unfassbar viele. Erst letztes Jahr kam auf Proper Records die klasse ausgewählte, vierteilige CD-Box "From Boppin Hillbilly to Rockabilly" heraus, die tatsächlich exotische, bizarre Hillbilly- und Rockabilly-Songs zuhauf bietet und auf zu oft gehörte Hits von den Bekanntesten der Szene wie Chuck Berry, Johnny Burnette und Charlie Feathers - alle drei sind auch auf "Lost and Found" vertreten - verzichten konnte. Die Leistung, die der ehemalige Northern Soul (auch so ein Nischenstil voller eigener Zeichen und Vorschriften) DJ Darge und seine wechselnden Mithörer also erbracht haben, liegt nicht so sehr im Neu- bzw. Wiederentdecken, sondern mehr im Habhaftmachen - viele der in den Fünfzigern (und Achtzigern) erschienenen Vinylplatten sind bekanntlich nicht mehr zu kriegen und werden nur durch unermüdliches, glückliches Flohmarktkistengrabbeln oder ruinöses Mitsteigern in den einschlägigen Foren je auftauchen. Und das können die echten, die ersten und vor allem zweiten Fans, für die es eh ein Sakrileg wäre, das schöne Zeugs in lebloser Digitalform anzuhören, ja weiterhin problemlos machen, wenn sie sonst nichts zu tun haben.

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