Tagung der Theatertreffen-Jury: Hunger nach Personen

Die Jury des Theatertreffens hat getagt und fast nur vertraute Protagonisten benannt. Zurück kehrt ein Schauspielertheater, das Figuren über Konzepte stellt.

"Pornographie" am Schauspiel Hannover. Bild: dpa

Um das Theaterland Deutschland muss man sich keine Sorgen machen - zumindest was die Leuchttürme angeht. Dienstag in der Nacht gab die siebenköpfige Jury des Theatertreffens, das jedes Jahr im Mai zehn "bemerkenswerte deutschsprachige Inszenierungen" nach Berlin einlädt, ihre Auswahl bekannt. Und wieder sind je zweimal die Münchner Kammerspiele und das Deutsche Theater Berlin dabei, andere Stücke kommen aus Frankfurt, vom Deutschen Schauspielhaus und dem Thalia Theater aus Hamburg sowie aus Zürich und Hannover.

Unter all den notorischen Teilnehmern (Christoph Marthaler, Jürgen Gosch, Jan Bosse und so weiter) gibt es nur einen Newcomer zu verzeichnen, das dänisch-österreichische Regieteam von "Signa" (Signa Sorensen und Arthur Köstler), die mit einer 84-stündigen Nonstop-Performance "Die Erscheinungen der Martha Rubin" vom Schauspielhaus Köln eingeladen waren. Wie ein Traum (oder Alptraum) von der Zukunft des Theaters muten die Konzepte von Signa an. Sie "denken die Faszination von Computerspielen ins Fleischliche weiter und geben dem Theater eine unglaubliche Unmittelbarkeit, Wärme und auch ein starkes Verstörungspotenzial", begründet die Jury des Theatertreffens ihr Votum. Der Zuschauer wird zum Besucher einer fremden Stadt, muss Grenzkontrollen über sich ergehen lassen und Zeit mitbringen, um langsam in ihre Geheimnisse, in der Kinderlosigkeit und Strahlenkrankheit keine geringe Rolle spielen, kennenzulernen. Die Darsteller sind dabei großen Teils keine Profis und das Eintauchen in einen Ausnahmezustand, das Vergessen aller Distanz fordert vom Zuschauer ein ganz anderes Verhalten als im Parkett zu sitzen.

Diese ungewöhnliche, in ihrer Langsamkeit sich auch dem Spektakulären verweigernde Installation ist der kleine Antidot unter den Geladenen, der Schlenker Richtung Kunst, der das Theaterformat hinterfragt und aushebelt, nicht zuletzt auch ganz praktisch, weil größere Hallen für den Aufbau gebraucht werden. Aber auch in den Inszenierungen, die im Rahmen ihrer Bühnen bleiben, ist der Hang zur medialen Überschreitung weiter ausgeprägt. Zum Beispiel in Shakespeares "Der Sturm", den Stefan Pucher an den Münchner Kammerspielen schon wie das Making-of eines B-Movies beginnen lässt und mit Protagonisten wie aus einem Mafiafilm besetzt.

Nur ein Stück eines Gegenwartsautoren ist dabei, "Pornographie" von Simon Stephens, das Sebastian Nübling am Schauspiel Hannover inszeniert hat. Es spielt in den Tagen nach den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn 2005 und befasst sich mit den strukturellen Voraussetzungen des Terrorismus. Das ist, wenn auch in vollkommen anderer Gestalt, thematisch verwandt mit dem wütenden Subtext, der Stephan Kimmig für seine "Maria Stuart" am Thalia Theater Hamburg beflügelt hat. Sie wird als eine "analytische Studie über den Staatsterrorismus" (Pressemitteilung des Theatertreffens) gesehen. Weil offiziell über Folter als Waffe im Kampf gegen den Terror diskutiert werden darf, fand Kimmig es an der Zeit, Maria Stuart mit Kabelbindern gefesselt auf die Bühne zu setzen.

Darüber hinaus ist die Rückkehr des "Schauspielertheaters", das die Figuren über die Konzepte stellt, ein deutlicher Trend: Das gilt für Armin Petras "Gertrud" nach Einar Schleef vom Schauspiel Frankfurt (mit Regine Zimmermann), Thalheimers "Die Ratten" am DT Berlin (mit Constanze Becker) oder auch Thomas Ostermeiers "Die Ehe der Maria Braun" von den Münchner Kammerspielen (mit Brigitte Hobmaier). Die Wiederkehr der Wertschätzung der SchauspielerInnen steht dabei für einen veränderten Blick, der neben den Diskursen wieder nach Personen hungert, an die er sein Herz hängen kann. Und die bekommt er, aber sicher.

Natürlich kann man bemängeln, auch das wiederholt sich seit Jahren, dass die Jury der sieben Theaterkritiker (Eva Behrendt, Jürgen Berger, Karin Cerny, Stefan Keim, Hartmut Krug, Peter Müller und Christopher Schmidt) keine kleineren Städte, nur gut geförderte Häuser, keine Regisseurinnen und keine Experimente ausgewählt hat. Nachwuchsförderung sieht anders aus, gewiss; die aber wurde hier noch nie prämiert.

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