Abitur nach 12 Schuljahren: "Den Schülern einiges zugemutet"

Stunden für das achtjährige Gymnasium zu kürzen, lehnt Sachsen-Anhalts Bildungsstaatssekretär Winfried Willems ab. Er empfiehlt Schulen, Gestaltungsfreiheiten zu nutzen.

Klagen über das Schnellabitur? Sind Populismus, meint Willems. Bild: dpa

taz: Herr Willems, das achtjährige Gymnasium ist in Verruf geraten. Wie ist das möglich?

Winfried Willems: Weil man so tut, als merke man jetzt erst, dass 265 Wochenstunden im G-8-Gymnasium übergangsweise zu Belastungen führt. Das ist ein Stück weit Populismus.

Moment, Schüler müssen bis nachmittags büffeln - und danach Hausaufgaben machen. Soll man da nicht helfen?

Natürlich soll man das. Aber hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Sachsen-Anhalt zum Beispiel hat schneller vom neunjährigen auf das achtjährige Gymnasium umgestellt und dabei Schülern und Lehrern viel zugemutet. Damals haben jene Länder, die jetzt die Stundentafeln für das Abitur lichten wollen, eine Änderung der Wochenstundenzahl abgelehnt. Wir durften beim Kurzabitur nicht unter 265 Wochenstunden rutschen.

Der Aufschrei gegen das Pressabi geht von den Medien bis zu den Staatskanzleien.

Das ist schon faszinierend, was ich da erlebe. Herr Beckmann ruft plötzlich: Das Abi ist so nicht zu schaffen! Und Ministerpräsident Oettinger beteiligt sich mit Schnellschüssen zu Hausaufgaben und Lehrplänen. Darüber wundere ich mich nicht allein.

Warum wundern Sie sich?

Weil sich jetzt diejenigen zu Wort melden, die das achtjährige Gymnasium in ihren Ländern möglicherweise ohne ausreichende Beteiligung der Betroffenen durchgesetzt haben.

Wie haben Sie es geschafft, das Abi in 12 Jahren ohne großes Getöse umzusetzen?

Wir hatten den Vorteil, dass der politische Wille und der Wille der Eltern groß war, den Weg zum Abitur wieder zu verkürzen. Wir haben ab 2003 umgestellt und schon 2006/2007 den ersten Doppelabijahrgang. Zwei meiner Söhne haben zusammen Abitur gemacht - einer nach 12 und einer nach 13 Jahren.

Wie haben Sie Wochenstundenzahlen von 34 bis 37 vermieden, die nun so beklagt werden?

Das gab es hier auch. Wir haben den Schülern einiges zugemutet.

Warum können Hamburger oder süddeutsche Kinder das nicht schaffen?

Das können sie. Man hilft ihnen aber nicht durch Jammern über Leistungsdruck. Man sollte sich ansehen, wie wir die Reform pädagogisch begleitet haben.

Was war Ihr Trick?

Wir haben auch auf die Kinder Rücksicht genommen und die Schulleiter ganz früh an unseren Überlegungen zur Umstellung beteiligt und ihre Vorschläge aufgegriffen.

Was heißt das?

Es wurde den Schulen weitgehende Freiheit gegeben, wie sie die Zusatzstunden verwenden. Wir haben den Schülern, Lehrern und Eltern immer wieder gesagt: G 8 ist zunächst eine erhebliche Belastung, aber wir können ein ganzes Jahr sparen, wenn wir auf die Schüler achten. Sprecht euch kontinuierlich in den Klassenkonferenzen ab und reduziert die Hausaufgaben auf das unbedingt Notwendige. Koordiniert eure Klassenarbeiten, reduziert unnötige Tests. Nehmt euch im Interesse der Schüler die Freiheiten, die bestehen. Es ist nicht so, dass jeder Lehrplan sklavisch nachgebetet werden muss. Bezieht die Schüler mit ein!

Wollen Sie sagen, dass der Westen nicht reformfähig ist?

Der Westen wollte von den Erfahrungen im Osten nichts hören. Jetzt sollen Lehrpläne entrümpelt werden. Als wenn das von heute auf morgen ginge! Man sollte bei der Wahrheit bleiben.

Wie fest ist der Stundenrahmen der Kultuskonferenz?

Auf der Basis der Vereinbarungen gibt es sehr wohl Spielräume, die man nutzen muss.

Haben Sie ein Beispiel?

Man kann die Belastungen eines doppelten Abiturjahrganges vermindern. Wir haben uns gefragt: Machen wir ein Abitur nach 12 und eins nach 13 Jahren? Und uns zu einem gemeinsamen Abitur entschlossen. Das ermöglicht den Schulen Flexibilität in der Bildung der Kurse und vermindert die Prüfungsbelastungen für die Lehrer.

Was heißt das?

Nach der zehnten und der elften Klasse treffen sich die Schüler in jahrgangsübergreifenden oder jahrgangshomogenen Kursen. Das entscheidet die Schule. Stunden, die durch jahrgangsübergreifende Kurse frei werden, konnten für Schüler verwendet werden, die auf dem kurzen Weg zum Abi eine besondere Förderung brauchen. Damit bleibt aber die Kursabfolge von 4 Halbjahren erhalten.

Wieso kann die KMK eigentlich nicht einfach die Stundenbelastung zurücknehmen?

Ich lehne das ab. Es passt nicht zusammen, dass wir einerseits über den Unterrichts- und Qualitätsrückstand im internationalen Vergleich klagen - und andererseits mal so eben auf Zuruf die Stunden kürzen wollen. Wer die 265 Wochenstunden bis zum Abitur senken will, muss mir sagen: Welche Inhalte, welche Anforderungen sollen gesenkt werden? Welche Folgen hat das für die Qualität?

INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.