Duell Clinton-Obama in Texas und Ohio: Die Stunde der Aktivisten

Jetzt geht es für Clinton um alles oder nichts. Gegen Konkurrent Obama kämpft sie um die Gunst der texanischen Hispanics und der verarmenden Arbeiter von Ohio.

Hillary Clinton versucht im texanischen Fort Worth die Hispanics gegen das Obama-Fieber zu impfen Bild: dpa

CLEVELAND/SAN ANTONIO taz Sie kämpfen um Texas, sie kämpfen um Ohio, um Delegierte, um Werbezeit im Fernsehen und geschliffene Formulierungen. Hillary Clinton und Barack Obama geben sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen, wie es die US-Amerikaner selten zuvor erlebt haben. Nach hunderten Wahlkampfauftritten, meist drei am Tag, ist Clintons Stimme längst rau geworden, und Obama lässt immer öfter die linke Hand in der Hosentasche. Sie ist kämpferischer geworden - er lässiger. Nach elf Vorwahlsiegen in Serie und täglich wachsender Zustimmung ist der Senator aus Illinois längst nicht mehr der Anfänger und Außenseiter, als den ihn seine Konkurrentin gerne darstellt. An diesem Dienstag wird sich wohl entscheiden, ob sie ihren Traum, demokratische Präsidentschaftskandidatin zu werden, aufgeben muss.

In Texas, wo alles groß ist, fährt die Obama-Kampagne mit tausenden Freiwilligen den bestorganisierten Wahlkampf, den das Land je erlebt hat. Während Hillary Clintons Leuten schon mal Geld und Plakate fehlen und sie noch am Montag nicht alle notwendigen Wahlbezirkskapitäne zusammen hatten, warten in den meist schlichter gehaltenen Obama-Büros ständig neue Freiwillige auf ihre Aufgaben. Die wegweisende Software der Obama-Kampagne erlaubt es sogar Privatleuten, eigene Obama-Partys zu organisieren und weitere Aktive über MySpace.com anzuwerben.

"Hier gibt es nicht ein einziges Telefon, alles modernste Software", sagt Bill Dooling, der vor einem der Flachbildschirme sitzt, anerkennend. Der 65-jährige pensionierte Lehrer ist aus Boston angereist, um in San Antonio, in Südtexas, mit anzupacken und Wähler zu mobilisieren. Dooling ist Mitglied bei den "Veteranen für Obama", einer Gruppierung ehemaliger Soldaten, die den schwarzen Senator in Sachen Außen- und Verteidigungspolitik für fähig halten, um im Weißen Haus den Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte zu geben.

Clintons Mantra, sie habe mit ihren 60 Jahren mehr Erfahrung als der 46-jährige Barack Obama, wischt Vietnamveteran Dooling beiseite: "Führer führen, sie brauchen keine jahrzehntelange Vorbereitung!" Er glaubt an Obama. "Der Irakkrieg ist idiotisch, die Bush-Administration hat unser Land vergiftet, wir brauchen jemand, der uns aus diesem Sumpf wieder herausholt", meint Dooling. 2004 hat er für Bushs Herausforderer John Kerry gearbeitet, aber das war eine "müde Nummer" gegen "die Energie und die Ausstrahlung von Obama. Ich habe so etwas seit Bobby Kennedy nicht mehr erlebt."

Das Thema Krieg ist es nicht, das Annaluisa Alvarez zu den Vorwahlen gehen lässt. Sie hofft zwar, dass die Soldaten bald nach Hause zurückkommen - San Antonio stellt mit die höchste Zahl an Soldaten im ganzen Land. Doch sie will Hillary Clinton vor allem wegen einer Eigenschaft wählen: der, dass sie eine Frau ist und "strong".

Es sei gut, findet die Krankenschwester, dass Hillary Biss hat und ein bisschen Haare auf den Zähnen, "das braucht man im wahren Leben, alles andere ist doch Phantasialand". Alvarez, die wie viele spanischstämmige Frauen im südlichen Texas unbedingt Hillary im Weißen Haus sehen möchte, vertraut auf die Erfahrung ihrer Kandidatin. "Ich möchte eine echte, gestandene Person als Präsidentin, nicht so einen, der auf der Charismawelle herumreitet", sagt die Mutter von zwei erwachsenen Töchtern. Und eine, "die endlich für eine vernünftige Krankenversicherung sorgen wird". Dass Obama fast das gleiche Reformprogramm für die Gesundheitsversorgung anbietet wie Clinton, beeindruckt sie nicht. "Heißt er mit mittlerem Namen nicht Hussein? Nein, das gefällt mir nicht, das ist für mich ein rotes Tuch." Wenn er der Nominierte wird, würde Alvarez im November aber trotzdem für ihn stimmen, denn "wir Demokraten müssen endlich wieder das Sagen haben".

"Bill war ein guter Präsident, und sie wird eine gute Präsidentin sein, es ist Zeit für eine Frau im höchsten Amt", findet auch Diana Mendez. Sie ist mit ihrem Sohn Jesus unterwegs zum La-Fiesta-Supermarkt in der spanischsprachigen Einfamilienhauswelt von San Antonio, um für das Abendessen mit der ganzen Familie einzukaufen. Sie schätzt Hillary vor allem, weil sie klug ist und einen Plan hat, wie in diesem Land endlich eine allgemeine Krankenversicherung eingeführt werden kann. "Ich bin zwar versichert, aber so viele von uns sind es nicht, das geht so nicht weiter", findet die Mutter von vier Kindern.

An Obama mag Mendez nicht, dass er illegalen Immigranten den Führerschein als Legitimation zugestehen würde. "Ich will nicht, dass alle diese Leute einfach so über die Grenze marschieren. Ich will eine bessere Grenzkontrolle und strengere Strafen für die, die trotzdem einfach so ins Land kommen", wettert die spanischstämmige Texanerin. Für Obama wird sie deshalb auf keinen Fall stimmen, auch wenn er demokratischer Präsidentschaftskandidat wird.

Jesus, ihr 20-jähriger Sohn, will, solange seine Mutter dabei ist, nicht recht raus mit der Sprache, wen er wählen wird. "Das ist doch vertraulich", wehrt er ab. Erst als seine Mutter schon mit dem Einkaufswagen im Supermercado verschwindet, lässt er durchblicken, dass er sich eher zu Obama hingezogen fühlt. "Er hat auch ein ziemlich gutes Krankenversicherungsvorhaben, er ist ein guter Kandidat." Jesus, der mehrere Freunde hat, die im Irakkrieg dienen, hofft, dass beide demokratischen Kandidaten so schnell wie möglich die US-Truppen zurück nach Hause holen. Wenn John McCain nicht gesagt hätte, dass er die US-Armee notfalls hundert Jahre im Irak stationieren würde, meint Jesus, "würde ich am liebsten für den Republikaner stimmen".

"Er ist so inspirierend, er hat so gute Ideen", sagt die 16-jährige Erica Ochoa, die in Austin noch auf die High School geht. Zur Obama-Wahlkampfveranstaltung in ein modernes Konferenzzentrum ist sie mit ihrer Mutter Maria gekommen. Wählen darf sie noch nicht, "leider". Erica, die als Kleinkind mit ihren Eltern aus dem ländlichen Mexiko nach Texas kam, sagt, dass Obama ihr das Gefühl gebe, sie hätte in diesem Land eine Stimme. "Das ist für Migranten und Leute in meinem Alter das Wichtigste", sagt sie selbstbewusst, "wir wollen uns engagieren, aber auch gehört werden."

Sie fände es eigentlich schön, eine Präsidentin zu haben, "aber ich stimme mit Clinton in manchen politischen Punkten nicht überein", sagt sie und meint damit Clintons Zustimmung zum Krieg gegen den Irak. Obgleich Obama an diesem Morgen vor allem über Jobs, die Wirtschaft, das Gesundheitswesen und die Bildung gesprochen hat, ist Maria, Ericas Mutter, die in diesem Jahr zum ersten Mal in den USA wählen darf, begeistert vom Senator. "Jetzt müssen wir nur noch Vater überzeugen, dass es höchste Zeit für etwas Neues ist", meint sie. Beide lachen. "Er will doch tatsächlich immer noch Clinton wählen."

Während sich im Ölstaat Texas die Steuerkassen im Rhythmus des stetig steigenden Ölpreises füllen, leeren sich im nördlich gelegenen Ohio die Kassen im Takt der Abrissbagger. Und während Latinos täglich zu Hunderten über die Grenze nach Texas strömen, um mit den Billigjobs einer grenzüberschreitenden Wirtschaft harte Dollars zu verdienen, suchen im von der Globalisierung gebeutelten Ohio Tausende nach einer besseren Zukunft.

East-Cleveland ist solch ein Ort im Niedergang. Rostige Highwaybrücken überspannen das Industrieviertel, Stahlschlote ragen zwischen maroden Werkswohnungsvierteln empor. Zwischen Lenian Avenue und Triskett Road befindet sich die Magnesium Aluminium Corporation (MAC). Bis Dezember arbeiteten in der Fabrik, die Autoteile herstellt, 100 Angestellte. Inzwischen sind sie hier nur noch ein Dutzend. Und auch sie werden sich einen neuen Job suchen müssen, das Werk macht im Juni dicht.

Ron Shepherd ist noch da. Er kann nicht gefeuert werden, zumindest nicht von MAC. Der 36-Jährige ist seit drei Jahren Truckfahrer für eine Firma, die Waren zwischen Hersteller und Weiterverarbeiter transportiert. Mit MAC verliert Rons Arbeitgeber allerdings mal wieder einen wichtigen Kunden. "In den letzten acht Monaten haben wir hier sechs Vertragspartner verloren", klagt der Zweimetermann. Alle haben Teile ihrer Firma nach Mexiko verlagert, dort ist der Lohn niedriger. Fatal für Ron: "Früher konnte ich 55 Stunden in der Woche arbeiten, jetzt sind es noch 30." Sein Gehalt hat sich damit binnen einem Jahr auf monatlich 1.800 Dollar halbiert.

Ohio, einst industrielles Herzland der USA, gehört längst zum "Rostgürtel". In den letzten acht Jahren hat hier jeder Vierte seinen Industriejob verloren, insgesamt gingen 236.000 Arbeitsplätze kaputt. Das ist Platz 2 in der US-Statistik, nur Michigan geht es noch schlechter.

Für die meisten ist der Grund schnell ausgemacht: Nafta. Laut dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen dürfen seit 1994 Waren und Dienstleistungen zwischen den USA, Kanada und Mexiko zollfrei gehandelt werden. Ron Shepherd nennt Nafta "das Einfallstor zum Lohndumping". In der Tat, viele Firmen wandern Richtung Süden ab, um Kosten zu sparen. Und die Umweltstandards sind hinter der Grenze auch nicht so rigoros. Motoren, Spielzeug und Textilien werden nun importiert, das verarbeitende Gewerbe daheim blutet aus. Dramatisch ist die Entwicklung im Fahrzeugbau, dort ist das Handelsdefizit der USA mit Mexiko von 2 auf 30 Milliarden Dollar gewachsen.

Für die Kandidaten ist Nafta eine Möglichkeit, sich mit der Arbeiterklasse zu solidarisieren. Und weil die in Ohio die wichtigste Wählergruppe darstellt, haben sich beide in den letzten Wochen in ihrer Kritik am Freihandelsabkommen gegenseitig überboten. Zuletzt versprachen beide gar, den Vertrag zu kündigen, wenn er nicht neu verhandelt und um Sicherheits- und Umweltstandards erweitert würde.

Obama braucht deshalb keine fünf Minuten, um bei seinem Auftritt in der Highschool von Parma Heights, eine Autostunde südlich von Cleveland, zur Sache zu kommen: "Nafta ist schlecht für Amerika", ruft er. Das kommt hier an, die Menschen jubeln. "Wir müssen Firmen bestrafen, die Jobs ins Ausland verlagern." Roger Oman und Chris Asten, zwei Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft SEIU, applaudieren. Eigentlich arbeiten sie in einem Supermarkt in Michigan, aber sie haben ein paar Tage frei genommen, um im Nachbarstaat Wähler zu mobilisieren. Für beide eine Selbstverständlichkeit, sie glauben fest daran, dass Obama ihnen dafür etwas Wichtiges zurückgeben wird: Nämlich "dass wir Menschen wieder etwas zu sagen haben", meint Roger.

Auch Clinton gibt sich einen Tag später an der Cleveland State University als entschlossene Nafta-Kritikerin. Sie will die Arbeiter, die sie in den bisherigen Vorwahlen unterstützt haben, nicht auch noch an Obama verlieren. Doch richtig Stimmung will in der gigantischen Halle nicht aufkommen. Vielleicht weil vielen noch in Erinnerung ist, dass ausgerechnet ihr Ehemann das Abkommen einst initiiert und sie den Vertrag jahrelang gelobt hat. Das könnte sich am Dienstag rächen.

Dass es auch Wirtschaftszweige in den USA gibt, die sich durch Nafta eine goldene Nase verdienen, erwähnen Obama und Clinton lieber nicht. Dabei wissen sie, dass insbesondere Ohios Bauern gern frei handeln. Ihr Getreide ist auf dem Weltmarkt gefragt, und je weniger Zölle existieren, desto mehr können sie verkaufen.

Ron ist Obama-Fan, aber in Sachen Nafta glaubt er nicht so recht an den viel zitierten "Change", den Wechsel. Vorsichtshalber hat er im letzten Winter sein Auto schon mal zum Schneeschieber umfunktioniert. Samstags schaufelt er nun die Einfahrten frei. Das sichert ihm ein kleines Zusatzeinkommen. Doch auch diese Kunden schwinden. "Die Leute haben einfach kein Geld mehr für Dienstleistungen", klagt der Familienvater.

Obama-Fan Ron Sheperd: Der Truckfahrer hat sein Auto zum Schneepflug umfunktioniert - für ein kleines Zusatzeinkommen. Bild: veit medick

Fährt man ein paar Kilometer von seinem Arbeitsplatz in Richtung Westen, glaubt man kaum, dass er überhaupt noch Kunden findet. In Slavic Village hat die Immobilienkrise eingeschlagen wie eine Naturkatastrophe. In den letzten Jahren sind hier massenhaft Einfamilienhäuser verkauft worden, vom früheren Charme des osteuropäisch geprägten Viertels ist nicht mehr viel geblieben. Die Hauseingänge sind nach Zwangsvollstreckungen verbarrikadiert, die Balkone hängen auf Halbmast, der Müll sammelt sich auf den Straßen. An den amerikanischen Traum glauben hier nur noch wenige.

Stadtrat Tony Branchatelli steht inmitten einer dieser Kreditruinen in der 70. Straße. Hinter ihm hängt noch ein Kalender an der Wand, im Nebenraum liegen ein paar verdreckte Kuscheltiere. Die letzten Bewohner müssen das Haus hastig verlassen haben. "Für diese ganze Misere sind die Verbrecher-Kredite verantwortlich", sagt Tony. Damit meint er die Investmentfirmen, die Menschen mit windigen Krediten zum Hauskauf überredeten, ohne vorher deren Finanzsituation zu prüfen. Mit ein bisschen Farbe wurde der Verkaufspreis vieler Häuser vorher künstlich nach oben getrieben. Und weil die Banken die Kredite dann auch noch untereinander zu handeln begannen, stiegen die Zinsen derart, dass die Schuldner ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen konnten.

Ohio hat die sechsthöchste Zahl an Zwangsvollstreckungen der USA. In Slavic Village allein trifft es zwei Häuser pro Tag. Der Durchschnittswert der Immobilien des Viertels hat sich in den letzten Jahren halbiert. Gestiegen dagegen ist die Kriminalität, nachts werden verlassene Häuser von Plünderern bis aufs Letzte ausgeschlachtet. Besonders begehrt sind Kupfer und Aluminium, denn die lassen sich teuer verkaufen. Und das eine oder andere Hausskelett findet sich dann noch einmal bei Ebay wieder.

In Slavic Village hat die Immobilienkrise voll zugeschlagen. An den american dream glaubt hier keiner mehr. Bild: veit medick

Tony ist US-Amerikaner und deshalb von Natur aus nicht gerade ein Freund staatlicher Regulierungswut. Spekulativen Kreditgeschäften aber würde er "lieber heute als morgen gesetzlich einen Riegel vorschieben". Wer das macht, ist ihm egal. "Hauptsache er oder sie ist Demokrat."

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