Gerhard Seyfried wird 60: "Ich sage nicht, Bullen seien Schweine"
Comiczeichner und Romanschreiber Gerhard Seyfried wird 60. Ein Gespräch über das Altern, die Polizei und die seltenen Momente, in denen man stolz auf Deutschland sein kann.
taz: Herr Seyfried, warum haben Sie aufgehört, Comics zu zeichnen?
Gerhard Seyfried: Es ist nicht, dass es mir keinen Spaß mehr gemacht hätte, es kam einfach etwas Neues. Gelegentlich mache ich vielleicht ein Plakat. Aber eigentlich schreibe ich seit zehn Jahren nur noch. Ich finde es einen schönen Kontrast, da kann ich zwei Seiten von mir ausleben. Auf der einen Seite habe ich meine Comics und Cartoons und all die Blödeleien. Auf der anderen Seite schreibe ich militärhistorische Bücher über die Kaiserzeit und die Kolonialgeschichte.
Schließen Sie aus, dass Sie noch mal Comics machen werden?
Nein. Ich habe mit meiner Kollegin Ziska noch drei Comicbände, die wir liebend gerne machen würden. Nur ist das ein ganzes Jahr Arbeit, in der Art, dass man nichts mehr zwischendurch machen kann. Das können wir nicht vorfinanzieren. Wenn sich ein Verlag fände, dann würden wir es noch mal riskieren, aber das sehe ich irgendwie nicht.
Am 15. 3. 1948 in München geboren, studierte Seyfried Malerei und Grafik. Er ist Comiczeichner, Karikaturist und Schriftsteller, arbeitet auch als Grafiker und Journalist. 1976 zog er nach Berlin. Hier spielen die meisten seiner Comics - in der linken Szene. 1990 wurde er als bester deutscher Comiczeichner ausgezeichnet. In Kürze erscheint sein neuer Roman über den Boxeraufstand.
Welchen Einfluss hat Ziska auf Ihre Arbeit?
Sie ist mir 1990 von ihrem Vater vorgestellt worden. Er sagte, sie würde auch Comics zeichnen und ich solle mal schauen, ob sie talentiert sei. Sehr schnell ist dabei der Comicband "Future Subjunkies" entstanden. Zu dem Zeitpunkt hatte ich irgendwie genug von Bullen und Freaks und was auch immer das Thema meiner Comics war. Da kam dann Ziska mit ihren neuen Ideen gerade recht. Und hat mich angesteckt mit ihrer Begeisterung. Für meine Fans war das ein riesiger Schock. Comics die nicht lustig sind. Düstere Science Fiction.
Ziska ist 1973 geboren. Glauben Sie, dass es noch mal eine Verjüngungskur für Ihre Arbeit war?
Ja, bestimmt. Sie ist, finde ich, eine gute Ergänzung. Sie ist spontaner und begeisterter und von meiner Seite kommt da mehr Erfahrung und Realitätsdings dazu.
Wie ist das, ein paar Tage vor dem 60. Geburtstag - sind Sie freier als vorher?
Man ist selbstbewusster als mit zwanzig. In dem Maße, wie die äußere Erscheinung abnimmt, wächst das Selbstbewusstsein. Wenn man nicht unglücklich ist mit seinem Werdegang - und das bin ich nicht.
Ist Ihr Leben einem Plan gefolgt oder ist Ihnen alles eher zufällig zugestoßen?
Typisch für mich ist, dass ich denke, alles was mir zugestoßen ist, müsste Zufall sein. Ich bin kein Mensch, der irgendetwas geplant hat. Zufällig bin ich Karikaturist geworden, konnte halt gut zeichnen und bin gefördert worden. Ich war schon zwanzig Jahre lang ein bekannter Zeichner und habe immer noch die Illusion genährt, dass das nicht mein Beruf ist. Ich bin per Zufall nach Amerika gefahren und das hat bewirkt, dass ich von den Karikaturen auf Comics umgestiegen bin.
Hat sich die öffentliche Aufnahme von Comics verändert?
Es gibt mehrere Punkte, die dazu geführt haben, dass sich Comics nicht mehr so doll verkaufen in Deutschland. Das ist erst mal das, was alle erwischt, die Zunahme von Computern und Fernsehen. Dazu kommt, dass wir einen Comicband alleine oder zu zweit machen und ein gutes Jahr dafür brauchen. Da können wir mit den industriell gefertigten Comics nicht mehr mit, mit den Mangas, mit Asterix und Disney. Die werden in Millionenauflage gemacht und können ihre Preise runter drücken bis auf vier Euro. Da arbeiten 100 Leute dran oder mehr. Wer kauft denn noch einen Comic für 20 Euro?
Ihre Comics sind wirkliches Handwerk, stimmig von vorne bis hinten, bis ins kleinste Detail. Auch die Karikaturen.
Das ist das, was ich falsch gemacht habe. Ich hätte wahrscheinlich oberflächlichen Mist zeichnen sollen, das wäre wahrscheinlich ein Welt-Bestseller geworden.
Wie tragen Sie diese Handwerkskunst in ihre Romane?
Genau wie meine Comics sind die Romane sehr detailverliebt. Ich zeichne Hinterhöfe mit allem drum und dran, etwa zerbrochenen Tassen auf dem Boden. Das nun in Worten auszudrücken hat mich gereizt, als ich anfing zu schreiben. Das ist auch meine Lesart. Ich bin ein optischer Mensch, ich will alles vor Augen geführt bekommen.
Im Gegensatz zur Hausbesetzerszene können Sie von der Realität Ihrer historischen Sujets nicht viel wissen.
Ich habe sehr sorgfältig recherchiert. Mit Tagebüchern, mit Fotografien von damals, aus Archiven. Und das erzählt schon eine ganze Menge. Natürlich ist das hundert Jahre her, aber inzwischen habe ich ein ganz gutes Verständnis für die Kaiserzeit, die Denkart der Leute damals.
Sehen Sie da Parallelen? Meinen Sie, die Autoritätsstrukturen, auf die Sie in der Hausbesetzerszene prallten, waren Übrigbleibsel aus dem Kaiserreich?
Ja, sicher. Die sind in Spuren noch immer da. Das ist unsere Vergangenheit. Und unsere jetzige Realität baut natürlich darauf auf. Mit allem Drum und Dran, was inzwischen war. Die Kaiserzeit ist nun sehr fern, aber doch das, was am Ende zum Dritten Reich führte. Je mehr ich mich mit Geschichte befasse, desto mehr merke ich, wie die Realität darauf aufbaut. Eines unserer Probleme nach der Kaiserzeit war natürlich diese übertriebene Staats- und Autoritätshörigkeit. In Deutschland war die sehr ausgeprägt, und auch in den 70er und 80er Jahren noch sehr greifbar. Daher kommt es auch, dass ich mir die Polizei vorgeknöpft habe: Mit dem Ziel, die Institution lächerlich zu machen. Soweit sie eben unsere demokratischen Rechte beschneidet.
Und wie ist Ihr Verhältnis zur Polizei?
Ich beleidige sie nicht. Sage auch nicht, die Bullen seien Schweine. Ich weiß, dass es auch da solche und solche gibt. Aber es ging mir, vor allem in den 70ern, darum, diese gottverdammte deutsche Ehrfurcht vor Uniformen und staatlichen Symbolen anzugreifen.
Wie empfinden Sie, dass die jüngere Generation angeblich so unpolitisch geworden ist?
Ich höre, dass die Jugend heute unpolitischer ist, als wir es waren. Aber es waren auch andere Zeiten. Uns ist auch schwer auf die Zehen getreten worden damals. Wir sind noch davon geprägt, dass es nie wieder einen Krieg geben darf, und nie wieder etwas wie das Dritte Reich. Das ist eine ganz andere Erfahrung, als die derer, die heute jung sind.
Was würden Sie denn heute an der Polizei kritisieren?
In allererster Linie, dass sie immer politisch missbraucht wird.
Aber das ist ja eher eine Kritik an denen, die der Polizei vorstehen.
Die meine ich auch. Das Gesocks von Politikern, die sie für ihre Zwecke einsetzen. Die Polizei sollte neutral und zum Schutz der Bevölkerung da sein, und nicht eine Bedrohung für die Bevölkerung oder Teile der Bevölkerung darstellen. Das kritisiere ich. Und, dass sie von diesem Dr. Seltsam immer mehr Schnüffelmacht erhalten. Aber ich finde auch, dass Arbeit wie die der Polizei, der Feuerwehrleute und der Altenpfleger besser bezahlt werden muss. Die machen den unangenehmsten Job, haben das geringste Ansehen und werden bezahlt wie irgendwelche Tagelöhner. Das ist eine Schweinerei.
Arbeiten Sie in Ihrem Romanen ähnlich wie bei den Comics?
Ja und nein. Eine wichtige Quelle für die historischen Romane sind alte Fotografien. Bei Herero hatte ich das Glück, dass ich tatsächlich mehrere tausend Originalfotografien aus dem Aufstand zur Verfügung hatte. Die hat ein Dokumentarfilmer an der Uni Frankfurt entdeckt. Und das direkt zu sehen war der letzte Auslöser zu denken: Darüber kannst du schreiben. Aus Fotos kann man, wenn man sich die Mühe gibt, eine Unmenge an Sachen herauslesen.
Sie haben auch ein Buch über denBoxeraufstand geschrieben. Wie sind Sie da an Ihre Quellen gekommen?
Ich habe eine Menge darüber gelesen und bin vor allem in die Archive gegangen, unter anderem ins Politische Archiv des Auswärtigen Amtes. Dort habe ich den ganzen Telegrammverkehr zum Boxeraufstand zwischen China und Berlin gefunden.Und alle möglichen Dokumente wie Tagebücher, zeitungenhandschriftliche Notizen. Das Deutsche Historische Museum hat mich auch sehr unterstützt. Die Romane sind entlang dem Gerüst der historischen Ereignisse aufgebaut. Diese schreibe ich mir zuerst auf und verfeinere das dann immer weiter, je mehr Detailkenntnis ich dazu gewinne.
Wie werden denn Ihre Bücher vom Fachpublikum aufgenommen?
Wohlwollend mit gewissen Einschränkungen. Ich habe viel Lob erhalten und werde inzwischen auch in der Fachliteratur zitiert, aber ich bin auch schwer angegriffen worden. Allein die Beschäftigung mit der Kolonialgeschichte ist schon ein Eiertanz. Da gibt es Leute, die denken, dass muss ein Rechter sein, weshalb schreibt er sonst so etwas. Deutschland ist, wenn nicht das einzige Land, dann doch eines der wenigen, das mit seiner Geschichte sehr kritisch umgeht. Und diese überhaupt bearbeitet. Das ist einer der wenigen Punkte, an denen man stolz sein kann, Deutscher zu sein.
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