Krebserregende Pestizide bleiben erlaubt: Gut für Ratten, schlecht fürs Baby

Das EU-Parlament wollte krebserregende Substanzen in Pestiziden ganz verbieten. Der neue Vorschlag der EU-Kommission zur Pestizidverordnung, sieht aber das Gegenteil vor.

Erntedankfest sah auch mal anders aus. Bild: dpa

BRÜSSEL taz Soll unser Obst und Gemüse mehr Giftstoffe enthalten dürfen als unsere Hautcreme? Diese Frage beantwortete die EU-Kommission in ihrem Vorschlag zur neuen Pestizidverordnung mit einem klaren Nein. Sie forderte ein Verbot von Wirkstoffen in Pflanzenschutzmitteln, die im Verdacht stehen, Krebs zu erregen oder die Erbsubstanz zu schädigen. Das EU-Parlament verschärfte die Regeln in erster Lesung sogar noch.

Doch im April legte die slowenische Ratspräsidentschaft einen veränderten Verordnungsentwurf vor, den die Agrarminister am Montag beschließen wollen. Statt des klaren Verbots soll es nun für jedes Pflanzenschutzmittel eine Abschätzung der Gesundheitsrisiken geben. "Hochgefährliche Stoffe gehören auf eine Verbotsliste", fordert die grüne EU-Abgeordnete Hiltrud Breyer. Stattdessen wolle die Industrie nun eine endlose Risikoabschätzung, ob und wann etwas gefährlich ist. Das sei teuer, langwierig und wenig aussagekräftig. Was eine Ratte gut vertrage, könne für ein Kleinkind trotzdem verheerende Folgen haben.

Das bestätigt der dänische Toxikologe und Mediziner Philippe Grandjean. Seine Untersuchungen bei New Yorker Familien, in deren Wohnungen Kakerlaken-Gift gesprüht worden war, und bei Arbeiterinnen in ecuadorianischen Gewächshäusern zeigen, dass Nervengifte verheerende Folgen für die Entwicklung des Gehirns von Föten und Babys haben können. "Neurotoxische Substanzen sind bei Pestiziden das größte Problem, weil diese Produkte ja entwickelt werden, um das neurologische System der Insekten zu zerstören", erklärt der Wissenschaftler.

Die Pestizidhersteller bestreiten das nicht. "Es klingt schrecklich, wenn wir sagen, wir wollen Stoffe herstellen, die im Verdacht stehen, krebserregend oder erbgutschädigend zu sein", räumt Hannelore Schmid vom Industrieverband Agrar ein, der die Pestizidhersteller vertritt. Doch würden diese Wirkstoffe komplett verboten, dann könnten nach Angaben des Verbandes 90 Prozent der Insektizide und zwei Drittel aller anderen Pflanzenschutzmittel nicht mehr hergestellt werden. "Wenn man nur die Stoffeigenschaften betrachtet, dann müssten auch Alkohol und einige Vitamine verboten werden, weil sie in bestimmten Dosierungen Krebs erzeugen", erklärt Schmid. Deshalb dürfe eine Zulassung nicht allein davon abhängen, wie giftig ein Wirkstoff sei, sondern in welchen Dosierungen er ein Gesundheitsrisiko darstelle.

Vor allem die Bundesregierung hat sich im Rat dafür starkgemacht, von dem gefahrenbasierten auf den risikobasierten Ansatz umzuschwenken. Großbritannien und Tschechien würden am liebsten beim Giftspritzen noch großzügiger sein. Einige umweltbewusstere nordische Länder unterstützen dagegen die Haltung der EU-Kommission, die mehrere Substanzen komplett verbieten will. "Im Februar waren noch alle für ein Verbot, jetzt ist der Rat plötzlich einstimmig dafür, das Risiko von Fall zu Fall zu bewerten", wundert sich Hiltrud Breyer und vermutet, dass massiver Lobbydruck der Pestizidindustrie dahintersteckt. Aus dem Rat hingegen hört man, der Kommissionsvorschlag sei vielen Staaten zu weit gegangen und deshalb "blockiert" gewesen. Für den neuen Text gebe es nun aber eine absolute Mehrheit.

"Wenn wir für unsere Pestizide keine Zulassung mehr bekommen, werden sie eben in Nordafrika hergestellt", warnt außerdem Volker Koch-Achelpöhler vom Industrieverband Agrar. In bestimmten Bereichen der Landwirtschaft gebe es schon jetzt nicht genug Wirkstoffe, um Schädlinge zu bekämpfen, die gegen die Gifte resistent geworden seien. Mit Bioanbau könne man die globalen Nahrungsmittelprobleme nicht lösen.

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