Die Folgen der rot-grünen Sozialpolitik: Abgenagter Sozialstaat

Im Jahr 2000 hob der Sozialstaat noch 64 Prozent der Armen aus ihrer Situation, 2005 nur noch 58 Prozent. Laut einer Studie profitieren Gutverdiener deutlich mehr als kleine Einkommen.

Der Staat trägt dazu bei, dass die Zahl der Armen zunimmt. Bild: dpa

BERLIN taz Die Armut steigt in Deutschland. Aber Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) beeilte sich klarzustellen, dass dafür nicht die Politik verantwortlich ist. "Der Sozialstaat wirkt", verkündet er in seinem Armutsbericht. Doch diese optimistische Lesart deckt sich nicht mit den sozioökonomischen Daten. Im Gegenteil: Der Staat trägt dazu bei, dass die Zahl der Armen zunimmt. Ausgerechnet die rot-grüne Regierung war es, die den Sozialstaat ab 1998 ausgehöhlt hat.

Einschlägig ist eine Untersuchung von Ökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Jan Goebel und Peter Krause haben herausgefunden, dass die Sozial- und Steuerpolitik immer weniger die Ungleichheiten zwischen Geringverdienern und Einkommensstarken kompensieren kann.

Die Ökonomen stellten eine Vorher-nachher-Analyse an: Sie ermittelten zunächst, wie sich die Verteilung des sogenannten "Markteinkommens" der Haushalte entwickelt hat, das sich aus Bruttogehältern, Schenkungen, Selbstständigeneinkommen und Kapitalerträgen zusammensetzt. Es handelt sich also um das privat erwirtschaftete Einkommen, auf das der Staat noch keinen Einfluss genommen hat. Danach wird die gleiche Operation für das "Haushaltsnettoeinkommen" durchgeführt, in das auch alle Sozialtransfers wie Bafög oder Kindergeld einfließen - während die Steuern und Sozialabgaben abgezogen werden. Es zeigt sich: Der Staat greift immer weniger korrigierend ein.

In der Sprache der Ökonomen drückt sich dies so aus: Die Spreizung bei den Markteinnahmen hat zwischen 1998 und 2005 kontinuierlich zugenommen - insgesamt um knapp 13 Prozent. Bei den Nettoeinkommen, also nach den Staatstransfers, stieg die Ungleichheit hingegen sogar um rund 21 Prozent. Die Verteilungswirkungen des Sozialstaats lassen also deutlich nach.

Was das genau zu bedeuten hat, illustriert eine Studie des Soziologischen Forschungsinstituts (Sofi) an der Uni Göttingen, die demnächst im Internet veröffentlicht wird (www.soeb.de). Dort zeigt sich: Die staatliche Umverteilung verliert ihre Wirkung. Trotz der Steuern und Sozialtransfers bleiben immer mehr Arme arm - und immer mehr Reiche reich.

Im Detail: 2000 konnten noch knapp 64 Prozent der Armen die Armutsgrenze wieder überspringen, wenn man die staatlichen Transfers berücksichtigt. 2005 waren es nur noch 58,4 Prozent. 41,6 Prozent mussten in ihrer Armut verharren, obwohl sie Kindergeld, Renten oder Arbeitslosengeld II erhalten haben.

Etwas anders fallen die Ergebnisse aus, wenn man die Rentner herausrechnet. Dann stellt sich heraus, dass der Sozialstaat sowieso fast gar nichts dazu beiträgt, Armut zu verhindern. 2005 überwanden nur 23,6 Prozent der Armen die Armutsgrenze, weil sie Leistungen wie Kindergeld, Kinderzuschläge, Bafög, Wohngeld oder Arbeitslosenunterstützung erhielten. 76,4 Prozent blieben hingegen arm. Allerdings ist das Phänomen nicht neu, dass die Umverteilung sehr gering ist, wenn man die Rentner nicht berücksichtigt: Auch im Jahr 2000 konnten nur 24,5 Prozent der Armen die Armutsgrenze mit Hilfe des Staates überspringen. Als arm gilt in dieser Untersuchung, wer 901 Euro monatlich zur Verfügung hatte.

Gleichzeitig belegen die Sofi-Daten, wie sehr die Reichen von den rot-grünen Reformen profitiert haben. Auch nach Abzug der Steuern können jetzt viele ihre Einkommensposition im Top-Segment halten: Trotz ihrer Abgaben hatten 2005 rund 31 Prozent der Reichen weiterhin mehr als das Dreifache des Durchschnittseinkommens zur Verfügung. 2000 waren dies erst 17,9 Prozent.

In diesen Erhebungen ist allerdings nicht enthalten, wie sich die Hartz-IV-Reformen langfristig ausgewirkt haben, denn noch fehlen Basisdaten für die Jahre ab 2006. Genauso wenig ist bisher erfasst, welche Folgen der Aufschwung und die steigenden Tarifabschlüsse seitdem hatten.

ULRIKE HERRMANN

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