Dauerwanderer Horvath über sein Leben: "Ich bin kein Idiot mehr"

Stefan Horvath ist Weltfriedenswanderer - seit fast zwei Jahrzehnten. Einen bürgerlichen Alltag kann sich der Rastlose nicht mehr vorstellen. Weil er eine Mission hat.

Laufen für den Weltfrieden und die Pressemappe. Bild: dpa

taz: Herr Horvath, wie erlatscht man sich den Frieden?

Stefan Horvath: Sie müssen die Kilometer gehen. Am Anfang hat man mir überhaupt nicht geglaubt. Jetzt glaubt man mir, weil ich Hilfstransporte mache, Unmengen von Kindern unterstützt habe und nicht nur wandere. Am Anfang war es wirklich schwer, da auf der Landstraße zu Fuß zu gehen. Ich habe 42 Paar Schuhe durchgelaufen. Ich hab Schuhgröße 45, das sind richtige Latscher. Ich hab Angst, dass meine Füße nicht mehr gehen. Hier, das sehen Sie ja, das ist kaputt (zeigt auf eine Krampfader am linken Bein). Sie gehen ja zehn Stunden am Tag, Sie nehmen ja keine Straßenbahn.

Wie und woher sind Sie denn gerade gekommen?

Sein Weg: Stefan Horvath, 49, ist seit 1989 zu Fuß unterwegs. Seitdem ist er nach eigenen Angaben 47.000 Kilometer gelaufen, unter anderem in Ruanda und auf dem Balkan. Momentan ist er in Berlin. In seiner Heimat Österreich ist er seit acht Jahren nicht mehr gewesen. Sein Geburtstag ist ausgerechnet der 11. September.

Sein Beweggrund: Die Wende 1989 und die aufkeimenden Nationalismen in Europa haben den früheren Bauunternehmer dazu gebracht, sich für den Frieden einzusetzen. Seitdem hat er keine feste Wohnung mehr, sondern reist umher. Momentan demonstriert er mit einem T-Shirt mit der Aufschrift "Peace for Tibet, peace for China" .

Seine Taten: Horvath initiiert Hilfsprojekte, zum Beispiel Krankenhausbetten für Afrika oder Unterstützung für psychisch kranke Kinder in Osteuropa.

Zu Fuß aus Strausberg.

Da sitzt doch die Bundeswehr. Würden Sie sich von denen auch sponsern lassen?

Ich bin Kriegsdienstverweigerer. Immer für den Frieden! Für alle Menschen auf dieser Welt! So wie Sie das im Internet über mich lesen können, das wird sich nicht ändern.

Was heißt "immer für den Frieden" denn konkret? Hilfstransporte und Kinder unterstützen, das klingt nach NGO- oder Sozialarbeit.

Die Menschen sind zu mir gekommen und haben gesagt: Du kannst doch net zu Fuß gehen, was bringt das? Du musst doch was für den Frieden tun. Da knallts da unten, auf dem Balkan, mach was! Wenn ich jemandem helfe, das gibt mir so viel Kraft und so viel Mut. Ich kann nicht wie die Leute leben und diskutieren und sagen, ich spende. Es ist ja gut, dass die Leute spenden. Ich habe aber konkret krebskranke Kinder in Berlin unterstützt. Das Dokument kann ich Ihnen zeigen, die große Pressemappe habe ich jetzt leider nicht dabei. Da ist alles drin, gesammelte Artikel über mich. Schade, dass ich die nicht dabeihabe.

Frieden und der Weltfriedenswanderer brauchen also mediale Aufmerksamkeit.

Ja, keine Frage. Sie müssen sich zeigen. Du musst das Jahr ausgebucht sein. Es ist schon Stress genug, wenn du Interviews machst. Das sind ja Tausende, RTL, WDR. Wenn du einmal angefangen hast, da musst du ja was tun. Weil die Leute fragen: "Was haben Sie in diesem Jahr geleistet?"

Und Geld braucht man auch. Sie sind den Großteil des Tages damit beschäftigt, bei Unternehmen nach Unterstützung zu fragen.

Wenn ich zu einer Firma geh und sag: "Kannst du das unterstützen?", da gibts auch Leute, die 100 Euro hergeben. Für mich, das ist ja mein Lebensunterhalt - ich spende kein Geld, sondern nur Sachen. Ich möchte nicht vom Staat unterstützt werden. Ich lebe praktisch von der Wirtschaft. Und das seit über 18 Jahren! Das ist ein Hammer! Aber ohne Verwaltungskosten. Ohne sich zu bereichern. Sie müssen immer gucken, dass es den anderen auch gut geht. Das ist ein Friedenszeichen.

Wie stellen Sie sich Frieden vor?

Wenn die Menschen zusammenkommen, wenn die Leute glücklich sind, schönes Wetter ist. Die Sonne kostet niemanden was.

Dann könnte es jetzt während der Europameisterschaft ja so weit sein mit dem Frieden.

Ich wünsche es mir sehr. 2006 war ich bei der WM in Köln, "mit Toleranz gegen Rassismus". Wenn Sie es im Fernsehen gesehen haben, wo ich den Engländern die Hand gegeben habe? Das war super! Durch die WM habe ich viele Menschen, die meine Freunde sind, kennen gelernt. Und so möchte ichs jetzt auch haben.

Apropos Freunde. Wie erhalten Sie Freundschaften und soziale Bindungen, wenn Sie immer unterwegs sind?

Sehr schwer. Ich wechsel ja immer mein Wohngebiet, wie Udo Lindenberg. Man verliert die Freunde. Die Menschen, die man gern hat. Aber man trifft immer wieder neue. Aber ich bleibe bei dieser Sache. Das darf sich nicht ändern. Hier in Berlin gefallen mir die Leute in Kreuzberg wahnsinnig, die sind offen. Mehringdamm, Kottbusser Tor - nur am Abend ist es da sehr gefährlich.

Was heißt denn gefährlich, sind Sie schon mal angegriffen worden?

Nee! Da hau ich immer ab, bevor es brenzlig wird. Das kenn ich noch von Krisengebieten. Super, wenn man Menschenkenntnis hat. Musst du haben bei diesem Job. Ich kann auch nicht mehr campen, so wie früher, weil einfach die Menschen zu kalt geworden sind. Da wird Ihnen alles geklaut. Ich übernachte in der Jugendherberge oder im Hotel oder lass mich einladen. Aber ich schlafe nicht mehr auf der Straße, weil das zu gefährlich ist. Das Klima hat sich geändert in unserer Welt. Die Menschen sind kälter geworden, rücksichtslos. Tja, das ist so.

Das heißt, Sie haben in den letzten 18 Jahren für den Frieden gearbeitet, aber die Welt ist nicht besser geworden, sondern schlechter.

Ja. Ich halt mich da raus, denn ich hab in den über 18 Jahren was geleistet! Ich streck nicht den Kopf hin für das, was andere kaputtgemacht haben. Ob das jetzt die Politik ist, grantige Berliner oder unzufriedene Leute, die jammern. Ihr habt doch alles, zu essen und anzuziehen. Jetzt stellts euch vor, ich jammer den ganzen Tag, weil ich nichts mehr hab, weil ich für den Frieden unterwegs bin! Ich bin kalt, aber herzlich, wenn es um meine Mission geht. Dann kämpfe ich. Damit das nicht kaputtgeht, mein Job. Den liebe ich einfach.

Den "Job" haben Sie sich selbst gesucht, den gibts nur für Sie.

Es ist eine Berufung. Ich liebe den Job, weil ich viele Menschen kenne und mitten in die Gesellschaft reingehe. Deswegen bin ich auch kein Aussteiger! Als Aussteiger will man mit der Gesellschaft nichts zu tun haben. Das bin ich eben nicht. Ich gehöre da hin, wo mittendrin Armut und Reichtum ist. Man muss den Menschen das Gefühl geben, dass sie nicht alleine gelassen werden. Wenn es da oben die Politiker schon nicht tun. Wissen Sie, ich kann nicht mehr ins normale Leben zurück so wie die Leute. Das geht nicht mehr, das will ich auch nicht mehr.

Wo nehmen Sie Ihre Motivation her, wenn die Menschen, wie Sie sagen, immer kälter werden?

Da kann man dann nichts mehr tun. Im Endeffekt hab ich ja gewonnen, weil ich hab ja was geleistet und ich kann es beweisen. Ich bin kein Idiot mehr.

Was machen Sie denn, wenn Sie Ihre Füße eines Tages nicht mehr tragen?

Dann schreib ich ein Buch.

Was würden Sie darin erzählen?

Das weiß ich nicht, aber ich habe die Pressemappe. Das wird dann entworfen, so ungefähr wie Karlheinz-Böhm-Bücher. Eine Millionenauflage und für einen guten Zweck verkaufen. Es gibt ja schon Tief- und Höhepunkte. Manchmal ist man verzweifelt, man weint, dann ist man wieder glücklich. In dem Hotel, wo ich schlaf - das ist kein teures, kostet 30 Euro die Nacht - da kommst du am Abend und triffst da wie gestern Bauleute. Die trinken ihr Bier, ich trink einen Wein, man unterhält sich: Wie gehts euch? Alles klar? Peace! Und dann ist man gut aufgelegt und hat die Kraft, strahlend zu den Menschen zu sein. Peace! Und bis 22 Uhr sitzt du im Garten draußen, so wie gestern - wunderschön.

Es geht Ihnen ja offensichtlich auch um einen bestimmten Lebensstil.

Auf jeden Fall. Ich gehe zu den Menschen hin und bin einfach glücklich, wenn die lachen können und ich auch. Wenn ich dann nur trostlose Jammerei hör, dann hab ich keinen Bock.

Wollen Sie, dass andere Ihrem Beispiel folgen?

Ich möchte das erleben, glaube aber nicht dran. Die Menschheit ist leider Gottes … ich weiß nicht.

Weltfrieden wird nie möglich sein. Was ist dann Ihr Ziel?

Ich sehe ja die Realität. Das Ziel ist, den Menschen aufzumuntern. Irgendwann einmal, wenns zu spät ist, werden sie drauf kommen: Ah, der hat Recht.

Sie setzen sich ja seit fast zwei Jahrzehnten für die Weltgemeinschaft ein …

… steht das drin, in einem Artikel?

Nee, das sage ich jetzt.

Ach so.

Über nationale Grenzen hinweg, meine ich. Haben Sie überhaupt noch nationale Gefühle und drücken jetzt bei der Europameisterschaft der österreichischen Mannschaft die Daumen?

Ich drück jedem den Daumel, der gewinnt. Ich bin ein Landsmann von Österreich, ich würde mich für die freuen. Aber jeder soll gewinnen! Jedes Land! Ich brauch keinen Nationalstolz. Ich bin ein Weltbürger. Ich wünsch den Menschen alles Gute, dass sie wieder wie bei der WM 2006 sind. Dass sie wieder ehrlich, offen sind, die Deutschen. Da haben sie wirklich einmal gezeigt, dass es auch so gehen kann. Feiern, "komm, da hast Geld, trink ein Bier, find ich toll, dass du für Toleranz und gegen Rassismus unterwegs bist!" War super. Das waren drei Monate, da habe ich immer Interviews gehabt.

INTERVIEW: MIRIAM JANKE

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.