Schwedisches Überwachungsgesetz gescheitert: Big Brother verspätet

Das schwedische Überwachungsgesetz wurde in letzter Minute gestoppt. Nach einer drohenden Abstimmungsniederlage bessert die Regierung nun nach. "Nur Kosmetik", so Kritiker.

Staat liest mit: Frau erhält SMS Bild: dpa

STOCKHOLM taz "Big Brother kommt, aber vorher wird er noch ein wenig zurechtgeschminkt." So kommentierte Magdalena, eine von mehreren hundert DemonstrantInnen, die sich am Mittwochmorgen vor dem Parlament in Stockholm unter Parolen wie "1984!" und "Keine sowjetischen Zustände!" versammelt hatten, die Nachricht, dass die Regierung von Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt eine politische Niederlage erlitten hatte. Statt wie geplant um 9 Uhr über das umstrittene Abhör- und Überwachungsgesetz abzustimmen, verwies der Reichstag dieses an den zuständigen Verteidigungsausschuss zurück. Dieser bekam den Auftrag, das Gesetz durch Einbau bislang fehlender Kontrollmechanismen nachzubessern. Und trotz der komplizierten Materie macht die Regierung Druck: Das Gesetz soll noch am Mittwochabend oder spätestens am Donnerstag dem Parlament erneut zur Abstimmung vorgelegt werden.

Als inhaltliche Veränderungen kündigte Verteidigungsminister Sten Tolgfors an, dass nun die Datenschutzinspektion und ein spezielles parlamentarisches Gremium die Arbeit des militärischen Geheimdienstes FRA überwachen sollte. KritikerInnen, wie Lars Ohly, Vorsitzender der Linkspartei, sehen darin "nichts als rein kosmetische Änderungen": Nach wie vor solle ohne jegliche konkrete Verdachtsmomente der gesamte grenzüberschreitende Email-, SMS- und Telefonverkehr überwacht werden. Die nun geplanten Überwachungsinstitutionen hätten weder die technischen noch die praktischen Voraussetzungen eine wirkliche Kontrolle über die Geheimdienstaktivitäten auszuüben.

Doch öffnet diese Nachbesserung des Gesetzes den mindestens fünf kritischen Parlamentsabgeordneten der Koalition, an deren Gegenstimmen das Gesetz sonst gescheitert wäre, eine Möglichkeit doch noch mit "Ja" zu stimmen. Die AbweichlerInnen von der Fraktionsdiziplin waren seit Tagen massiv bearbeitet und ihnen offenbar auch politische Konsequenzen angedroht worden. Der politisch bislang weitgehend glücklos regierende Ministerpräsident Reinfeldt, dem Führungsschwäche vorgeworfen wird, dessen Regierung bereits verschiedene schlecht vorbereitete Gesetzesvorhaben zurückziehen musste und rekordschlechte Umfrageergebnisse verzeichnet, hatte ausgerechnet das Überwachungsgesetz zu einer Prestigeangelegenheit erklärt. Und soll nach Medienberichten für den Fall einer Abstimmungsniederlage mit seinem Rücktritt gedroht haben.

Die Regierung fürchtet angesichts sich immer stärker formierender Kritik offenbar ein Scheitern, sollte das Gesetz bis Herbst liegen bleiben. Und will es daher unbedingt vor der in dieser Woche beginnenden parlamentarischen Sommerpause verabschieden. Als "fragwürdig" bezeichnete Thomas Hammerberg, Kommissar des Europarats für Fragen der Menschenrechte, das schnelle Durchpeitschen eines so kontroversen Gesetzes. 56 Prozent der SchwedInnen lehnen es nach einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage ab. Ein Wert der steigen dürfte: Jetzt wurde bekannt, dass alle Telefon- und Internetkunden über ihre Rechnungen für die Kosten der eigenen Überwachung auch noch selbst zahlen sollen.

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