die wahrheit: Der homosexuelle Mann

... der erste homosexuelle Mann, den vergisst man nicht. Ebenso wenig wie den ersten Flug. Oder die erste Jeans. Sein Blick, der Gang oder das was er Trug - das prägt das Bild...

… der erste homosexuelle Mann, den vergisst man nicht. Ebenso wenig wie den ersten Flug. Oder die erste Jeans. Sein Blick, der Gang oder das, was er trug - das prägt das Bild des Homosexuellen für ein ganzes Leben. Für jeden, egal ob er sich später für die homo- oder heterosexuelle Laufbahn entscheidet.

Kürzlich kam ich im ICE-Sprinter zwischen Frankfurt und Berlin mit einem jungen Mann ins Gespräch und wir landeten - was für ein Zufall! - ganz schnell beim Thema Homosexualität. Der junge Mann gestand mir, dass er Schwule nicht mag. Er sei gerade mal 15 gewesen, da habe ihm ein Mann - "Der war mindestens doppelt so alt wie ich damals!" - eine Rose geschenkt: "Und er lächelte dabei so maliziös!" Maliziös? "Seitdem bin ich überzeugt, dass alle homosexuellen Männer verschlagene Kerle sind, die einen über ihre wahren Absichten im Unklaren lassen."

"Und? Lächele ich etwa auch maliziös?", fragte ich kokett und lächelte verbindlich. "Was? Sie …? Sie sind … auch so?" Hastig zog der junge Mann seinen Arm von der Lehne zurück, die unsere Sitzplätze voneinander trennte. "Das … das glaube ich nicht." Seine großen Augen starrten mich an, bis er sich abrupt abwandte und aufstand. "Entschuldigen Sie mich!" Er verschwand und kam erst wieder zurück an seinen Platz, als wir Wolfsburg passierten. "Bitte", sprach er mich leise an, "Sie dürfen mir mein Benehmen nicht übel nehmen, aber … aber Sie haben mich durcheinander gebracht. Ich war so überzeugt von meiner Vorstellung vom schwulen Mann, die ich nie revidieren musste. Daran habe ich mich immer gehalten und jetzt soll ich auf einmal alles über den Haufen werfen."

"Ich weiß genau, was Sie meinen", sagte ich und erzählte ihm von meinem ersten homosexuellen Mann: "Um genau zu sein, es waren gleich zwei. Der erste war ein Gemüsehändler, an dem ich jeden Morgen auf meinem Schulweg vorbeikam. Der schaute mich an, wie sonst keiner einem 13-jährigen Schuljungen nachschaute. Dieser Mann konnte nur schwul sein, davon war ich überzeugt, ohne zu wissen, was das heißt." - "Und der zweite?" Ich musste lachen. "Der zweite, das war Vico Torriani, ein beliebter Schlagersänger seiner Zeit. Ob er wirklich schwul war? Darüber habe ich nie etwas gehört, nicht einmal als Gerücht. Aber ich hatte ein Bild von ihm gesehen, darauf hält er in der linken Hand einen Kochlöffel, von dem er mit gespitzten Lippen etwas probiert. Die Finger der rechten Hand spreizt er weit ab und presst gleichzeitig Daumen und Zeigefinger aufeinander, um zu signalisieren, dass es ihm schmeckt. Diese Pose war das unmännlichste, was ich je gesehen hatte, dieser Mann war kein Mann, er musste schwul sein. Natürlich habe ich", fuhr ich fort, "im Laufe meines Lebens viele, ganz verschiedene schwule Männer getroffen. Doch oft habe ich mich dabei ertappt, dass ich den sehnsuchtsvollen Blick des Gemüsehändlers oder die zickige Geste des Schlagersängers immer wieder gesucht habe bei all den anderen. So was kriegt man nicht aus seinem Kopf." Erleichtert lehnte sich meine Reisebekanntschaft zurück. Jetzt durfte er sich weiter fürchten vor jedem maliziösen Lächeln, musste dabei sein Gegenüber aber nicht aus dem Blick verlieren.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.