Kritik an Internetdienst Piratebay: Kinderleichen unzensiert

Per Filesharing kann sich jeder die Fotos von der Obduktion zweier ermordeter Kinder auf den Bildschirm holen. Ihr Vater appelliert vergeblich an „Piratebay", den Link zu entfernen.

Über Ehik wollen die Piraten nicht urteilen, so ihr Sprecher. Bild: Screenshot: Piratebay

STOCKHOLM taz Es sind Bilder, die normalerweise nicht veröffentlicht werden. Sie zeigen die Obduktion zweier Kinderleichen. Doch nun kann sie jeder über die Filesharing-Seite http://thepiratebay.org auf den Rechner laden. Sie sind als Voruntersuchungsmaterial Bestandteil der Anklageschrift in dem in Schweden wie in Deutschland – die Angeklagte ist eine Studentin aus Hannover – vielbeachteten Fall um die Ermordung der einjährigen Sara und des dreijährigen Max in der schwedischen Stadt Arboga.

Illegal ist die Veröffentlichung der rund 2000 Seiten umfassenden Akte nicht. Nach dem in Schweden geltenden Öffentlichkeitsprinzip ist es eine „öffentliche Handlung", in die jeder Einblick nehmen und die sich jeder Interessierte gegen Verwaltungskosten von umgerechnet 12 Euro vom Amtsgericht Västmanland nach Hause schicken lassen kann. Illegal ist damit auch die Veröffentlichung im Internet und deren Verlinkung über „Piratebay" nicht. Die Akte lag auch mehr als einen Monat lang nahezu unbemerkt auf dieser Seite, bis Ende letzter Woche ein Fernsehjournalist darauf aufmerksam wurde. Nun gibt es eine aufgeregte Debatte darüber, ob hier ein Informationsbedürfnis oder nur Sensationsgier befriedigt wird. Eine Debatte, die nicht zuletzt in der „Piratebay"-Community selbst ausgetragen wird. Wo nun viele UserInnen fordern, dieses Torrent zu beseitigen.

In Form einer E-mail hat auch der Vater der ermordeten Kinder eine entsprechende Bitte an die „Piratebay"-AdministratorInnen gerichtet. Diese wurde von deren Mediensprecher Peter Sunde zurückgewiesen: „Es ist nicht unsere Aufgabe zu beurteilen, ob etwas ethisch oder unethisch ist. Die Leute sollen sich so ausdrücken dürfen, wie sie wollen, sie sollen das Material veröffentlichen können, das sie für wichtig halten." Man sehe keinen Grund insoweit Zensor zu sein und entferne ja auch grundsätzlich kein Material.

Nun zensiert Piratebay in anderen Fällen aber durchaus. Mit nicht geringem Personalaufwand bemüht sich der nach eigener Aussage weltweit grösste sogenannte Torrent-Tracker beispielsweise alle Links zu Kinderpornografie umgehend zu entfernen. Und viele UserInnen fordern spätestens seit der Bitte des Vaters der toten Kinder einen entsprechenden Schritt auch bei den Arboga-Akten. Während einige PolitikerInnen die Aufregung nutzen, um gleich das für sie allzuoft unbequeme schwedische Öffentlichkeitsprinzip zur Disposition zu stellen. So kündigte Justizministerin Beatrice Ask prompt an, die Gesetzgebung überprüfen zu wollen. Zwar sei das Öffentlichkeitsprinzip zentral für die schwedische Demokratie, doch es dürfe nicht „zu Lasten Einzelner" gehen.

Genau eine solche Reaktion hat Ulrika Knutson, Vorsitzende der Journalistenvereinigung „Publicistklubben" befürchtet: Nur weil ein Grossteil der Bevölkerung etwas unethisch finde, sei dies noch lange kein Grund zu einer Gesetzesänderung. Doch sie empfiehlt den „Piratebay"-Machern zu überlegen, ob man diese Sache nicht etwas klüger handhaben könnte: „Ein leuchtendes Beispiel für die Bedeutung der Meinungsfreiheit ist dieser Fall ja nicht unbedingt." Im übrigen hält sie es für ein „Zeichen von Gesundheit", wie die „Piratebay"-Community reagiere.

Die appellierte im übrigen bisher vergeblich an den Anwender, der das Material ins Netz gestellt hat, dieses ganz oder daraus zumindest die Bilder der toten Kinder zu entfernen. Nützen würde das vermutlich nichts. Der erste User, der die Akte Anfang August ursprünglich öffentlich gemacht hatte, entfernte diese nach einer Woche und erster Kritik wieder. Worauf sie aber prompt erneut auftauchte mit der Begründung: „Wegnehmen ist nicht gut. Ihr Feiglinge!"

„Piratebay"-Administrator „TiAMO" hätte statt einer Debatte über „Piratebay", das ja im Prinzip nur eine Suchmaschine ist, lieber eine Debatte über die Rolle der Medien, die sich den Stoff, über den sie sich dann empören, selbst produzierten: Das Torrent habe in einem Monat gerade einmal rund 100 Downloads gehabt und sei mangels Interesse der UserInnen dabei gewesen ganz zu verschwinden. Seit es am Freitag im Fernsehen aufgegriffen wurde und das mit deutlichen Hinweisen darauf, wie auch bisherige Filesharing-Laien es unter den 1,3 Millionen Torrents bei „Piratebay" finden könnten, sei die Akte binnen 24 Stunden mehr als zwanzigtausendmal heruntergeladen worden.

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