Bleiberecht für angebliche Libanesen: Körting bietet Amnestie an
Innensenator gibt Flüchtlingen aus dem Libanon, die falsche Personalien angegeben haben sollen, ein Bleiberecht - wenn sie die Wahrheit sagen. Umstrittene Ermittlungsgruppe wird aufgelöst.
Der rot-rote Senat vollzieht in der Flüchtlingspolitik einen radikalen Schwenk. Kurdische Libanesen und staatenlose Palästinenser, die sich ihren Aufenthaltstitel in Deutschland durch falsche Angaben über die Herkunft erschlichen haben, können nun auf einen dauerhaftes Bleiberecht hoffen. Voraussetzung ist allerdings, dass sie ihre wahre Herkunft bei der Ausländerbehörde offenbaren und sich ansonsten nichts haben zuschulden kommen lassen. Das erklärte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Gleichzeitig kündigte Polizeipräsident Dieter Glietsch an, die beim Landeskriminalamt angesiedelte Ermittlungsgruppe (EG) Ident aufzulösen, die versuchte, solche Täuschungen aufzudecken. Der Flüchtlingsrat, die Berliner Strafverteidiger-Vereinigung, Grüne und Linkspartei begrüßten die Entscheidung.
Wie viele Personen das betrifft, ist derzeit unklar. Laut Körting hat die Ausländerbehörde bereits 80 Personen zur Identitätsfeststellung vorgeladen. 60 hätten dabei offenbart, in Wirklichkeit türkische Staatsangehörige zu sein.
Ganz freiwillig erfolgt der Kurswechsel nicht. Das Bundesverwaltungsgericht und das Berliner Kammergericht haben sich in mehreren Prozessen mit der Frage beschäftigt. Das Bundesverwaltungsgericht (BVG) kam zu dem Schluss, dass eine Einbürgerung, die aufgrund einer Täuschung erfolgte, nicht Jahre später rückgängig gemacht werden darf. Das Kammergericht gar äußerte grundsätzliche Zweifel, ob die von der EG Ident und der Ausländerbehörde vorgelegten Beweisen ausreichen, eine Täuschung nachzuweisen.
Die EG Ident wird nun zum Ende des Jahres aufgelöst. "Ich habe selten eine Ermittlungsgruppe erlebt, die so parteiisch ermittelt hat", sagt Rechtanwalt Rüdiger Jung, der für eine kurdisch-libanesische Familie das Urteil vor dem BVG erstritten hat. Selbst den in Deutschland geborenen Kindern sei unterstellt worden, sie hätten gewusst, dass ihre Eltern die Behörden über ihre Herkunft getäuscht haben sollen.
Die EG Ident war im November 2000 ins Leben gerufen worden. Polizeipräsident Glietsch beschrieb die Aufgabe der Gruppe am Montag so: Sie sollte den Nachweis über die falsche Identität von in die Schwerstkriminalität verstrickten Straftätern mit ungeklärter Staatsangehörigkeit erbringen. Glietschs Bilanz: 42 Personen wurden seither abgeschoben, 45 reisten freiwillig aus. 18 Personen wurden zu Haftstrafen verurteilt. Die "schwerkriminellen Identitätsfälscher" seien seit zwei Jahren weitgehend aus dem Verkehr gezogen. Dass sich die Ermittler seither mit den sogenannten Nur-Täuschern befasst haben, sei unsinnig, weil dies nicht strafbar sei, so Glietsch mit Blick auf die Rechtssprechung. Für Rechtsanwalt Jung ist dies das Eingeständnis, "dass die EG Ident völlig aus dem Ruder gelaufen ist".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!