Obama und McCain im Legendentest: Maverick gegen Rookie

John McCain und Barack Obama greifen bei ihren Selbst-Inszenierungen tief in die nationale Mythenkiste. Für beide ist die größte Herausforderung, sich als Anti-Establishment zu verkaufen.

So anders und doch so gleich: Obama und McCain. Bild: reuters

Barack Obama gibt sich als das unbeschriebene Blatt im Washingtoner Establishment. Er spricht viel von seinem Leben als sozialer Außenseiter und wie er aus eigener Kraft den Aufstieg schaffte, von seinem Vater aus Kenia, der als Ziegenhirte aufgewachsen war und später in Amerika ausgebildet wurde. Oder von seinen Erfahrungen als Community Worker in den sozialen Brennpunkten Chicagos. Geschichten, die ihm alle den Hauch vom Jedermann verleihen und seine Verbindungen zur Macht- und Bildungselite verdecken sollen.

Mit dieser Lebensgeschichte bedient Barack Obama eindringlich das Motiv des "Rookie". Was das ist, weiß in den USA jedes Kind: Im Sportlerjargon nennt man so den Neuling, auf dem in der neuen Saison alle Hoffnungen ruhen. Der Rookie ist seit langem ein Held aus dem Legendenschatz des amerikanischen Traums, und so wie dieser stellt auch Obama die Tugenden der Originalität in den Vordergrund und beschwört die positive Kraft des Neuanfangs.

Mit seinem Slogan "Change" betont Obama zugleich sein Anderssein. Er wirbt dafür, als erster schwarzer Präsident die Wunden der Rassentrennung zu heilen. Unermüdlich erinnerte er, besonders mit seiner Haltung zum Irakkrieg, an seine politische Unbescholtenheit. Besonders kraft seiner betonten "Unschuld" will er echte Neuerungen in den politischen Sumpf der Hauptstadt bringen und mit ihr, nach Jahren der Bush-Administration, die "tief gespaltene" Nation hinter seiner Version eines neuen Amerikas einen.

Auf die Kraft des Neubeginns setzt auch John McCain. Seine Rolle ist die des "Maverick", eines Begriffs, den die US-Medien bereits bereitwillig als sein Markenzeichen akzeptiert haben. Dabei geht es ihm weniger um die Parallele zu dem von Tom Cruise gespielten Kampfpiloten in dem Film "Top Gun". (Auch McCain kämpfte als Pilot und geriet in Vietnam in langjährige Kriegsgefangenschaft. )

Maverick, diese Marke geht vor allem auf einen texanischen Rinderbaron zurück, der seine Tiere ohne Brandzeichen umherlaufen ließ. Ein gesellschaftlicher Rebell, und genau als solcher inszeniert sich McCain, als ungehobelter Haudegen, der kein Blatt vor den Mund nimmt, einen derben Humor pflegt und sich, oft über alle Parteiinteressen seiner republikanischen Kollegen hinweg, für seine Idee Amerika einsetzt.

Dabei ist die Strategie der politischen Selbstinszenierung älter, als man glaubt. Sie durchzieht die Geschichte des Kampfes um das Weiße Haus wie ein roter Faden: Als Abraham Lincoln, eines der größten rhetorischen Talente seines Jahrhunderts, sich 1860 um das Präsidentenamt bemühte, erzählte er immer wieder die Geschichte des einfachen Eisenbahnarbeiters, der, in einer einfachen Blockhütte geboren, sich das Lesen und Schreiben selbst beigebracht hatte. Ob "Honest Abe", so Lincolns Spitzname, auch damit ehrlich war? Man ist sich heute nicht mehr sicher. Oder Theodore Roosevelt. Er legte sich Anfang des 20. Jahrhunderts das Bild des erfolgreichen Kriegsherrn zu. Er inszenierte sich als hart gesottener Westerner, Selfmademan und eben als erfahren Veteran des Kriegs gegen Spanien. Dabei stammte er aus dem reichen Bürgertums Bostons und sein Kriegseinsatz in Kuba währte nicht einmal eine halbe Stunde. In der jüngeren Vergangenheit war es besonders Jimmy Carter, der Überraschungssieger von 1976 (gegen Gerald Ford), der das Verlagen nach Geschichten zu bedienen wusste. Nach dem Watergate-Skandal und dem Rücktritt Nixons gab er sich stets im Gewand des frommen und aufrichtigen Puritaners und lehnte all seine öffentlichen Auftritte an Legenden gottesfürchtiger Pilger an.

Bemerkenswert an der diesjährigen Konstellation ist die Ähnlichkeit der Rollen des Rookie und des Maverick. Denn so unterschiedlich sich McCain und Obama auch geben, am Ende überwiegen die Gemeinsamkeiten. Beide bedienen den in den USA schon seit Beginn des Unabhängigkeitskriegs und der Gründung der Nation bestehenden Kult des Nonkonformismus - jene Idee, qua seiner Stellung als gesellschaftlicher Außenseiter, frei und aus sich heraus, sein Leben und das Amerikas verändern zu können. In den USA kennt dieses Ideal viele Namen - Individualist, Grenzgänger oder Pionier - und ist beseelt von dem alten Siedlertraum, frei von gesellschaftlichen Ansprüchen und sozialen Konventionen leben zu können.

Am spannendsten wird dieses Jahr die Frage sein, wie es zwei Politikern, die fest zum Establishment der amerikanischen Gesellschaft gehören, gelingen kann, den Mythos von Anti-Establishment und politischem Ungehorsam zu bedienen und nicht dabei zu scheitern. Ausgerechnet ein Karriere-Jurist mit Harvard-Diplom, ausgerechnet ein hochdekorierter Soldat mit einem großen Mundwerk, klingt das tatsächlich danach, dass "Change" möglich ist?

Es ist dem erst kürzlich verstorbenem Schriftsteller David Forster Wallace zu verdanken, auf eine Eigenart der Rolle des Maverick zu verweisen, die zum Verständnis der beiden Kandidaten beiträgt. Es geht dabei um Ironie. Wie Wallace in seinem jüngsten Buch "McCains Promise" schildert, ist das eigentümliche Merkmal des Maverick, und damit McCains, sich mit einem Augenzwinkern als Anti-Kandidat vorzustellen, einer, der eigentlich nicht wählbar ist oder dem es zumindest egal ist, ob er gewählt wird. Obama dagegen hat mit Ironie nichts im Sinn. Er gibt sich ernsthaft, unbescholten und anti-ironisch und versucht so das Bild des Rookie authentisch darzustellen.

Wer das alles nur für unterschiedliche rhetorische Stile hält, liegt falsch. Ob Ironie oder nicht, ist - wie so oft in den USA - eine politische Frage. Es geht um ein Prinzip der Weltanschauung. Denn im dem Antagonismus von Ironie und Anti-Ironie spiegelt sich nicht weniger als der seit langem währende Glaubenskrieg zwischen den calvinistischen Wurzeln der USA und ihren zwischenzeitlich entstandenen Traditionen des Pragmatismus. So ist das Dogma des "Wörtlichen" und Absoluten, wie es die Pilgerväter mitbrachten, noch heute Antrieb für die Kreationisten, gegen die Evolutionstheorien auf dem Lehrplan von US-Schulen zu kämpfen. Dagegen steht der amerikanische Pragmatismus, übrigens nicht nur die bisher einzige eigenständige philosophische Schule der USA, sondern auch eine allgemeine Geisteshaltung, die praktische Vernunft über alles stellt.

In der jüngeren Zeit hat besonders die Fraktion der Anti-Ironie die Oberhand. Als Antwort auf die Rassenunruhen und auf die fortschreitende Zersplitterung der US-Gesellschaft war es eine christlich-existenzialistische Gruppierung innerhalb der Demokraten, die Anfang der Sechzigerjahre gerade die Ironie zu einem der Sündenböcke des Verfalls Amerikas erklärt hatte. Die "New Left" rief damals zu einer Politik der Authentizität und persönlichen und nationalen Integrität auf, die nach ihrer Meinung das tief gespaltene Land zu einen neuen Einheit führen sollte. Alles Argumente, die wir in ähnlicher Form auch von Barack Obama kennen.

Dabei ist die Verknüpfung eines allgemeinen Wunsches nach Verbesserung mit dem alten Leitbild des amerikanischen Traums die Stärke seiner Botschaft. Mit dem zentralen Motiv seines Wahlkampfs "Hoffnung" - im Titel seiner amerikanischen Wahlkampfbiografie sogar als Doppelung "Wagemut der Hoffnung" - stilisiert Obama dieses christliche Prinzip zum Leitfaden des Neubeginns.

Es scheint so, als ob der liberale Obama Adventisten und Kreationisten vielleicht näher ist, als es einem aus europäischer Sicht lieb sein kann. Es verwundert aber nicht, dass sich John McCain im evangelikal-konservativen Lager zumindest bis zur Bekanntgabe seiner ultrakonservativen Vize Sarah Palin noch immer äußerst schwer tut, Anhänger zu finden. Liberale dagegen konnte er schon immer für sich begeistern, vielleicht ebenjene, die ganz im Gedächtnis des im vorigen Jahr verstorbenen Richard Rorty in der Ironie nicht weniger als die Chance sehen, die amerikanische Gesellschaft neu zu erfinden. Denn für Rorty war genau das der Weg, mit der verkrusteten Politik des Common Sense und ihrer metaphysisch-existenzialistischen Rhetorik zu brechen. Am Ende eines Zeitalters absoluter Wahrheiten sah er sie als Ausdruck einer neuen Solidarität und - ganz wie McCain und sein "country first" - Amerika als Freiraum der Selbsterfindung und Imagination.

Mit den Mythen der Kandidaten steht also auch ein Verhältnis zur Welt zur Entscheidung, gehüllt in die Vision eines "neuen" Amerikas. Folgt man Barack Obamas amerikanischem Traum einer Renaissance nationaler Authentizität oder John McCains ironisch-konservativer Vision eines "Amerikas" als geistiger Utopie der Möglichkeiten? Nicht weniger ist es, was Rookie und Maverick zur Wahl stellen.

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