Kolumne Overseas: Halb pleite? Halber Preis!

In den USA führt die Finanzkrise nicht nur zu Gejammere, sondern auch zu neuem Optimismus und supergünstigen Zahnprothesen.

Es wäre nicht Amerika, wenn seine Bewohner, zumindest die in den U.S. and A., in harten Zeiten nicht plötzlich wieder ihren alten Planwagen-Geist wiederentdeckten. "Can do" lautet die knappe Maxime. Jammern ist nicht, sagt man mir entschieden, und meint damit zwischen den Zeilen, dass sie schließlich nicht solche Sissies sind wie wir Europäer.

Eines der ersten untrüglichen Anzeichen dafür, dass die Party an der Wall Street Mitte September vorerst vorbei war, fand ich in der New York Times. Nur vier Tage nach dem Zusammenbruch des Bankhauses Lehman Brothers widmetete sich die aufwendige und gehobeneren Genüssen nachjagende Gastro-Beilage ausschließlich dem neuen Weingenuss. Nämlich Flaschen aus Frankreich für unter 20 Dollar.

Mehrere Bankzusammenbrüche und eine Woche später schob die nächste Gastro-Beilage der Times heiße Tipps für Rotwein für unter 10 Dollar nach. Ein halbes Rettungspaket später waren wir schon bei bezahlbaren Tees aus Asien gelandet. Wahrscheinlich folgt demnächst Suppe, aber aus dem heimischen Kräutergarten - alles natürlich als spannende Entdeckungsreise in nie gekannte Untiefen verkauft.

Auch andere Dienstleistungsanbieter hadern nicht lange und stellen sich auf die neuen Herausforderungen der Finanzkrise ein, so zackig es sich eben machen lässt. So fuhr ich neulich auf dem Highway an einem riesigen Schild vorbei, auf dem ein Provinzzahnarzt unverblümt fragte: "Halb pleite? Alle Zahnbehandlungen zum halben Preis." Ob er damit auch die Qualität halbiert, fragte ich mich. Die Antwort folgte eine halbe Meile und einige explizite Fotos auf einem zweiten Schild später: "Dritte Zähne in einer Stunde".

Anstatt sich bohrenden Sorgen zu überlassen, geben meine US-Freunde einfach vor, nicht zu wissen, was los ist. Meine Freundin Robin zum Beispiel öffnet einfach ihre Briefe nicht mehr, die sie von ihrer Rentenfondsverwaltung bekommt. "Ich will gar nicht wissen, wie sich mein Fonds auflöst und wie viel da überhaupt noch übrig ist," sagt sie und weist darauf hin, dass sich ansonsten in ihren Leben schließlich nichts geändert habe - wozu also die Aufregung? Ja wozu eigentlich, sage ich mir so amerikanisch aufgeputscht, wie es für eine europäische Seele nur geht, und bestaune die Geschäfte, die entweder wirklich gerade untergehen oder die Krise als geniale PR nutzen. "Wir brauchen ihren Kauf!", fleht da ein Teppichhändler. "Wir gehen pleite, kaufen sie uns leer", jubelt ein Wohnwagenverkäufer und klebt rote "Liquidation"-Schilder hinter die Windschutzscheiben seiner Titanic-großen Campervans.

Am offensichtlich unbekümmertsten ist es, wo auch sonst, ganz unten. Kürzlich besuchte ich auf einem Stück Brachland, zwischen zwei Bahngleisen, eine spontan gegründete Obdachlosen-Campingstadt. Auf der einen Seite des Weges leben die wirklichen Habenichtse mit Drogenproblemen und von der Stadt gestellten Zelten. Auf der anderen Seite die High Society in ihren abgeranzten Wohnwagen. Hier, wo man vor noch nicht allzu langer Zeit mithilfe des Kuckucks aus den Mittelklasse-Einfamilienhäusern geflogen war, redete man sich mit "Gentlemen" an und trank abends - in kaputten Klappstühlen thronend, gemeinsam aus einer Flasche Bier. Auf meine Nachfrage hin erklärte man mir, dass das, was ich hier gerade sehe, im Grunde ein super Sprungbrett in ein neues Leben sei. "Es ist wirklich ein tolles Angebot", erklärte mir ein wegen Scheidung und Kreditschulden obdachlos gewordener Kalifornier, so als ob wir gerade im Gewerbegebiet von Dubai stünden. "Ich muss hier keine Miete und keine Stromkosten bezahlen, da spart man wirklich eine Menge Geld."

Ja, muss ich jetzt zu meiner Schande gestehen: So amerikanisch hatte ich das Thema Obdachlosigkeit noch nie gesehen.

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