Gespräch mit Stargeiger Hope: "Deutsche diskutieren bewusst"

Daniel Hope möchte ein Zeichen gegen das Vergessen setzen - und veranstaltet ein Konzert anlässlich der Reichspogromnach. Über Feigheit und den Mut zu handeln.

Die Deutschen müssen sich mmer wieder mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Bild: ap

taz: Herr Hope, Sie sind ein irischer Geiger und veranstalten jetzt am Sonntag ein hochrangiges Konzert zur Erinnerung an die Reichspogromnacht vor 70 Jahren organisiert. Ist das nicht eigentlich die Aufgabe der Deutschen?

Daniel Hope: Das müssten Sie vielleicht die Deutschen fragen, ich weiß es nicht. Ich habe das Konzert sehr kurzfristig auf die Beine gestellt, nachdem mir per Zufall auf dem Flughafen in Singapur ein Buch des britischen Historikers Martin Gilbert zur Pogromnacht in die Hände gefallen ist - dieses Buch hat mich dann nicht mehr losgelassen.

Wie erklären Sie sich diese Wirkung? Aufgrund Ihrer Familiengeschichte, über die Sie ein Buch geschrieben haben, das auch Ihre deutsch-jüdischen Wurzeln beschreibt?

Ich bin ein leidenschaftlicher Hobby-Historiker. Eigentlich bin ich Geiger, aber ich liebe Geschichte, ich bin fasziniert von ihr. Die ersten 30, 40 Jahre des 20. Jahrhunderts bewegen mich, politisch und künstlerisch. Als ich realisierte, dass die Pogromnacht nun 70 Jahre her ist, dachte ich mir: Du musst was tun!

Und das geht einfach so: Sie rufen befreundete Weltklasse-Musiker an wie Thomas Quasthoff, Hélène Grimaud und Menahem Pressler - und die sagen: Okay, das mach ich?

Genau so ist es passiert. Ich musste denen natürlich etwas präsentieren. Aber ich hatte unglaubliches Glück, dass es möglich war, die Abflughalle des gerade geschlossenen Flughafens Tempelhof zu mieten - es ist übrigens das erste Konzert dort nach der Schließung. Damit hatte ich ein großes Symbol, ein Quasi-Nazibau und der Ort der Luftbrücke. Mein erster Anruf ging an Klaus Maria Brandauer, der zweite Max Raabe, dann Patrice, dann Thomas Quasthoff. Ich hatte die Zusagen innerhalb von ein paar Minuten. Ich hatte nur noch kein Geld. Da sagten die Leute: Vergiss es, das kriegst du nicht. Aber ich war mir sicher: Am Geld wird es nicht scheitern.

Das Motto des Konzerts ist: "Tu was!" Finden Sie , dass die Deutschen zu wenig tun in Sachen Erinnern an die Nazizeit?

Nein, absolut nicht, im Gegenteil. Kein Land diskutiert so bewusst seine Vergangenheit. Kein Tag, an dem ich in Deutschland bin, vergeht, ohne dass es einen Beitrag im Fernsehen, Radio oder in einer Zeitung über die Nazizeit zu finden gäbe. Es ist nicht zu wenig. Andererseits kann man sagen: Es ist nie genug. Heute ist so etwas nicht mehr akzeptabel. Das heißt nicht, dass es nicht mehr passiert.

Wann passiert etwas konkret?

Man darf nie wegschauen. Zivilcourage ist für jeden anders, aber nichts tun geht nicht.

Sie schreiben, dass bei der Recherche für das Buch oft auch Wut und Empörung aufkam. Was macht Sie hier in Deutschland wütend oder empört?

Ein Beispiel: Wir haben ein Konzert bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern gegeben, es war zum Teil Musik von Komponisten, die in Auschwitz oder in Theresienstadt umgebracht wurden. Mit meinen Musikern sprangen wir in einem kleinen Ort in Mecklenburg, schon in Konzertgarderobe, in ein Auto, um zum Konzert zu fahren - da stehen vor uns 25 Skinheads. Meine britischen Kollegen waren schockiert. Ich sagte: Ja, das sind Skinheads, und es gibt immer noch Randgruppen, die an die Nazis glauben. Das macht mich unheimlich wütend. Aber Intoleranz gibt es überall auf der Welt.

Kann man mit guter Musik Menschen erreichen, Menschen verändern gar?

Erreichen - ja. Es gibt kein Entkommen von Musik. Verändern - das weiß ich nicht. Vielleicht ein paar. Aber es ist schwierig.

Musik ist sehr wichtig in der rechten Szene zur Rekrutierung von jungen Leuten. Das zeigt, wie Musik in ganz anderer Richtung wirken kann, als Sie es sich wünschen.

Musik ist in manchen Religionen sogar verboten, weil sie so große Wirkung haben kann. Denken Sie auch an die Militärmusik, die die Soldaten gehört haben, um in den Kampf zu ziehen. Musik ist eine unglaublich scharfe Waffe. Man kann sie auf viele Art und Weisen nutzen.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dieses Suchen, dieses Wühlen in der Vergangenheit der Familie sei fast schon eine Obsession. Was sagen Ihre irischen, südafrikanischen, niederländischen Verwandten und Freunde darüber: Machen die schon Witze darüber, dass der Danni wieder auf seinem Deutschland-Trip ist?

Nein (lacht), aber sie sind erstaunt, wie viel ich rausgekriegt habe - all die Verwandten, deren Geschichten ich gefunden habe. Die lachen dann und sagen: Mit wem bist du eigentlich nicht verwandt? Ich habe ja geschrieben, dass ich ein protestantisch-katholischer Ire mit Verschmelzung jüdisch bin. Ich hatte das Glück, diese Vielfalt durch das Buch näher kennen zu lernen.

Sie sind mittlerweile ja auch ein intimer Kenner der Berliner Friedhöfe.

Das ist wahr! (lacht)

Sie schreiben, es sei Ihnen nicht gelungen, die Welt durch die Recherche in Ordnung zu bringen, aber für sich hätten Sie Ordnung gefunden. Brauchen Sie Ordnung in Ihrem Leben?

Es ist wichtig, weil ich ja permanent unterwegs bin und Stress habe. Das hat mich auf den Boden gebracht. Ich wusste, dass ich eine komische Mischung bin, aber konnte das nicht deuten. Und nun all das zu wissen hat mir viel gebracht.

Sie wollten auch Gespenster in Ihrer Familie vertreiben, schreiben Sie. Welche?

Die deutsch-jüdische Familie, aus der ich mütterlicherseits abstamme, hat über ihre Flucht aus Deutschland nie gesprochen. Dann diese Erkenntnis, die ich immer geahnt habe: Beide deutsch-jüdischen Urgroßväter waren extreme deutsche Patrioten. Ich glaube, sie hätten mit Sicherheit die Nazis bis zur Pogromnacht unterstützt - auch wenn ich das nicht beweisen kann. Einer, der Journalist Clemens Klein, hat es selbst nach der sogenannten Kristallnacht nicht übers Herz gebracht, Deutschland zu verlassen. Er hat stattdessen Suizid begangen. Er wollte bleiben, auf seine Art.

Hat Sie das empört, dass ein Verwandter von Ihnen so blind sein kann?

Ich bin nicht empört, aber sehr enttäuscht. Und noch enttäuschender ist der andere deutsche Urgroßvater, Wilhelm Valentin. Im Ersten Weltkrieg hat er so Schreckliches geschrieben über die französischen Zivilisten, die man sofort erschießen sollte. Er war Preuße durch und durch. Seine Kinder mussten dauernd wandern, übrigens mit einem Stock am Rücken, der geraden Haltung wegen.

Haben Sie auch etwas Preußisches an sich?

Das habe ich, ja. Wenn mir jemand sagt, das schaffst du nicht, (lacht) dann kämpfe ich.

Man könnte das auch irische Sturköpfigkeit nennen.

Vielleicht ist es das auch. Das treibt mich zur Weißglut, dieses "Ach, vergiss es!". Das habe ich so oft gehört. Auch in Bezug auf das Konzert in Tempelhof.

Sie sagen: Die toten Verwandten leben in mir. Ist das nur eine Bereicherung oder nicht auch eine Belastung?

Eine Bereicherung! Es waren fantastische Menschen, auch wenn ich nicht alle ihrer Ansichten teile - oder zum Teil vehement dagegen bin. Ein Lichtgestalt ist etwa mein Urgroßvater Daniel Edward McKenna, der seinen Kindern in Südafrika die Sprache der Schwarzafrikaner beigebracht hat - und das in einer Zeit noch vor der Apartheid. Er hat sich ein Hotel gekauft, nachdem er viel Geld in einem Pferderennen gewonnen hatte.

Was sagen Ihre Freunde angesichts Ihres Buches, Ihres Konzerts und Ihrer Musik, die ja vor allem aus der Vergangenheit stammt? Leben Sie nicht so ganz im Hier und Jetzt?

Puh! Bei der Musik vielleicht, denn es ist alte Musik - aber andererseits ist sie mit das Modernste, was es gibt. Wenn man beispielsweise einen Beethoven oder einen Bach spielt, gibt es eine Modernität in dieser Musik, die keine zeitgenössische Musik ersetzen könnte. Wenn man das kapiert hat, ist man so etwas von im Hier und Jetzt! Nur das Drumherum ist von früher. Das ist manchmal schwierig zu verstehen für junge Leute. Das verstehe ich auch. Die Musik selbst ist frisch und lebendig.

Gleichzeitig machen Sie Projekte mit ziemlich modernen Musikern wie Stewart Copeland von "The Police". Haben wirklich große Rock- und Popsongs wie etwa "Message in a bottle" den gleichen Wert wie beispielsweise das Requiem von Mozart?

Nein, natürlich nicht. Das würden auch so großartige heutige Musiker wie Sting sicherlich nie behaupten. Ich liebe die Lieder von "The Police", die sind fantastisch. Das ist aber nicht vergleichbar mit einem Bach, Beethoven, Brahms oder Mendelssohn. Das heißt nicht, dass die Menschen, die etwa "The Police" hören, nicht die gleichen Empfindungen haben.

Und welche Popmusik wird bleiben in 100 Jahren?

Die Musik, die eine Message trägt. Es gibt viele intelligente Popmusiker, die in ihren Texten etwas zu sagen haben.

Muss man seine Wurzeln kennen, um ein guter Musiker zu sein?

Ich muss es, aber ich kann es nicht verallgemeinern. Jeder macht die Musik, wie er oder sie es spürt. Ich habe auch lange Musik gemacht, ohne meine Wurzeln zu kennen - und habe sie auch genossen.

Und jetzt ist sie reifer geworden?

Ich bin reifer geworden.

INTERVIEW: PHILIPP GESSLER

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