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Bewunderinnen am Sterbebett

Die Autorin und Übersetzerin Sara Stridsberg hat ihr Ziel erreicht: In Schweden ist die radikale Feministin Valerie Solanas populär wie nie zuvor

VON ANNELI KLOSTERMEIER

Im satten, aufgeklärten Schweden hat der radikale Feminismus der Amerikanerin Valerie Solanas, die 1968 auf Andy Warhol schoss, ein überraschendes Comeback erfahren. Dafür verantwortlich ist die 36-jährige Journalistin und Autorin Sara Stridsberg, die 2003 Valerie Solanas’ Manifest „SCUM“ (Society for cutting up men/SCUM = Abschaum) ins Schwedische übersetzte.

Die Wiederentdeckung des in den späten 60ern geschriebenen Pamphlets schlug in Schweden ein wie eine Bombe. Schwedische Journalistinnen schwärmen von Solanas tragisch-komischer Abrechnung mit den Männern: „Es (das Manifest) sollte wie eine Bibel in den Hotelzimmern der Welt liegen“, so Jenny Högström von der schwedischen Zeitung Sydsvenskan. Maria-Pia Boëthius von der Tageszeitung ETC findet: „‚SCUM‘ ist das brillanteste feministische Buch, das in unserer Zeit auf Schwedisch erschienen ist.“ „Keine Frau kommt an Valerie Solanas vorbei, so wie keine an Marilyn Monroe vorbeikommt“, schreibt Åsa Beckman von Dagens Nyheter leicht ironisch über den neuen Solanas-Kult in Schweden.

Die Begeisterung gilt einem Text, in dem es zusammenfassend heißt: „Männer sind besessen von Tod, Sex und Gewalt und haben ihr Recht auf Leben verwirkt“, und einer Frau, die diese Weltanschauung bei Andy Warhol fast in die Tat umsetzte. „Kein Text hat mich so verändert. Ich will so gerne mit Valerie sprechen. Ich kann nicht aufhören, an sie zu denken“, sagte Sara Stridsberg und ließ der Übersetzung des Manifests ins Schwedische 2006 den halb dokumentarischen, halb fantastischen Roman „Drömfakulteten“ folgen, für den sie im vergangenen Jahr mit dem mit 48.000 Euro dotierten „Nordiska rådets litteraturpris“ – einem der prestigeträchtigsten Literaturpreise der nordischen Länder – ausgezeichnet worden ist.

Schon der erste Roman von Sara Stridsberg, die sich von den Schriftstellerinnen Marguerite Duras, Unica Zürn, Elfriede Jelinek und Sarah Kane beeinflusst sieht, war ebenfalls eine Mischung aus Dokumentation und Fiktion: „Happy Sally“ erzählte über Sally Bauer, die als erste skandinavische Frau 1939 den Ärmelkanal durchschwamm. Mit ihrem zweiten Roman hat Stridsberg anscheinend einen Nerv getroffen und von den positiven Reaktionen zu „Drömfakulteten“ angespornt, entwickelte sie 2007 aus demselben Stoff noch ein Theaterstück, mit dem zur damaligen Präsident-Bush-Debatte passenden Titel „Valerie Jean Solanas skal bli president fra Amerika“ (Valerie Jean Solanas soll Präsidentin von Amerika werden). Mit einer Nominierung für den Nordischen Dramatikerpreis in diesem Jahr ging die Erfolgsgeschichte weiter, auch wenn den letztlich ein anderer Autor erhielt.

Der Roman, dessen Rechte für Deutschland der Fischer Verlag erworben hat, bot sich mit seiner dialogischen Form, den vielen verschiedenen Stimmen rund um Solanas – Fakten, Gerüchte, Manifest-Bruchstücke und Zitate – für eine Dramatisierung geradezu an. Die Rolle der Valerie schrieb Stridsberg der schwedischen Schauspielerin Ingela Olsson auf deren eigenen Wunsch hin auf den Leib. Das mit drei Stunden exzessiv lange Stück spielt am Sterbebett Solanas’, in einem schäbigen Hotel im Rotlichtbezirk San Franciscos, wo Solanas 1988 im Alter von nur 53 Jahren krank und einsam starb. „Ich will nicht in einer Welt leben, in der du zum Schluss stirbst“, sagt das Alter Ego Stridbergs in der Rolle des angepassten „Daddys Girl“ im Stück. So nannte Solanas verächtlich den Großteil der Frauen, die sich nicht gegen die patriarchale Unterdrückung auflehnten.

Von der später für schizophren erklärten Attentäterin, die nach dem Schuss auf Andy Warhol zu Protokoll gab „I regret that I missed“ (ich bedaure nur, dass ich ihn verfehlt habe), der vom Vater Missbrauchten, die Männer hasste und, wie sie selber sagte, „ersten intellektuellen Hure“, die proklamierte, dass Prostituierte Revolutionäre und Ehefrauen vergewaltigte Frauen seien, der Verzweifelten, die alkohol- und tablettenabhängig ihr Manifest auf der Straße verkaufte, wird Valerie Jean Solanas, Kind der prüden 50er-Jahre, plötzlich im liberalen Schweden von heute zur gefeierten Heldin und zu einem Vorbild für moderne Schwedinnen.

Sara Stridsberg hat Valerie Solanas dann auch zärtlich ein weniger tragisches Ende als das reale herbeigeschrieben, ein Ende, bei dem Solanas’ Geliebte „Cosmo Girl“, die sich in Wirklichkeit selbst umbrachte, sowie Stridsberg selbst als ihre Bewunderin und ein „Daddys Girl“, das gern mutiger wäre, an ihrem Todesbett sitzen.

Und so tot ist sie auf einmal gar nicht mehr und ihr Scheitern nicht mehr so endgültig: denn in Schweden findet Valerie Solanas’ Manifest reißenden Absatz. Und Sara Stridsberg hat ihr Ziel erreicht.

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