Die Neuen Konservativen: Unmoral der Werteapostel

George Bush geht und die Finanzkrise hat den konservativen Kodex der neoliberalen Ära ins Wanken gebracht. Aber wie ticken die hartherzigen Moralisten eigentlich?

"Ordnung" war früher der tragende Begriff der Konservativen. Eine der Lieblingsvokabel der neuen Konservativen ist das Wort "Freiheit". Bild: dpa

Was sind eigentlich Konservative? Sind Konservative nun Verbotsapostel, die für den starken Staat eintreten, oder freie Marktwirtschaftsfanatiker, die für einen schlanken Staat streiten? Sind Neukonservative Schnösel, die über den hedonistischen Sittenverfall der breiten Masse die Nase rümpfen, oder Freunde des "einfachen Volkes"? Da muss doch eine Ordnung hineinzubringen sein.

Nun ja, einfach ist das nicht. Zu diesem Schluss kam auch George Lakoff, ein amerikanischer Linguist, der der Frage nachgegangen ist, welche innere Logik das konservative Weltbild denn haben kann. Die Rechten haben ein Set an politischen Positionen, die sie ausmachen: Sie sind für eine Justiz, die hart bestraft, aber gegen den Sozialstaat, für Steuererleichterungen für die Wohlhabenden, aber für die Werte des einfachen Mannes. Lakoff: "Ich sagte mir: ,Das sind ja wirklich höchst merkwürdige Leute.' Ihre politischen Positionen haben keinen gemeinsamen Sinn."

Früher hätte man sich vielleicht noch mit dem Hinweis helfen können, die Konservativen verteidigen das Vertraute und sind gegen den Wandel. Aber die Anhänglichkeit der Konservativen an das vertraute Gute ist heute noch fragwürdiger als seinerzeit. Schließlich haben die Konservativen seit nunmehr mindestens vierzig Jahren die hedonistische Massenkultur verteufelt - die ist also auch schon vertraut und nicht mehr neu. Auch sind die Konservativen in keiner Weise gegen Wandel. Gerade die forschen Neukonservativen, die in dieser Hinsicht von den Neoliberalen praktisch ununterscheidbar sind, fordern entschiedene Reformen: Steuern runter, Sozialprogramme weg, Sozialstaat verschlanken.

Wofür sind aber dann Konservative? Eine der Lieblingsvokabel der neuen Konservativen ist das Wort "Freiheit". Das ist etwas obskur. Zunächst war das Wort "Freiheit" historisch ja nicht gerade eine zentrale Parole des Konservativismus. Der ältere Konservativismus favorisierte "Ordnung", und damit meinte er meist das exakte Gegenteil von Freiheit. Und ohnehin steht die hohe Freiheitsrhetorik der Konservativen in einem seltsamen Missverhältnis zu dem moralisch-sittlichen Verbotsjargon, den sie stets und reflexartig anschlagen. Konservative lieben die doppelte moralische Buchführung. Sie wollen einerseits wirtschaftliche Freizügigkeit, andererseits Moralvorschriften.

Der Freiheitsbegriff der Konservativen meint vor allem die Freiheit des privaten Eigentums. Zunächst gehen sie davon aus, dass der Wettbewerb privater Wirtschaftssubjekte die effizienteste Art ist, eine Volkswirtschaft zu organisieren. Ein aktiver Staat und eine Sozialpolitik sind darum in zweifacher Hinsicht für Konservative ein Übel: Erstens, weil die staatlichen Regeln den freien Wettbewerb tendenziell ausschalten. Und, zweitens, weil ein aktiver Staat ja Mittel für seinen Aktivismus benötigt: Er braucht Ministerien, Behörden, Beamte. Und er braucht Geld, um das alles zu bezahlen. Dafür muss er Steuern erheben.

Mit den Steuern ist das so eine Sache. Steuern sind ja Gelder, die die freien Wirtschaftsbürger durch eigenen Fleiß und Antrieb verdient haben und die ihnen der Staat wegnimmt. Ist das nicht schon ein Angriff auf die Freiheitsrechte? Ultrakonservative Philosophen wie Robert Nozick beantworten schon diese Frage mit "Ja". Nozick: "Die Besteuerung dessen, was ein Mensch durch Arbeit erworben hat, ist gleichbedeutend mit Zwangsarbeit. Das ist, als würde man eine Person dazu zwingen, n Stunden für den Nutzen eines anderen zu arbeiten."

Grundsätzlich sind Neukonservative der Ansicht, dass wir alle bessere Güter und Dienstleistungen zur Verfügung haben werden, wenn überall so viel Wettbewerbsgeist wie möglich herrscht.

In vielen Fällen ist das so selbstverständlich, dass es trivial ist: Ein Friseur schneidet nicht prinzipiell zuerst jenen Menschen die Haare, die seine Dienste am notwendigsten haben, wie etwa zotteligen Langhaarigen, sondern jenen Menschen, die in seinen Laden kommen und ihn dafür bezahlen. Für Neukonservative ist sonnenklar, dass man dieses Prinzip auf so viele Bereiche wie möglich ausweiten sollte, und damit beginnen die Fragwürdigkeiten: Ob etwa Privatfernsehkanäle, die miteinander in einem harten Wettbewerb stehen, dazu geführt haben, dass wir "bessere" Güter zur Auswahl haben, ist ja wohl kaum zu behaupten.

Manche radikalen Ideologen legen das freie Wettbewerbsprinzip auf ganz eigentümliche Weise aus: Warum sollen Ärzte denen helfen, die es gerade am nötigsten haben?, fragt Robert Nozick. "Muss denn ein Gärtner seine Dienste auf jene Grünflächen richten, die es am nötigsten haben? Aber inwiefern unterscheidet sich die Situation des Arztes von der des Gärtners?" Ist es nicht ungerecht, von einem Arzt zu verlangen, er solle einen Hungerleider retten, nur weil der gerade abzuleben droht, wenn er gleichzeitig einer wohlhabenden Witwe eine Schönheitsoperation verpassen könnte?

In letzter Konsequenz sollen alle rhetorischen Verrenkungen der Konservativen die These untermauern, es sei keineswegs gerecht, mehr Gleichheit unter den Menschen herzustellen, und abgesehen davon würden alle Versuche in diese Richtung ausschließlich kontraproduktive Wirkungen haben.

In Wirklichkeit sind die neokonservativen Politikvorschläge nicht nur ungerecht, sie haben auch für ein Gemeinwesen nachteilige Wirkung. Dagegen zielen wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen darauf ab, die gröbsten Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu beheben, und sie haben das Ziel, Ungleichheiten zu verhindern, indem etwa in ein allgemeines Schulsystem investiert wird oder in Kindergärten, sodass die Startnachteile von Kindern aus unterprivilegierten Schichten etwas ausgeglichen werden. Sie haben aber auch gesamtwirtschaftlichen Nutzen, weil eine breitere Basis gut ausgebildeter Arbeitskräfte für eine moderne Wirtschaft notwendig ist.

Die Angriffe auf das Gleichheitsprinzip sind derart zentral in der Weltanschauung der Konservativen, dass sie eine ganze Reihe elaborierter Argumente vorbringen, die sich um zwei Basispostulate gruppieren. Erstens: Materielle Ungleichheiten, mögen sie auch noch so schroff sein, sind gar nicht ungerecht. Zweitens: Die Ungleichheiten zwischen den Menschen, mögen sie vielleicht auch ungerecht sein, sind funktional für eine prosperierende Gesellschaft. Ungleiche Verteilung, so eines dieser Argumente, könne nur dann als "ungerecht" charakterisiert werden, wenn sie auf illegitimen Wegen zustande gekommen ist.

Der Fluchtpunkt dieses Arguments ist natürlich, dass eine freie marktwirtschaftliche Gesellschaft genau eine solche gerechte "Meritokratie" ist, dass also diejenigen, die viel haben und damit materielle, soziale und politische Macht konzentrieren, wohl diejenigen sind, die das verdienen.

Die Konservativen, die ihre Haltungen ja als "wertebasiert" ansehen, gehen in einem letzten Schritt sogar so weit, sozialstaatliche Maßnahmen als "unmoralisch" zu verdammen. Man solle den Armen die Stütze kürzen oder ganz streichen.

Konservative sind der Meinung, dass die Familie sehr wichtig ist. Sie ist der beste Platz, um als Kind aufzuwachsen, und sie ist ein wichtiger stabilisierender Faktor einer Gesellschaft. Aber für sie ist die Familie ein ökonomischer Mikroorganismus. Ein guter Vater ist nicht jemand, der mit seinen Kindern spielt oder ihnen sagt, dass er sie liebt, ein guter Vater ist einer, der arbeiten geht, um seine Kinder zu ernähren. Die Mutter, schreibt der einflussreiche neukonservative Denker Irving Kristol, "darf arbeiten, aber er muss arbeiten, weil Vaterschaft und Arbeiten sind dasselbe."

Der zeitgenössische Kapitalismus und der Wohlfahrtsstaat haben nun aber folgendes Resultat gezeitigt. Erstens: Frauen wollen arbeiten, weshalb sie schon seltener Kinder bekommen. Und wenn sie Kinder haben und arbeiten, können sie sich auch trennen - sei es, weil sie selbst über Einkommen verfügen; sei es, weil sie wissen, dass sie Sozialhilfe erhalten, also weder verhungern noch auf der Straße landen werden. Das beeinflusst das Verhalten der Frauen.

Aber es beeinflusst auch das Verhalten der Männer. Denn es gilt: "Wohlfahrt nimmt dem Familienoberhaupt seine ökonomische Funktion und macht aus ihm einen ,überflüssigen Mann'." (Kristol)

"Wohlfahrtsstaatliche Leistungen verringern die Kosten unehelicher Kinder und ermutigen die Frauen, auf einen Haushalt mit dem Vater ihrer Kinder zu verzichten. Und umgekehrt fühlen sich Väter weniger verantwortlich für ihre Kinder", behauptet der Berliner Universitätsprofessor Norbert Bolz, um dann in der milieutypischen Überspanntheit hinzuzufügen: "In Schweden ist der anonyme Steuerzahler schon ganz selbstverständlich an die Stelle des Ehemannes getreten."

Von der erstaunlichen "Entdeckung", dass die Hilfe für arme Familien nicht etwa zur Verbesserung der sozialen Lage, sondern im Gegenteil zu deren Verschlechterung beiträgt, sind die neuen Konservativen derart elektrisiert, dass sie geradezu außer Rand und Band geraten. Im Überschwang nennen sie die "unverheirateten Mütter und ihre Babys" schon mal ein "menschliches Desaster".

Nun, ich bin schon mehreren alleinerziehenden Müttern begegnet. Aber ich wäre nie auf den Gedanken verfallen, dass es irgendeine Hilfe für diese Mütter wäre, wenn ich sie und ihre Kinder als "menschliches Desaster" beschimpfe.

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