Betrug beim Call-TV-Sender 9Live: Hinters Licht geführt
Beweise gab es bisher keine. Nun aber wurde ein Fall publik, in dem der Anrufsender 9Live betrogen hat. Doch der findet seine Spielchen fair - und beschuldigt zwei Exmitarbeiter.
Es wäre so einfach, bei 9Live viel Geld zu gewinnen. Man müsste etwa nur Schiller kennen, "Turandot", zweiter Aufzug, erster Auftritt, wenn Truffaldin zu Brigella sagt: "Doch, wer die stacheligten Rätsel nicht auflöst, die seine Frau ihm in der Eh aufgibt, der ist verlesen und verloren!", und wissen, dass die Rätsel ursprünglich "stachelicht" waren.
Dann müsste man nur nachts um eins anrufen, wenn im Programm seit Stunden verdeckte Begriffe auf einer Tafel gesucht werden, die auf "-licht" enden. Schließlich müsste man nur noch durchkommen und eine hohe "Geldleitung" treffen. Und schon wäre man um mehrere zehntausend Euro reicher.
Oder auch nicht. Denn "Stachelicht" gehörte neben "Büchsenlicht", "Auerlicht", "schwindlicht" und "Andienungspflicht" zwar zu den Begriffen, die am 18. November 2008 bei 9Live abgeklebt auf einer großen Folie standen. Man kann sich aber nicht sicher sein, dass der Anrufsender das auch zugegeben hätte, wenn man mit der richtigen Antwort durchgekommen wäre.
Die Folie mit den noch verdeckten Begriffen ließ der Moderator Max Schradin nämlich für eine halbe Stunde aus dem Sichtfeld der Zuschauer verschwinden, bevor er die Lösungen zeigte. Eine halbe Stunde, in der 9Live die Folie nach Belieben hätte manipulieren können - und genau das nach Angaben eines Insiders auch getan hat.
Die Spiele bei 9Live sind so konstruiert, dass sie die Gewinnmöglichkeiten des Senders maximieren und die der Zuschauer minimieren. Unter den Begriffen, die in vielen Spielen gesucht werden, sind meistens eine Handvoll leichte Lösungen, die schnell erraten werden, wenn es nur um kleine Beträge geht. Danach erhöht 9Live die Gewinnsumme erheblich - und baut darauf, dass die restlichen Antworten nicht nur schwer, sondern praktisch gar nicht zu erraten sind. Nennt ein Anrufer trotzdem einen dieser Begriffe, hat der verantwortliche Producer ein Problem, weil das Verhältnis von Einnahmen zu Ausgaben nicht mehr stimmt.
An jenem 18. November sollen sich nach Angaben des Insiders die Verantwortlichen für eine rustikale Lösung dieses Problems entschieden und die Antworten einfach nachträglich verändert haben. Ein Anrufer hatte "Stearinlicht" gesagt. Dieser Begriff soll tatsächlich gesucht worden sein, wurde aber als falsch gegeben. Für den Verdacht, dass 9Live seine Zuschauer nicht nur in die Irre führt, sondern Spiele handfest manipuliert, hatte es immer schon Indizien, aber kaum Beweise gegeben. In diesem Fall sollen Mitarbeiter aus dem Studio bei der Geschäftsleitung protestiert haben. 9Live kündigte daraufhin den Producern.
Wie der Anrufer überhaupt auf "Stearinlicht" kam, ist rätselhaft, insbesondere, da es sich um einen regelmäßigen Mitspieler und auffallend häufigen Gewinner handelte. 9Live macht keine Anstalten, Licht in die Sache zu bringen. Geschäftsführer Ralf Bartoleit sieht in dem Fall einen Beweis, "dass unsere internen Kontrollmechanismen funktionieren". Er schreibt auf der Homepage des Senders von einem "gravierenden Fehlverhalten" zweier Mitarbeiter, lehnt aber jede konkrete Stellungnahme ab. Er will weder erklären, warum Moderator Max Schradin sich offenbar an der Manipulation beteiligte, noch ob der Anrufer im Nachhinein den vollen Gewinn ausgezahlt bekam. Das hat Bartoleit immerhin gegenüber der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien beteuert. Details über den Vorfall hat 9Live aber auch ihr bislang nicht genannt.
Der Sender mit dem undurchsichtigen Geschäftsgebaren gehört zu ProSiebenSat.1 und produziert für die anderen Programme in der Familie nicht nur eigene Varianten der zweifelhaften Anrufsendungen, sondern wickelt auch die allgegenwärtigen Telefongewinnspiele ab. Die Erlöse aus dem Call-TV-Geschäft gehen in Deutschland allerdings zurzeit zurück.
Das wird sich nicht bessern, wenn voraussichtlich von April an Verstöße gegen selbstverständliche Mindeststandards von Transparenz und Fairness, wie sie die Landesmedienanstalten entwickelt haben, auch mit Geldbußen geahndet werden können. Die Aufsichtsbehörden, die sonst bekannt dafür sind, ein bis zwei Augen zuzudrücken, scheinen mit ihrer Geduld am Ende. Ungewöhnlich scharf kritisierten die Medienwächter jetzt die Sender. Mehr als 30 Verstöße gegen die Gewinnspielregeln hätten sie in den vergangenen Monaten festgestellt, bei 9Live, DSF, Tele 5 und Kabel eins.
Ein Sprecher der Landesmedienanstalt NRW sprach von "teilweise betrügerischen Machenschaften", der Chef der zuständigen Kommission drohte gar mit Lizenzentzug, sollten die Sender die Regeln nicht befolgen. Bei 9Live fühlt man sich - natürlich - nicht angesprochen und behauptet, der Sender stehe "für Fairness, Transparenz und Chancengleichheit".
Und für Schiller in der Originalschreibweise von 1801, natürlich. Obwohl die BLM nach einer Zuschauerbeschwerde zu dem Schluss gekommen ist, dass "stachelicht" und "schwindlicht" nicht dem "allgemeinen Sprachgebrauch" entnommen und als Begriffe unzulässig sind, und den Sender zu einer Stellungnahme aufgefordert hat. Eine Antwort steht noch aus.
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