Anschlagsserie in Kabul: Totaler Taliban-Terror

Einen Tag vor dem Besuch des US-Sondergesandten greifen Taliban mehrere Regierungsgebäude in Kabul an. Mindestens 27 Menschen werden bei den Bombenanschlägen getötet.

Zerstörung pur: Auf den Straßen Kabuls liegen Trümmer und Leichen. Bild: dpa

KABUL taz Die Taliban in Kabul haben eine Antwort auf die in Afghanistan laufende Aufstockung der US-Truppen gegeben. Mehrere Gruppen von Bewaffneten attackierten gestern gleichzeitig Regierungsgebäude in mehreren Teilen der afghanischen Hauptstadt: die dicht beieinander liegenden Ministerien für Justiz und für Finanzen im Zentrum, das Erziehungs- und das Innenministerium weiter westlich, das Oberste Gericht in Richtung Flughafen, eine Behörde sowie einen Polizeikonvoi im Norden der Stadt. Dabei kamen nach bisherigen Angaben bis zu 27 Menschen ums Leben, darunter 8 der Angreifer und mindestens 6 Polizisten. Etwa 50 Menschen wurden verletzt.

Am Vormittag fuhren immer wieder Ambulanzen mit Blaulicht Verletzte in die umliegenden Krankenhäuser. Afghanische Fernsehsender zeigten Bilder von Autos mit zersplitterten Scheiben, Polizisten mit schusssicheren Westen und Helmen sowie Fahrzeuge der Sicherheitskräfte mit aufgepflanzten schweren Maschinengewehren. Die Angreifer hatten Schnellfeuerwaffen und Granaten dabei und trugen zum Teil Sprengstoffwesten. Der Sturm auf die Gefängnisdirektion, die im Nordkabuler Stadtteil Khairkhana gerade ein neues Gebäude bezogen hatte, war schnell vorbei. Ein Selbstmordattentäter wurde noch auf der Straße von Polizisten mit einer Panzerfaust gestoppt. Der zweite gelangte in das Gebäude, wo er sich im zweiten Stock in die Luft sprengte. Dabei tötete er 10 Menschen und verletzte 30.

Im Justizministerium hatte sich bis in den späten Nachmittag hinein mindestens ein Attentäter verschanzt, der ebenfalls Sprengstoff dabeihatte. Fünf Bewaffnete hatten zunächst angegriffen. Zwei wurden während des ersten Ansturms getötet, ein weiterer später im Innern des Gebäudes. Der letzte Angreifer wurde gegen 16 Uhr Ortszeit erschossen. Die umliegenden Straßen waren von der Polizei abgesperrt. Viele Mitarbeiter des Ministeriums flüchteten bereits am Vormittag durch Fenster im zweiten Stock aus dem Gebäude. Mindestens drei starben während der Schießerei. Justizminister Muhammad Sarwar Danesch musste sich zwischenzeitlich mit Leibwächtern in seiner Dienststelle verbarrikadieren. Er wurde erst am frühen Nachmittag hinausgebracht.

Der Angriff auf das Erziehungsministerium scheiterte. Ein Angreifer wurde erschossen, bevor er in das Haus eindrang. Im Innenministerium wurde ein Attentäter außer Gefecht gesetzt. Auch ein Angriff auf das Oberste Gericht soll fehlgeschlagen sein.

Die Zahl der Opfer dürfte weiter steigen. Parlamentsmitglied Daud Sultanzoy sagte der taz, Angreifer hätten von den Dächern zweier Ministerien aus auf Passanten geschossen. Das wurde inoffiziell aus Sicherheitskreisen bestätigt. Taliban-Sprecher Zabihullah Mudschahed begründete die Aktion mit "Misshandlungen unserer Gefangenen" in afghanischen Haftanstalten und der "Ignoranz des Justizministeriums". Es ist bekannt, dass in afghanischen Gefängnissen regelmäßig gefoltert wird. Laut afghanischen Augenzeugen sollen einige Angreifer Urdu gesprochen haben. Sie müssten also aus Pakistan stammen.

Die Anschläge erinnern an die Attacke auf Kabuls einziges Viersternehotel vor einem Jahr. Damals hatten Bewaffnete erst die Wachen vor dem Hotel erschossen, drangen dann ins Innere vor und feuerten auf Gäste und Mitarbeiter. Das Ausmaß der Anschläge und ihr Muster, so Sultanzoy, weist auch Parallelen zu den Anschlägen im indischen Bombay am 26. November 2008 auf. Der Parlamentarier spricht von einem "gewaltigen blauen Auge" für den neuen Innenminister Hanif Atmar. Noch letzte Woche hatte der Geheimdienst triumphierend die Verhaftung von 17 Personen bekannt gegeben, die zu einem terroristischen Ring gehört haben sollen, der unter anderem für einen Anschlag am 17. Januar vor der deutschen Botschaft in Kabul verantwortlich gewesen sein soll.

Taliban erschossen am Wochenende einen Distriktpolizeichef und den Sekretär eines Provinzrates in Ostafghanistan, einen hohen Geistlichen in Kandahar und enthaupteten den Flüchtlingsbeauftragten im südafghanischen Helmand. Zwei Tage später starben zwei US-Soldaten und ein afghanischer Zivilist bei Sprengstoffanschlägen.

Russland betonte gestern, es sei bereit, den USA und der Nato beim Kampf gegen die Taliban und al-Qaida zu helfen. Dafür will Moskau möglicherweise auch Waffentransporte über sein Territorium nach Afghanistan erlauben und eigene Militärflugzeuge zur Versorgung der ausländischen Truppen einsetzen.

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