Europäische Regulierungsvorschläge: Kontrolle ohne Bodenhaftung
Wirtschaftsexperten zweifeln an der Umsetzung der neuen europäischen Regulierungsvorschläge. "Die Vorschläge können noch nicht alles gewesen sein", sagte der Chefvolkswirt des IMK-Instituts.
Vorsichtiger Optimismus bestimmte am Montag die Reaktionen unter Finanzfachleuten auf die Initiative zur Finanzmarktregulierung, die eine Gruppe von EU-Ländern am Wochenende in Berlin vorgelegt hat. "Die Richtung stimmt, aber die Vorschläge der EU-Staaten können noch nicht alles gewesen sein", sagte Ökonom Gustav Horn, der Chefvolkswirt des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK).
Am Sonntag hatten sich acht EU-Staaten auf eine gemeinsame Marschrichtung zur Regulierung der globalen Finanzmärkte geeinigt. Dazu gehören Deutschland und Großbritannien, Frankreich sowie Italien. Auch Spanien, die Niederlande, Tschechien und Luxemburg sind dabei. Als zentrales Anliegen formulierten sie das Ziel, in Zukunft alle Finanzmärkte und alle Marktteilnehmer weltweit einer lückenlosen Aufsicht oder Regulierung zu unterstellen. Zudem wollen sie entschlossen gegen Steueroasen vorgehen und Staaten sanktionieren, die beim Kampf gegen Steuerhinterziehung nicht kooperierten.
Neben Horn reagierten am Montag auch andere Finanzfachleute mit einer Mischung aus Optimismus und Skepsis auf die EU-Initiative. "Die EU-Erklärung spricht die richtigen Punkte an. Der Teufel steckt aber im Detail", sagte Ortwin Runde, Finanzexperte in der SPD-Bundestagsfraktion. Eine bessere Regulierung könne nur erreicht werden, wenn die USA mit im Boot seien: "Die USA betätigen sich zurzeit aber noch mehr als Feuerwehr, als sich mit Regulierungsplänen zu beschäftigen."
Runde war in der vergangenen Woche mit dem Finanzausschuss des Bundestages in den USA unterwegs, um sich dort mit Finanzexperten zu beraten. Sein Fazit: "Die Situation weltweit ist noch viel dramatischer, als sich das viele bislang vorstellen. Auf die Banken rollt gerade die nächste Welle zu." Besonders kritisch sei die Lage in Ost- und Mitteleuropa. "IWF und Weltbank rechnen allein für diese Region mit einem zusätzlichen Finanzbedarf von 400 Milliarden Euro." Für die europäische Regulierungsinitiative sieht Runde nur eine Chance: "Die EU muss als gutes Vorbild für Regulierung in ihrem Wirtschaftsraum vorangehen. Nur so lässt sich Druck auf die USA ausüben".
"Die Ernsthaftigkeit dieser Vorschläge misst sich daran, ob die EU bereit ist, in ihrem Wirtschaftsraum das umzusetzen, was sie international einfordert", glaubt auch Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Dafür gebe es bisher aber kaum Anzeichen. Schon in der Vergangenheit fand sich etwa bei der Reform des Aufsichtsrechts für Versicherungen innerhalb der EU keine Mehrheit für wirksamere Aufsichtsinstrumente. "Hier haben die EU-Finanzminister ein echtes Glaubwürdigkeitsproblem", sagte Schick.
Auch Wolfgang Gehrke, Professor für Bank- und Börsenwesen an der Universität Nürnberg, ist skeptisch: "Die Bewährungsprobe für diese Absichtserklärung der Europäer kommt erst, wenn sie in die Realität umgesetzt wird." Eine internationale Aufsicht sei nur so stark wie ihre Sanktionsinstrumente.
Die Experten kritisieren zudem, dass zentrale Instrumente für die Regulierung der Finanzmärkte in der EU-Initiative nicht einmal erwähnt werden. "Dazu gehört etwa eine Umsatzsteuer auf Finanztransaktionen, das Verbot außerbilanzieller Risiken, eine Begrenzung von Devisenspekulationen sowie ein globales Kreditregister", sagte Gerhard Schick. Und Gustav Horn kritisierte: "Die globalen Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen der Länder werden in der EU-Initiative nicht angesprochen."
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