Integration behinderter Kinder: Schluss mit dem Sonderschulweg

Der Sozialverband Deutschland fordert, dass behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam die Schule besuchen - so wie im Rest Europas.

"Die Ausgrenzung von Schülern in ein Sondersystem ist der falsche Weg", so Sozialverbandspräsident Adolf Bauer. Bild: dpa

Der Sozialverband Deutschland verlangt, dass der gemeinsame Schulbesuch von behinderten und nichtbehinderten Schülern zur Regel wird und nicht wie bisher die Ausnahme bleibt. "Die Ausgrenzung von Schülern in ein Sondersystem ist der falsche Weg", sagte Sozialverbandspräsident Adolf Bauer am Dienstag in Berlin.

Von Bund und Ländern verlangte der Sozialverband ein Aktionsprogramm mit einem verbindlichen Zeitplan, um zu einem inklusiven Bildungssystem zu kommen, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention vorschreibt. Bauer nannte dies "eine der zentralen bildungspolitischen Aufgaben der nächsten Jahre".

Bisher werden in Deutschland nur rund 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit sogenanntem sonderpädagogischen Förderbedarf in die normalen Schulen integriert. Der Rest landet auf unterschiedlichen Sonderschulen, die inzwischen meist "Förderschulen" genannt werden - und das oft gegen den Willen der Eltern. In Großbritannien, Portugal, Schweden oder Norwegen besuchen mehr als 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Förderbedarf Regelschulen.

Das deutsche Sonderschulsystem verbaue Schülerinnen und Schülern Chancen und isoliere sie sozial, sagte Bauer. Nur 0,2 Prozent der Sonderschüler schaffen das Abitur, 2,2 Prozent einen mittleren Abschluss und 20 Prozent einen Hauptschulabschluss - der Rest steht ohne anerkannten Abschluss da. "Kinder, die auf einer Förderschule waren, haben null Chancen auf dem Arbeitsmarkt", sagte Sozialverbandspräsident Bauer.

Zuletzt besuchten mehr als 400.000 Kinder eine Sonderschule. Die UN-Behindertenrechtskonvention, die der Bundestag und der Bundesrat zum Jahreswechsel ratifiziert haben, verlange eine Integrationsquote von 80 bis 90 Prozent, so der Sozialverband.

Bisher blockieren viele Bundesländer wie etwa Baden-Württemberg und Bayern einen konsequenten Umbau des Schulsystems zu inklusivem Unterricht. In fast allen Bundesländern sind derzeit Klagen von Eltern anhängig, die für ihr behindertes Kind einen Platz in einer normalen Schule einfordern. Bisher gibt es nur in Bremen einen Rechtsanspruch auf gemeinsamen Unterricht.

Offiziell wollen sich die Kultusminister drei Jahre Zeit lassen, um zu erklären, wie sie die UN-Vorgaben umsetzen wollen. "Wir müssen jetzt sofort anfangen und nicht erst 2012", forderte Sozialverbandspräsident Bauer in Anspielung auf die Bummelei der Länder.

Doch selbst dann werde der Umbau zu einem inklusiven Bildungssystem mindestens bis 2020 dauern, so Bauer. Schließlich müssten Lehrkräfte geschult, Gebäude barrierefrei werden - und vor allem die bisher an den Förderschulen angesiedelten Sonderpädagogen in die normalen Schulen geholt werden. "Nicht die Sonderpädagogik ist gescheitert, sondern das System Sonderschule", sagte Bauer.

Die Grünen im Bundestag haben vor kurzem ein Gutachten vorgelegt, wonach bis 2020 alle Sonderschulen aufgelöst werden könnten. Laut dem Papier des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie würde dies jährlich zwischen 1,8 und 4,3 Milliarden Euro kosten.

Eine Abschaffung restlos aller Sonderschulen fordert der Sozialverband hingegen nicht. In manchen Fällen - etwa bei schwer und mehrfach behinderten Kindern - könne der Besuch einer Förderschule auch in Zukunft der bessere Weg sein. Aber in den meisten Fällen, so Bauer, sei die Sonderschule "eine Sackgasse für die Kinder".

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