Filminstallation "Primitive" in München: Verschlafene Witwenstadt

Traumbilder aus Flammen, Blitzen, Zeitmaschinen und Mythen: Das Münchner Haus der Kunst zeigt die Filminstallation "Primitive" des thailändischen Regisseurs Weerasethakul.

"Primitive" von Apichatpong Weerasethakul kann einen unaufdringlich-hypnotischen Sog entwickeln. Bild: dpa

Licht, Träume und Erinnerungen bilden bei Apichatpong Weerasethakul eine unauflösbare Allianz. Das Geschehen auf seinen im Raum schwebenden Leinwänden ist bestimmt von verschiedenen Lichtvariationen. Sie brechen die Dunkelheit auf, zerschneiden sie regelrecht: Neonlampen, Scheinwerfer, Blitze und Explosionen von Feuerwerkskörpern, Feuer, Flammen, Mond und Sonne.

Wie Gedankenblitze oder flüchtige Traumbilder taucht das Licht auf und verschwindet wieder in Weerasethakuls momentan im Münchner Haus der Kunst zu sehender filmischer Installation "Primitive".

Der thailändische Regisseur gilt als "Wiedererfinder" des Kinos, wobei sich seine Filme zwischen Film und Kunst bewegen. Einflüsse der Avantgarde der 60er-Jahre (Andy Warhol und der weniger bekannte Bruce Baillie) sind unübersehbar; mit den Mythen, Fabeln und Geistergeschichten seines eigenen Landes gehen sie eine ungewöhnliche Verbindung ein.

Das Medium der filmischen Installation mit den verschiedenen Möglichkeiten paralleler Projektionen ist für Weerasethakul wie geschaffen. Denn die offene, mäandernde Form seiner Filme lässt sowohl vertraute Erzählformen hinter sich wie auch die Vorstellung des abgeschlossenen Werks. So gibt es Wiederholungen, Zeitschleifen und Brüche wie in dem von der Kritik gefeierten Werk "Tropical Malady" (2004), das eigentlich zwei verschiedene Filme miteinander vereint. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit greifen sie rätselhaft ineinander, wie die Filme auch untereinander eine Art Parallelexistenz führen und nicht chronologisch zu sehen sind.

Auch "Primitive" arbeitet mit bekannten Motiven: dem nächtlichen Setting in der Abgeschiedenheit des Landes, einem der Erzählung zugrunde liegenden Mythos, und nicht zuletzt mit der essenziellen Bedeutung von Erinnerung. "Primitive" ist das Porträt eines Dorfes und seiner Bewohner.

Weerasethakul ist für das Projekt einige Monate nach Nabua gereist, einem verschlafenen Ort im Nordosten Thailands nahe der Grenze zu Laos, der eng mit der Geschichte des politischen Terrors verbunden ist. Von den 60er- bis in die frühen 80er-Jahre hinein wurden dort vermeintliche Kommunisten von der thailändischen Armee gefoltert. Viele Männer flohen in den Dschungel, zurück blieben Frauen und Kinder. Eine Sage aus der Gegend überlagert sich bizarrerweise mit den historischen Tatsachen. Sie erzählt von einem "Witwengespenst", das die Männer entführt und in ein unsichtbares Land bringt. Auf diese Weise kam das nahezu männerlose Dorf zu dem Namen "Witwenstadt".

Weerasethakul ruft die vergessene und verdrängte politische Vergangenheit wach, in dem er die jungen männlichen Nachkommen der Verschleppten porträtiert und mit ihnen gemeinsam einen neuen und geheimnisvollen Ort auferstehen lässt. Dabei geht es ihm nicht um die historische Rekonstruktion von Geschichte, sondern um den Prozess des Erinnern selbst, um die Sichtbarmachung von Erinnerung, die auch Erfundenes miteinschließt.

In symbolischen, manchmal phantomhaften Inszenierungen lässt Weerasethakul Dokumentarisches und Fiktionales auf faszinierende Art und Weise ineinanderfließen. Der Bau eines Raumschiffs mit den Dorfteenagern wird sachlich dokumentiert. Andere Teile innerhalb der Installation sind dagegen sorgfältig inszeniert und muten ausgesprochen filmisch an - wie das geisterhafte Feuerwerk mit seinen in den Himmel schießenden Blitzen, das von den sanften Bewegungen einer Kamerafahrt eingefangen wird.

Im Gegensatz zu den Überwältigungsstrategien ähnlich raumgreifend eingerichteter Film- und Videoinstallationen entwickelt "Primitive" einen unaufdringlich hypnotischen Sog. Der zentral installierte Doppelscreen zeigt den umfassendsten Filmbeitrag, er bildet den Kern der Ausstellung. Auf einem Feld geht eine in Gewändern gehüllte Geisterfigur ganz plötzlich in Flammen auf. Es könnte das Witwengespenst sein, das den Ort endlich von seinem Fluch befreit. Später sieht man Jugendliche, die sich ein futuristisch anmutendes Raumschiff als Schlaf- und Abhänglager angeeignet haben. Einige trinken, andere schlafen friedlich, während eine Offstimme von Zeitmaschinen, Reinkarnation und imaginären Erlebniswelten erzählt. "I had my own television" ist einmal in den Untertiteln zu lesen - ein lapidarer Satz über Erinnerungen und Träume und ihre Verbindung zum filmischen Medium, über das "Kino im Kopf". Weerasethakul macht es sichtbar.

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