Das Comeback des Jürgen Höller: Der Adler und die Hühner
Jürgen Höller verkauft Erfolgsstrategien. Deutschlands „Motivationstrainer Nummer 1“ war zuletzt im Gefängnis gelandet. Doch längst füllt er wieder Hallen. Denn Krisen liegen ihm.
Er hätte das wahrscheinlich als seinen Sieg betrachtet, sagt Jürgen Höller, wenn Bayer Leverkusen damals Meister geworden wäre. Es war seine Zeit, Sommer 2000. Höller fuhr einen roten Ferrari. Er nannte Uli Hoeneß, den Manager der Bayern, einen Wurstkönig, der am Saisonende weinen würde. Er ließ die Bayer-Stars über Scherben laufen und spielte in der Kabine "Chariots of Fire", Hollywoodmusik von Vangelis.
1991: Nachdem er jahrelang eigene Fitnessstudios betrieben und eine Beratungsfirma gegründet hat, beginnt Jürgen Höller, Jahrgang 1963, Motivationsseminare zu geben. Im Laufe der 1990er-Jahre wird der Franke zu einem der bekanntesten Motivationstrainer Deutschlands. Er propagiert „Positives Denken“. In der Dortmunder Westfalenhalle hören ihm 14.000 Menschen zu.
2002: Höllers Pläne, einen Weiterbildungskonzern an die Börse zu bringen, scheitern. Er versucht, vor der Insolvenz Geld zur Seite zu schaffen, und wird zu drei Jahren Haft verurteilt.
2009: Seit fünf Jahren ist Höller wieder frei und gibt für die Firma seiner Frau Seminare. In seinem Buch „Ja!“ erklärt er, „Wie Sie Ihre Ängste, Probleme und Krisen meistern“.
Seine Firma Inline AG, verkündete Höller, würde 2014 als Weiterbildungsimperium eine Milliarde Umsatz machen. Er beriet die Telekom, IBM und die CSU. Jürgen Höller, Erfolgstrainer, Mr. Motivation. Tagesgage: 50.000 Mark. In überfüllten Hallen erzählte er den Leuten, dass sie Adler seien, dass sie fliegen könnten. Ja, du schaffst es!
Ein sonniger Freitagnachmittag im März 2009. Jürgen Höller steht auf und kippt den kalten Kaffee aus seiner eigenen Tasse in irgendeine andere auf dem langen Konferenztisch. Best Western Hotel Lahnstein, im Rhein-Lahn-Saal stehen 600 blaue Stühle in Reihen bereit. Höller, Mitte 40, mittelgroß, mittelhübsch, auffallend freundlich, trägt einen schlichten schwarzen Anzug, weißes Hemd, rote Streifen. 600 Leute werden morgen zu seinem "Power Day" erwartet. Er möchte beweisen, sagt Jürgen Höller, dass er es gepackt hat. Das Unmögliche. "Uns hält keiner mehr auf", sagte Christoph Daum, der Bayer-Trainer, im Sommer 2000 vor dem letzten Spieltag, bevor Leverkusen gegen Unterhaching die Meisterschaft verlor. Sie sind dann noch einmal zusammen bei einem Stromkonzern aufgetreten, 500 Manager, Daum und Höller, schwere Limousinen vor der Halle. Wenig später fanden sie in Daums Haaren Kokain. Und noch ein bisschen später hing Jürgen Höller über der Toilette in seiner Einzelzelle der Justizvollzugsanstalt Würzburg und schrubbte mit einer Zahnbürste die Schüssel sauber. Drei Jahre wegen Untreue und einer falschen eidesstattlichen Erklärung. 6,6 Millionen Euro Schulden.
Wenn man Jürgen Höller, den Erfolgstrainer, heute fragt, was der größte Erfolg in seinem Leben war, sagt Höller: Meine Frau.
Als er am 1. Mai 2004 aus dem Gefängnis entlassen wurde, wusste er nicht, ob die Geschichte mit dem Adler noch funktionieren würde. Sein Verteidiger hatte ihn vor Gericht einen Ikarus genannt. Einen, der zu hoch geflogen war. Die Inline AG war pleitegegangen, Höller hatte versucht, ein paar hunderttausend Euro zu sichern, er hatte beim Offenbarungseid gelogen. Er war erbärmlich abgestürzt. Vom Adler zum Pleitegeier, stand in den Zeitungen. Aber seine Frau hatte ihm in die Zelle geschrieben: "Dieses eine Mal schaffen wir es noch."
Bodo Schäfer, der Money-Coach, neben Höller und dem Niederländer Emil Ratelband (Tschaka!) einer der Großmotivatoren der 90er, empfahl Höller, künftig Beziehungstraining anzubieten statt Erfolgsseminare. "Das Thema ist tot", sagte Schäfer. Die Zeit der Gurus und Päpste für Motivation schien vorbei. Aber sein Herz, sagt Jürgen Höller, sein Herz, das habe gekribbelt, wenn er ans Motivieren dachte. Er hätte ja sonst auch irgendwo Vertriebsleiter werden können. Zu seinem ersten offenen Seminar kamen 14 Teilnehmer. Sie applaudierten.
Höllers neue Firma heißt Life Learning. Sie beschäftigt vier Angestellte, fünf Freiberufler und gehört seiner Frau. Höllers neues Buch heißt "Ja!". Es geht um Ängste, Sorgen und um seine Krise. Es stehen Sprüche darin von Goethe, Nietzsche und Boris Becker.
Es handelt von Leuten, die es schaffen. Von ihm. Im Sommer hat Jürgen Höller sein Skript 54 Verlagen angeboten, sagt er. Nur ein einziger wollte es haben. Dann ging in den USA die Lehman-Bank pleite, und Dutzende Lektoren riefen bei ihm an. Es ist ein Buch, wie gemacht für die Krise. Zu Jürgen Höllers Motivationstag in Nürnberg, wo er es vorstellte, kamen Anfang März mehr als 2.000 Leute, auch der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel hat gesprochen.
Samstagmorgen, die Sonne scheint immer noch, aber im Rhein-Lahn-Saal verdecken die Vorhänge die Sicht auf den Springbrunnen im Hotelpark. "Da ist besetzt", sagt Andrea Erhardt, Reihe zehn, 43 Jahre, vier Kinder, mit dem Einkommen langsam auf der Höhe ihres Mannes. Sie ist auf einer Putzparty als Vertreterin für ProWin angeworben worden. Symbiotische Reinigung und Wellnessartikel, Umweltschutz statt Umweltschmutz, endlich mal das Gefühl, dass es wirklich sauber wird. "Bis zu den Zetteln besetzt", sagt Erhardt, kastanienrote Haare, kurz. Um sie herum viele preiswerte Anzüge, Blöcke auf Oberschenkeln. Gleich kommt Jürgen Höller. Vorher erscheinen noch Erhardts Kolleginnen.
Sie kennt solche Veranstaltungen. Gegen Jammerjunkies, Demotivationsmonster und Gute-Laune-Diebe. Die Tanks wieder vollmachen, sagt sie, damit sie zu Hause den Mann mitreißen kann, den Fahrschulbesitzer, der gerade auf die Kinder aufpasst und das alles kritisch sieht. Damit sie andere Vertreterinnen zum Putzpartyveranstalten motivieren kann, zum Werben, Verkaufen. Provisionsbasis. Vor der Krise hat sie nicht ganz so viel Angst. "Wirtschaftskrisen sind ein absolutes Konjunkturhoch für Direktvertriebe", sagt Erhardt. "Man gönnt sich mal ein anständiges Reinigungsmittel."
Ein Saal voller Finanzmakler, Versicherungsvertreter und Reinigungsmittelverkäuferinnen. Sie stehen sofort auf, geschlossen, als "I`ve Got the Power" von Tina Turner aus den Boxen tröpfelt. Dann: Jürgen Höllers Stimme. Tief, sanft, leicht fränkisch: "Eines schönen Tages fällt ein Adlerei aus seinem Adlerhorst." Da steht er, Dreireiher, rotes Einstecktuch, die Mikrofonknolle schwebt vor dem Mund. Und er sagt, was er immer sagt: Wir sind alle Adler, auch wenn wir zufällig im Hühnerstall gelandet sind. Wir sind Schneeflocken. Einmalig. Individuen. "Ich glaube übrigens auch noch, dass ich ein Adler bin", sagt Jürgen Höller. Und seine Frau und der Schwager kommen auf die Bühne, die Frau im goldenen Blazer, und sie singen "Never Give Up" von Udo Jürgens.
Das ist seine Botschaft, sagt Jürgen Höller: Gib niemals auf. Mit einem blauen Marker schreibt er die Schlagworte des Tages auf ein Papierplakat: 1. Glaube, 2. Wissen + Weisheit, 3. Fleiß. "Egal ob du ein Produkt verkaufst oder eine Dienstleistung verkaufst", sagt Höller, "es geht nur noch um Know-how." Er fasst sich an die Schläfen. Und jetzt noch drei Regeln, schreib sie dir auf: 1. Ab sofort jeden Tag eine Stunde lesen, 2. Mach dein Auto mit Weiterbildungs-CDs zum fahrenden Hörsaal, 3. Besuche, so oft es geht, Weiterbildungsveranstaltungen.
Jürgen Höller, Sohn eines Drehers, sagt, dass er 1.300 Bücher gelesen hat in seinem Leben. Management, Verkaufen, Marketing, Unternehmensführung, Quantenphysik. Zuletzt vor allem Biografien, gerade die von Barack Obama, eine vom Schuhhändler Deichmann und eine von Madonna. Er lese immer zehn Bücher gleichzeitig, sagt Höller, der die Schule mit der mittleren Reife verließ. Er hat sich hochgelesen.
Wenn er vom Gefängnis spricht, sagt er "dieses Hotel". Oder "meine Exerzitienzeit". Gefängnis, Knast, die Wörter tun ihm zu sehr weh, sagt er. Höller kann schwach sein, öffentlich. Er verkauft auch das, als Stärke.
Frag dich nicht ständig, was die anderen denken, sagt Höller. Sei verrückt. Und dann ist wieder Tanzpause, Auflockerungsübung, die Leute fassen sich an den Schultern, massieren sich gegenseitig, Polonaise, Ohren reiben. Höller hüpft über die Bühne, wirft sein Sakko in die Ecke. Anzugweste, vorne schwarz, hinten rot. Er sieht aus wie ein Oberkellner aus einem Oma-Café. Die Menge klatscht und johlt wie beim Gospel-Gottesdienst. Höller, der Prediger, Pastoralreferent der eigenen Life-Learning-Kirche. Seid verrückt! Der neue Höller spricht nicht mehr von Erfolgsstrategien, sondern von Lebensgesetzen, von metaphysischen Lebensgesetzen. Gesetz des Glaubens: Du kannst alles sein, alles haben, wenn du tief genug glaubst. Gesetz der Konzentration: Mach eine Sache richtig statt viele falsch. Die Leute könnten sich das alles selbst sagen, sie haben es ja schon so oft gehört. Sie wollen es aber noch einmal hören. Von ihm.
In der Mittagspause gibt es gegen Essenmarken Gulaschsuppe, Hacksteak, Bockwurst oder Kartoffelsalat. Mitarbeiter der Finanzdienstleister Eufima (Versicherungscheck mit garantierter Ersparnis von 365 Euro pro Jahr, "das geben wir Ihnen schriftlich") oder Formaxx ( "Im Schnitt gehen die Kunden mit 1.000 Euro Vorteil raus") lehnen an runden Stehtischen. Ein junger Versicherungskaufmann kann mit dem ganzen "Tschakalaka" nicht so viel anfangen und nennt es eine "Selbstrechtfertigungsveranstaltung" für Höller. Er wünscht sich mehr praktische Tipps, weniger Esoterik. Einige sehen das so. Der Saal wird nach den Pausen leerer. Andrea Erhardt ist recht zufrieden. Jürgen Höller sitzt an seinem Büchertisch und signiert.
Selbst während der größten Wirtschaftskrise der Welt, Ende der 1920er, seien in den USA nur 25 Prozent der Menschen arbeitslos gewesen, sagt Höller. 75 Prozent hatten einen Job!
Und weil alles, was er heute hier erzählt, nur an der Oberfläche kratzt, empfiehlt Höller ein Dreitagesseminar, Lifing, 1.495 Euro regulär, wer sofort abschließt, zahlt nur 995 Euro. "Investiere in dich", sagt Höller, der mittlerweile fünfmal im Jahr Urlaub macht. Vor eineinhalb Jahren haben seine Gläubiger ihm die Millionenrestschuld erlassen. Ende 2009 wird er beweisen, dass Life Learning um 5 Prozent gewachsen ist, vom Steuerberater beglaubigt. "Jeder ist für seine eigene Konjunktur verantwortlich", sagt Jürgen Höller. Sein Tagessatz sei wieder bei 10.000 Euro, am Wochenende 15.000.
"Hast du dich fürs Seminar angemeldet?", fragt er in der Pause, draußen am Büchertisch. "Warum nicht?"
Jürgen Höller ist ein Verkäufer, der Verkäufer schult, indem er ihnen etwas verkauft. Wie groß sein Erfolg in Lahnstein war, wie viele sein Lifing-Seminar gebucht haben? "Darüber möchten wir nichts sagen", sagt Höller.
Manchmal überlegt er, wer von den drei Großen von damals noch übrig ist. Bodo Schäfer - hatte eine Herzmuskelentzündung, kann höchstens eine Stunde am Tag auftreten. Ulrich Strunz - wäre bei einem Trainingslager auf Mallorca fast gestorben, kann nicht mehr. Emil Ratelband macht immerhin noch einen "Geldmotivationstag" in Salzburg. Und er: Jürgen Höller, der irgendwann aus dem Adlerhorst gefallen ist.
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