Neues Album von Phoenix: Die Löcher sind gestopft

Das neue Album der französischen Band Phoenix wird allerorten hochgelobt. Ist das wirklich die neue Hoffnung des Pop oder bloß der Sound zur Distinktion?

Diese jungen Männer kennen sich bestens aus in der Popgeschichte - vielleicht sogar zu gut. Bild: promo

Manche Mechanismen funktionieren so gnadenlos, dass sie einen uneingeschränkt zum Determinismus bekehren können. Erscheint etwa ein neues Album einer wichtigen Band, bei dem sich die Berichterstattung einheitlich auf die Kernbotschaft "Super!" reduzieren lässt, hat man es bei der Beurteilung mit einem abweichenden Ergebnis schwer. Sofern man selbst beim Hören der Platte halbwegs ruhig sitzen bleiben konnte, muss man sich fragen, ob etwas mit dem eigenen Urteilsvermögen nicht recht stimmt. Natürlich sind kritische Stimmen immer legitim, angesichts einer klaren Frontlage drohen Verrisse aber schnell auf ein bloßes Strukturphänomen reduziert zu werden: Klar, irgendjemand muss ja widersprechen.

Die französische Band Phoenix hat kürzlich ihr viertes Album veröffentlicht. Sie nennt es einigermaßen gelungen bescheuert "Wolfgang Amadeus Phoenix", und in der Presse wird die Sache rauf- und runtergelobt, als würde es danach nie wieder Tonträger geben - oder als sei dieses Jahr nicht schon eine ganze Reihe toller Alben erschienen. Nein, Phoenix sollen es sein, und man mag es den vier Franzosen nicht verdenken, sie sind schließlich eine klasse Band.

Drei Jahre mussten die Fans seit dem Vorgänger "Its Never Been Like That" ausharren. Nun zählen Phoenix nicht zur Sorte Band, bei der das Veröffentlichen eine Akkordtätigkeit ist. Nach ihrem brillant verspielten Debüt "United" von 2000 durften erst einmal vier Jahre ins Land gehen, bis der Nachfolger die Läden erreichte. Von besinnungslosem Raushauen kann da keine Rede sein. So weit ist alles in Ordnung.

Woher aber kommt die jubelselige Euphorie für Phoenix anno 2009? Auf "Wolfgang Amadeus Phoenix" erweckt die Truppe aus Versailles den Eindruck, als wolle sie ihre in der Vergangenheit höchst unterschiedlich zur Entfaltung gebrachten Kräfte bündeln und in Konzentratform präsentieren. Tatsächlich klingt das Resultat wie eine Synthese all dessen, was die Band bisher vorgelegt hat. Die lässigen ersten Gehversuche mit einem Amalgam aus softem Rock, Elektronik und R&B sind in Spurenelementen genauso vorhanden wie der kompaktere Indierock-Entwurf des Quartetts vom dritten Album. Auch einer ihrer frühen Mitstreiter, Philippe Zdar vom Pariser House-Duo Cassius, ist wieder mit von der Partie. Hatte Zdar für "United" bloß ein paar Stücke gemixt, zeichnet er diesmal komplett als Produzent verantwortlich. Die Engführung von elektronischen Klängen und Gitarrengerüst dürfte zu einem guten Teil sein Verdienst sein.

Doch ist "Wolfgang Amadeus" die bisher beste Inkarnation von Phoenix, wie einem alle Welt weismachen will? Ihrem Debüt "United" wurde wahlweise vorgeworfen, es sei überambitioniert oder es gebe darin klaffende Löcher, also Momente nicht ganz so spannenden Musizierens. Diesmal sind die Löcher gestopft. Will sagen: Die Spannungskurve wurde einheitlich abgesenkt. Sämtliche Songs sind emotional so wohltemperiert geraten, dass man beim ersten Hören keine großen Unterschiede bemerkt. Klingt alles gleich vielschichtig, gleich gut produziert, gleich semiinspiriert. Das soll die Hoffnung des Pop sein?

Phoenix arbeiten gewiss subtil und schreiben elegante Melodien, schade bloß, dass sie nicht nur kaum haften bleiben, sondern auch selten jenen Esprit ausstrahlen wie frühere Klassiker à la "Too Young" oder "If I Ever Feel Better". Von der Leidenschaft dieser hingeschüttelten Hymnen lassen die aktuellen Singles "Lisztomania" oder "1901" lediglich blasse Ahnungen durchklingen. Auch nach kultivierten Aussetzern im Stile eines "Funky Squaredance" von ihrem Debütalbum sucht man vergebens. Hier hört man auch nach zahlreichen Durchläufen leider nicht viel mehr als professionell produzierte Langeweile mit einem Anflug von, nun ja, Schmissigkeit.

Der schönste Moment des Albums ist ausgerechnet "Love Like a Sunset Part 1", in dem Sänger Thomas Mars seine Stellung hinter dem Mikrofon aufgibt und den Synthesizern die Melodieführung überlässt. Plötzlich entsteht da wieder eine Ahnung von Lockerheit und Atmosphäre, vielleicht weil das Stück als einziges ohne den verkrampften Gestus des Willens zum Klassiker daherkommt und sich seiner Stimmung hingibt. Nach fünf Minuten aber ist wieder Feierabend.

Vielleicht muss man die fast zeitgleich erschienene, von Phoenix zusammengestellte Kompilation "Kitsuné Tabloid" als Folie betrachten, um zu verstehen, was auf "Wolfgang Amadeus Phoenix" schiefgelaufen ist. Für das französische Hip-Label Kitsuné präsentiert die Band eine Reihe von "Raritäten, die ihr Leben veränderten". Und sie machen ihre Sache wirklich hervorragend, die Auswahl zeigt sie als geschmackvolle Popkenner, denen an Ex-Beach-Boy Dennis Wilson genauso viel gelegen ist wie an der "Soul Queen of New Orleans" Irma Thomas oder dem früh verstorbenen Big-Star-Sänger Chris Bell. Dummerweise ist diese Zusammenstellung interessanter als ihr eigenes Album.

Ausgefeilt sollte "Wolfgang Amadeus Phoenix" im Unterschied zu den Vorgängern werden, ausgefeilt wie ihre Ehrfurcht gebietende Kennerschaft der Popgeschichte. Nur gerät Verfeinerung im Pop nicht immer zu spannenden Resultaten. Bei Phoenix scheint sie eher dazu zu führen, dass sie zu einer Band für distinktionswillige Konsumenten mutieren. Vermutlich machen sie damit eine zunehmend bürgerliche Hörerschaft sehr glücklich und untermauern im selben Zug die These vom schleichend abhandenkommenden Pop-Ganzen. Dass ausgerechnet die Musikform mit den einst besten Aussichten auf eine klassenübergreifende Kultur zum Symptom für die gesellschaftliche Drift wird, ist keine gute Nachricht. "Pop - weil Sie es sich wert sind"? Lieber nicht.

Phoenix: "Wolfgang Amadeus Phoenix" (V2), V. A. "Kitsuné Tabloid" (Kitsuné)

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