piwik no script img

AtomkraftBegrenzte Renaissance

Anders als von der Atomlobby behauptet, ist die Energieform nicht weltweit auf dem Vormarsch. Doch vor allem dort, wo es staatliche Unterstützung gibt, sind neue Reaktoren im Bau.

BERLIN taz | Von einem globalen Wiedererstarken ist die Atomindustrie weit entfernt – aber in einzelnen Ländern droht der Bau neuer Kraftwerke. Zu dieser Einschätzung kommen Atomkraftgegner aus Indien, Bulgarien, Brasilien, Argentinien und Deutschland, die von der Heinrich-Böll-Stiftung am Dienstagabend zur Diskussion geladen wurden.

Ob eine Renaissance der Atomenergie bevorsteht, ist längst zu einer Streitfrage zwischen Befürwortern und Gegnern der Risikotechnologie geworden. Während die Atomindustrie gerne von einem weltweiten Boom spricht, den es nicht zu verpassen gelte, wiegeln Kritiker meist ab: Die Bedeutung der gefährlichen Energieform nehme deutlich ab.

Die Zahlen geben ihnen recht: Weltweit sind 436 Reaktoren in Betrieb, vor sieben Jahren waren es noch acht mehr. Zudem sind laut Atomindustrie momentan 45 Meiler im Bau, in den nächsten zehn Jahren müssen aber vermutlich mehr Reaktoren wegen ihres Alters abgeschaltet werden – die genaue Anzahl variiert je nach angenommener Laufzeit.

Grund zur Freude gibt es für Atomkraftgegner trotzdem nicht. Zumindest nicht für die Aktivisten aus Indien, Bulgarien, Brasilien und Argentinien, die nach Berlin gekommen sind, um sich auszutauschen. In ihren Ländern sollen neue Atomkraftwerke gebaut werden. Bei der Diskussion fällt auf: Es sind immer dieselben Probleme, mit denen sie zu kämpfen haben.

Pablo Bertinat aus Argentinien sieht das Problem in einer „wissenschaftlich-technischen Lobby“, die „sehr stark gegenüber der Regierung“ sei. Auch Albena Simeonova aus Bulgarien berichtet, dass viele Wissenschaftler ihre Arbeit verloren hätten, als zum EU-Beitritt zwei Reaktoren abgeschaltet wurden. Sie hätten ein starkes Interesse an neuen Kraftwerken.

Die Argumente der Atomlobby seien in den verschiedenen Ländern auch stets dieselben: Größere Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und der Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel. Und die Wirtschaftlichkeit? Dafür sorge immer der Staat, erzählen die Atomkraftgegner. In Indien handele es sich um „hundert Prozent staatliche Projekte“, in Bulgarien sollen Gelder der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) abgegriffen werden. Und auch in Brasilien seien es „meist öffentliche Unternehmen, die die Finanzierung übernehmen“.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • BH
    Bernhard H. Johannes Wagner

    Bei der Gelegenheit sei auch daran erinnert,

    dass z.B. schon allein n u r in den weniger als 200 m tiefen maritimen Gewässern Europas - mit einem Abstand von mindestens 5 km zur Küste - durch Windkraftbojen bzw. schwimmende Windkraftanlagen

    m e h r Strom erzeugbar wäre, als alle Atomreaktoren derzeit weltweit erzeugen,

     

    und dies natürlich ohne Tschernobyl-Risiken, ohne Asse-Risiken, ohne Krebs bei Uranminenarbeitern (wie etwa bei vielen von Arewa-Tochterunternehmen im Niger) u.s.w.

  • IN
    Ihr NameJürgen Eiselt

    Wissen es die Technik-Gläubigen nicht besser oder wollen sie es nicht wissen? Die Atomkraft kann den Klimawandel nicht aufhalten. Der Weltenergierat hat 2007 klar und unmissverständlich gewarnt, dass wir nur10 bis 15 Jahre Zeit haben um unsere Energieversorgung (auch Verkehr und Heizungen) auf regenerative Energien umzustellen. Sonst wird sich die Erde unumkehrbar aufheizen.

    Weiterhin wird für 2020 erwartet, dass unsere Atmosphäre kein weiteres CO2 mehr aufnehmen kann. Alle Prognosen treten aktuell viel schneller ein als vorhergesagt.

    Mit diesen Erkenntnissen kann es nicht mehr so weitergehen wie bisher. In Brandenburg wird z. B. von Vattenfall der schwefelhaltige Braunkohleabbau so intensiv betrieben, dass ganze Landstriche zerstört und die Gewässer mit Schwefel verseucht werden.

    Atomkraft ist sicher keine Lösung, zumal die Kritiker vor dem Kühlwasserproblem und einer daraus resultierenden gigantischen Stromlücke warnen. Wir haben es 2003 live erlebt wie Kohle- und Atomkraftwerke runter gefahren oder gar abgeschaltet wurden. In Italien wurde der Energie-Notstand ausgerufen, weil die Flüsse ausgetrocknet waren.

    Die Energiegewinnung aus Biomasse hat sicher Entwicklungschance. Aber die Studien von Universitäten und renommierte Wissenschaftler für das Ziel 100% Strom aus regenerativen Energien nutzen die ungenutzten Dächer mit Solarstrom und im Off-Shore-Windanlagenausbau. Biomasse, Wasserkraft, Geothermie, Wellenkraftwerke und andere solare Energieerzeugungssysteme sind zusätzliche Reserven, zum Beispiel bei Spitzenlasten. Die Technik aller regenerativen Energien funktioniert schon länger, die Produktionskosten, vor allen bei Wind, sind längst konkurrenzfähig und mehrere Speichersysteme für den nächtlichen Grundlastbetrieb sind gesichert durchgerechnet für den 100%-Ersatz von fossilen und atomaren Brennstoffen. Nur mit konsequentem Umstieg haben wir die Chance die sich immer schneller drehende Spirale aufzuhalten.

    Statt CO2 sollte in den Kavernen an der Nordseeküste Druckluft eingelagert werden. Diese wird bei Überproduktion von Wind- und Solarstrom dort gespeichert und bei Bedarf wieder in das Netz zurückgeleitet.

    Da aber wie bei den Bank-Managern die EURO/Dollarbalken in den Augen blinken und offensichtlich auch noch die Ohren verstopft sind steht unsere Gesellschaft nach dem Zusammenbruch des Finanzsystems vor einer neuen, viel bedrohlicheren Situation. Die Profitgierigen Manager und deren politischen Helfer müssen endlich aufhören mit alten Steinzeit-Techniken die Umwelt zu verseuchen und die fundierten Warnungen vor globalen Schäden zu ignorieren. Wer als Manager oder Politiker die Sicherung unserer Lebensgrundlagen mit hochriskanten, aber profitablen Schmutzanlagen aufs Spiel setzt darf nicht mehr in so hoher Position Führungsaufgaben wahrnehmen und muss abdanken.