piwik no script img

Gerichtsurteile zu Hartz IVKaputte Schränke, kalte Zimmer

Das Bundessozialgericht urteilt: Heizkosten dürfen nicht pauschaliert werden. Für unbrauchbar gewordene Möbel nach einem Umzug muss das Jobcenter zahlen.

Schwieriger Gang: Büro für die Bearbeitung des Arbeitslosengeldes II der Arbeitsagentur in Bonn. Bild: dpa

BERLIN taz Wer wissen will, wie in Deutschland Hartz-IV-Empfänger manchmal um einen menschenwürdigen Alltag streiten und in welchen Privatsphären Richter wühlen müssen, der braucht sich nur die Urteile vom Donnerstag anzuschauen, die das Bundessozialgericht in Kassel zum Leistungsbezug fällte.

Das Bundessozialgericht entschied, dass Jobcenter den Empfängern von Arbeitslosengeld II keine Heizkostenpauschale zahlen dürfen, sondern bei einer angemessenen Unterkunft grundsätzlich die tatsächlichen Heizkosten erstatten müssen.

In dem Rechtsstreit hatte eine Familie aus dem niedersächsischen Gifhorn geklagt. Das zuständige Jobcenter hatte der Familie mitgeteilt, dass ihre 100 Quadratmeter große Wohnung zwar zu geräumig sei, aber wegen der niedrigen Miete trotzdem als angemessen gelte. Die hohen Heizkosten wollte das Jobcenter aber nicht zahlen. Die Familie könne ja im Winter einen Raum weniger nutzen, schlug die Behörde vor.

Existenziell wurde es auch für eine Hartz-IV-Empfängerin in Wilhelmshaven. Sie war auf Drängen des Jobcenters in eine billigere Wohnung gezogen und musste daher ein Bett und einen Schrank aufgeben, die Möbelstücke konnten nicht zerlegt und transportiert werden. Dennoch lehnte das Jobcenter die Beschaffung eines neuen Bettes und Schrankes ab, weil dafür ja im Regelsatz des Arbeitslosengeldes II Anteile vorgesehen seien.

Der 14. Senat des Bundessozialgerichtes verdonnerte die Behörde nun dazu, für die Neubeschaffung zu zahlen. Diese sei einer "Erstausstattung" gleichzustellen, die vom Jobcenter in der Regel finanziert wird. Allerdings schränkten die Richter ein: Wenn die Möbel aus ästhetischen Gründen abgelehnt würden, muss das Jobcenter nicht zahlen. Kompliziert liegen die Dinge auch bei Hartz-IV-EmpfängerInnen, die ihre getrennt lebenden Kinder im Rahmen des Umgangsrechts immer nur tageweise betreuen und dafür eine höhere Sozialleistung beanspruchen. Im verhandelten Fall leben die Kinder beim Vater, kamen aber jedes zweite Wochenende und zwei Wochen in den Ferien zur arbeitslosen Mutter. Die vorinstanzlichen Gerichte verurteilten das Jobcenter, der Frau für jeden Betreuungstag pro Kind 6,90 Euro anteiliges Sozialgeld zu gewähren. Das Jobcenter Freiburg lehnte dies aber ab und forderte, das Kindergeld, das an den Vater gezahlt wurde, anteilig zu berücksichtigen.

Das Bundessozialgericht befand, Mutter und Kinder hätten keinen Zugriff auf das Kindergeld und deshalb Anspruch auf das anteilige Sozialgeld. Gegebenenfalls müsse das Jobcenter selbst sich an den Vater mit der Forderung nach Erstattung wenden.

Es gibt allerdings auch sehr fordernde Leistungsempfänger. Das Gericht bekräftigte am Donnerstag erneut, dass die Finanzierungskosten für ein selbstgenutztes Haus nur dann angemessen sind, wenn sie die Kosten für eine vergleichbare Mietwohnung nicht überschreiten.

Geklagt hatte ein Paar, das eine monatliche Schuldzinsbelastung von 1.700 Euro auf seinem 97 Quadratmeter großen Eigenheim hatte und diese Summe bei der Berechnung des gemeinsamen Bedarfs durch die Jobcenter als Unterkunftskosten gelten machen wollte. Der Mann bezog Arbeitslosengeld II, die Frau war Beamtin. (mit dpa/ap)

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

12 Kommentare

 / 
  • WL
    Wolfgang Lörcher

    Gerade das Urteil zu den Heizkosten wurde so schon vom Landessozialgericht Hessen aus dem Jahre 2006. Leider kenne ich außer Kassel-Land niemanden der sich daran hält. In unserem Rechtsstaat ist es anscheinend nicht möglich, solche Urteile bei den Argen und Optionskommunen verbindlich durchzusetzen. Im LAndkreis Fulda muss man, obwohl dem Kreisausschuss bekannt ist, dass er gegen geltende Rechtssprechung verstößt, jeder einzelne LEistungsempfänger sinen Anspruch auf die Erstattung der Heizkosten für sich durchsetzen. Diese millionenfache Unterschlagung von Geldern für LEistungsbezieher ist in unserem Rechtsstaat an der Tagesordnung.

  • U
    Ulysses

    Ihren Kommentar hier eingeben

    In Deutschland gibt es, objektiv gesehen, keine soziale Gerechtigkeit mehr. Wie schon gesagt wurde, werden Privilegierte belohnt, einem arbeitslos gewordenen Mittelständler, der vielleicht noch das Verbrechen begangen hat, 50 Jahre alt zu werden und keinen Job findet, nimmt Hartz4 noch das, was er sich erspart oder erworben hat. Der Gesellschaftsvertrag ist nicht mehr in Kraft!

  • R
    romeikat

    Dieses gerichtsurteil ist wieder systematisch für die Jobcenter die bewußt die letztinstanzlichen gerichtsurteile in der Praxis ignorieren.

    Auch ich habe wieder einaml einen Widerspruch gegen einen rechtswidrigen ALG II Bescheid wegen Kürzungen der heizkosten einlegen müssen

     

    Die BRD definiert sich als demokratischer rechtsstaat, aber die Jobcenter halten sich nicht daran

  • C
    Christian

    Es hat den Anschein als müsse man heutzutage schon Arcandor oder Opel heißen damit sich der Staat um wirkliche Hilfe bemüht!

    ...vielleicht sollten es die Harz4 Empfänger kollektiv den Bänkern gleichmachen: Alles auf Pump und Kredit bezahlen, keinen Skrupel vor Rückzahlungsschwierigkeiten und wenn dann alles den Bach runtergeht merkt die Regierung vielleicht auch mal wie "Systemrelevant" die MENSCHEN (und nicht Banken!) in diesem verqueren Staat sind!

  • H
    Hanna

    Das Urteil zu den Heizkosten ist schon interessant, weil die Jobcenter die Behauptung aufstellen, dass dieser Kostenpunkt an Grenzen gebunden seien.

    Das könnte wohl zu erheblichen Mehrkosten führen.

    Auch das Urteil zur Erstausstattung bei Umzügen ist sehr interessant. Jedenfalls für die Betroffenen, weil Umzüge sehr viel Geld kosten. Und die Jobcenter ganz gut mauern, wenn es um die Kosten geht.

    Schlimm ist allerdings, dass die Betroffenen diese Hilfen nur nach einem Gerichtsverfahren erhalten. Damit müssen die Leute sich das Geld leihen, Reserven aufbrauchen oder eben auf Möbel verzichten - aber wer schläft gerne auf der Erde?

  • A
    Amos

    Das die Politik nicht einsehen will, dass Hartz IV in

    vielen Bereichen gegen die Artikel des Grundgesetzes verstößt. Aber egal, man hält an einem

    politischen System fest, das schon lange auf wackligen Beinen steht, aber bisher noch nicht umgekippt ist. Noch nicht, denn Amerika kippt bereits.Durch ein Bürgergeld würde die Justiz entlastet, das Beamtentum würde weniger Geld kosten,

    die Kriminalität würde zurückgehen usf.

    Wie man weiß gab es in der DDR offiziell keine

    Arbeitslosen, sie wurden"mitgeschleppt" und die

    Industrie war nicht mehr Konkurrenzfähig. Dafür

    gehört die Arbeitslosigkeit im Kapitalismus zum

    System. Es ist also letztends billiger Arbeitslose

    zu haben, als sie zu beschäftigen. "Sie unterstützen" also dieses System. Also sollte man

    sie nicht bestrafen, sondern ihnen einen Orden

    verpassen, weil sie verzichten, damit dieses verlogene System Bestand hat.

  • WL
    Wolfgang Lörcher

    Gerade das Urteil zu den Heizkosten wurde so schon vom Landessozialgericht Hessen aus dem Jahre 2006. Leider kenne ich außer Kassel-Land niemanden der sich daran hält. In unserem Rechtsstaat ist es anscheinend nicht möglich, solche Urteile bei den Argen und Optionskommunen verbindlich durchzusetzen. Im LAndkreis Fulda muss man, obwohl dem Kreisausschuss bekannt ist, dass er gegen geltende Rechtssprechung verstößt, jeder einzelne LEistungsempfänger sinen Anspruch auf die Erstattung der Heizkosten für sich durchsetzen. Diese millionenfache Unterschlagung von Geldern für LEistungsbezieher ist in unserem Rechtsstaat an der Tagesordnung.

  • U
    Ulysses

    Ihren Kommentar hier eingeben

    In Deutschland gibt es, objektiv gesehen, keine soziale Gerechtigkeit mehr. Wie schon gesagt wurde, werden Privilegierte belohnt, einem arbeitslos gewordenen Mittelständler, der vielleicht noch das Verbrechen begangen hat, 50 Jahre alt zu werden und keinen Job findet, nimmt Hartz4 noch das, was er sich erspart oder erworben hat. Der Gesellschaftsvertrag ist nicht mehr in Kraft!

  • R
    romeikat

    Dieses gerichtsurteil ist wieder systematisch für die Jobcenter die bewußt die letztinstanzlichen gerichtsurteile in der Praxis ignorieren.

    Auch ich habe wieder einaml einen Widerspruch gegen einen rechtswidrigen ALG II Bescheid wegen Kürzungen der heizkosten einlegen müssen

     

    Die BRD definiert sich als demokratischer rechtsstaat, aber die Jobcenter halten sich nicht daran

  • C
    Christian

    Es hat den Anschein als müsse man heutzutage schon Arcandor oder Opel heißen damit sich der Staat um wirkliche Hilfe bemüht!

    ...vielleicht sollten es die Harz4 Empfänger kollektiv den Bänkern gleichmachen: Alles auf Pump und Kredit bezahlen, keinen Skrupel vor Rückzahlungsschwierigkeiten und wenn dann alles den Bach runtergeht merkt die Regierung vielleicht auch mal wie "Systemrelevant" die MENSCHEN (und nicht Banken!) in diesem verqueren Staat sind!

  • H
    Hanna

    Das Urteil zu den Heizkosten ist schon interessant, weil die Jobcenter die Behauptung aufstellen, dass dieser Kostenpunkt an Grenzen gebunden seien.

    Das könnte wohl zu erheblichen Mehrkosten führen.

    Auch das Urteil zur Erstausstattung bei Umzügen ist sehr interessant. Jedenfalls für die Betroffenen, weil Umzüge sehr viel Geld kosten. Und die Jobcenter ganz gut mauern, wenn es um die Kosten geht.

    Schlimm ist allerdings, dass die Betroffenen diese Hilfen nur nach einem Gerichtsverfahren erhalten. Damit müssen die Leute sich das Geld leihen, Reserven aufbrauchen oder eben auf Möbel verzichten - aber wer schläft gerne auf der Erde?

  • A
    Amos

    Das die Politik nicht einsehen will, dass Hartz IV in

    vielen Bereichen gegen die Artikel des Grundgesetzes verstößt. Aber egal, man hält an einem

    politischen System fest, das schon lange auf wackligen Beinen steht, aber bisher noch nicht umgekippt ist. Noch nicht, denn Amerika kippt bereits.Durch ein Bürgergeld würde die Justiz entlastet, das Beamtentum würde weniger Geld kosten,

    die Kriminalität würde zurückgehen usf.

    Wie man weiß gab es in der DDR offiziell keine

    Arbeitslosen, sie wurden"mitgeschleppt" und die

    Industrie war nicht mehr Konkurrenzfähig. Dafür

    gehört die Arbeitslosigkeit im Kapitalismus zum

    System. Es ist also letztends billiger Arbeitslose

    zu haben, als sie zu beschäftigen. "Sie unterstützen" also dieses System. Also sollte man

    sie nicht bestrafen, sondern ihnen einen Orden

    verpassen, weil sie verzichten, damit dieses verlogene System Bestand hat.