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Kopierschutzchaos vom FeinstenAmazon löscht E-Books

Amazon kann bereits gekaufte Bücher vom Kindle-Lesegerät nachträglich löschen. Das passierte nun ausgerechnet aus Copyright-Gründen bei Werken von George Orwell.

Blöd, wenn nach dem zweiten Kapitel plötzlich das Buch weg ist. Bild: reuters

In "1984", dem zentralen Werk des britischen Totalitarismuskritikers George Orwell, ist ein diktatorischer Staat beschrieben, der Menschen, die bei ihm in Ungnade gefallen sind, einfach nachträglich aus den Geschichtsbüchern tilgt - in industriellem Maßstab. Eine solche Schreckensvision, zumindest technisch, demonstrierte nun der E-Commerce-Riese Amazon bei seinem E-Book-Reader Kindle - und zwar ausgerechnet an Büchern Orwells.

Der Spuk betraf amerikanische Benutzer, die Orwells Werke - neben "1984" unter anderem auch "Animal Farm" - in Amazons Online-Buchladen erworben und auf ihr Lesegerät heruntergeladen hatten: Die digitalen Kopien für 99 US-Cent pro Stück waren Ende letzter Woche plötzlich nicht mehr auffindbar. Stattdessen fanden die verwirrten Kunden etwas später Gutschriften in gleicher Höhe auf ihrem Amazon-Konto vor. "Ich habe heute E-Mails erhalten, dass mir Amazon für "Animal Farm" und "1984" Geld zurücküberwiesen hat und sie sind gleichzeitig vom Kindle verschwunden", schreibt eine Nutzerin. Sie habe die Gutschriften nicht angefordert. "Kann sich das jemand erklären?"

Des Rätsels Lösung: Der Internet-Konzern hatte offensichtlich vor dem Verkauf der Titel nicht überprüft, dass der Verkäufer entsprechende Rechte hatte; es handelte sich um digitale Raubdrucke. Aus diesem Grund habe man die Titel löschen müssen, hieß es von Amazon inzwischen in einer Stellungnahme - auf Druck der Copyright-Besitzer Orwells, dessen Werk in den USA noch nicht gemeinfrei ist. "Nachdem wir vom Rechteinhaber informiert wurden, entfernten wir die illegalen Kopien von unserem System und von den Geräten der Kunden", bestätigte ein Sprecher gegenüber der "New York Times". Dass man die Nutzer nicht informiert, sondern sofort gelöscht habe, bedauere man aber.

Offensichtlich war das nicht der erste Vorfall dieser Art - laut Kommentaren in Web-Foren killte Amazon auch schon rechtlich nicht abgesicherte Kopien von Harry Potter-Büchern und Werken von Ayn Rand nach dem Kauf vom Kindle.

Technisch gesehen ist das nicht besonders schwer: Der E-Book-Reader, den Amazon gerne auch nach Europa holen würde, besitzt eine Dauerverbindung ins mobile Internet. Darüber liefert der Konzern die bezahlten Inhalte, üblicherweise ab 99 US-Cent pro Titel, Bestseller ab 9 Dollar 99, direkt auf die Geräte. Drahtlos ist, so zeigen es nun Fall Orwell und Co., problemlos auch ein Löschbefehl möglich. Dass er ohne Information ausgeführt wird, ist allerdings mehr als dreist.

Amazon ist nicht der erste Anbieter, der solche Systeme nutzt - so arbeiten etwa Musikabodienste mit einer ähnlichen Technik, die Nutzern nach Kündigung der monatlichen Subskription den Zugang zu ihren bereits heruntergeladenen Songs verwehrt. Auch lässt sich beispielsweise Apples iPhone per Befehl von außen löschen. Gemein ist allerdings all diesen Diensten, dass der Nutzer sich dessen zumeist bewusst ist. Beim Kindle scheint es laut "New York Times" nicht einmal in den Geschäftsbedingungen zu stehen. Kunden erhielten nach diesem Vertrag nämlich eine "permanente Kopie der entsprechenden digitalen Inhalte".

Das Beispiel zeigt, welche Möglichkeiten Händler und Medienindustrie dank moderner Kopierschutzverfahren inzwischen in den Händen halten. Neben dem nachträglichen Löschen sind auch Trackingfunktionen möglich, so findet sich etwa in jedem bei iTunes erworbenen Song die E-Mail-Adresse in der Datei, um nachträglich Ausgangsquellen von Raubkopien dingfest machen zu können.

Für den Nutzer hat die Technik eigentlich nur Nachteile: Er muss sich stets anmelden, bevor er auf bereits voll bezahlte Medienprodukte zugreifen kann und verliert möglicherweise den Zugriff auch wieder, sollte der Händler irgendwann sein Geschäft (und die dazugehörigen Kopierschutzserver zur Abfrage "digitaler Rechte") aufgeben. Bibliotheken wiederum kämpfen mit einer kaum noch zu überblickenden Vielzahl an Formaten, die die Archivierung digitaler Kulturprodukte immer schwieriger macht. Und selbst den Medienproduzenten hilft das Kopierschutzchaos wenig: Harte Verfahren spornen Raubkopierer sogar noch an, sie zu brechen. Bei Amazon heißt es inzwischen, man werde seine Politik des nachträglichen Löschens ändern und seine Server entsprechend umstellen.

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11 Kommentare

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  • B
    babsi

    Das wird ja immer besser im digitalen Reich- Alles braucht neue updates und Zustimmung und kauft man sich Bücher, Songs etc. digital ist man wie in diesem Fall doch kein rechtmässiger Eigentümer- Bäh!

     

    Was schwarz auf weiss besitzt- das nimmt man getrost heim- so oder so ähnlich hat es doch Goethe gesagt- daher lob ich mir die Bücher und CDs wo ich noch drin wühlen kann.

  • I
    Ihr.Name

    "Auch lässt sich beispielsweise Apples iPhone per Befehl von außen löschen." - Wie Apple das macht, würde mich mal interessieren... einfach 10 Zeilen code übers Internet verschicken und schwupps... ist dein Handy weg :)

  • EL
    Erwin Lindemann

    Das Wort *Urheber*Recht ist schon bewusste Irreführung! Der Urheber (in diesem Fall George Orwell)oder seine Erben haben ja nur wenig davon, wenn überhaupt. Die Rechte liegen beim Verlag, nicht beim Autor! Es müsste somit richtigerweise Verlagsrechte heißen. Das Gleiche gilt auch bei Musik. Der Absahner ist vor allem die Plattenfirma, erst in zweiter Reihe der Musiker. Es ist daher mehr als scheinheilig, wenn die Industrie auf eine Verlängerung des "Urheber"rechts von derzeit 70 auf künftig 100 Jahre drängen. Der eigentliche Urheber hat da doch gar nichts von, oftmals nicht einmal die Erben, sondern bloß die Firma, die damals den Autor über den Tisch gezogen hat.

  • A
    alcibiades

    Was hätte Orwell gesagt, wenn er gehört hätte, dass es jederzeit feststellbar ist, wer seine Bücher gerade liest? Und für sowas geben manche Leute Geld aus. Da lob ich mir doch das gute alte, zerfledderte Taschenbuch aus der fast kaputt gesparten öffentlichen Bibliothek.

  • D
    DonnyK

    @ Ulli

    Wenn mein Buchhändler mir ein Buch verkauft das ohne die benötigten Rechte gedruckt wurde, kommt der ja auch nicht zu mir nach Hause und holt das Buch wieder ab. Der Verkäufer oder der, der das Buch in den Handel gebracht hat muss dafür den Kopf hinhalten. Sprich: Er bezahlt eine Strafe oder einigt sich mit dem Rechteinhaber. Oder soll ich jetzt bei jedem Buchkauf meine Adresse im Geschäft lassen, falls das Buch ein "Raubdruck" ist?

     

    Der Händler muss, bevor er das Buch anbietet prüfen ob es legal ist, sonst macht er sich in der Tat zum Hehler und die Hehlerware kann dann ja die Polizei bei mir abholen/löschen.

     

    Seltsames Rechtsempfinden?

  • S
    Steffi

    Ulli, Amazon ist schon längst ein Hehler. Die allgemeine Praxis ist, alles anzubieten und erst bei Klagen nachzuprüfen, ob überhaupt ein Anspruch besteht, den Inhalt verkaufen zu dürfen, sofern es sich nicht ausdrücklich um Inhalte handelt, die bereits eingesessenen Branchengrößen gehören, die mit mehr Kapital in den Rechtstreit gehen können. Genauso verfahren Plattenfirmen, iTunes etc.

    Beim eigentlichen Urheber landet nur mit viel Glück und Ausdauer ein kleiner Happen.

  • F
    frob

    Man muss das ja vor dem Hintergrund der geplanten Markteinführung in .de diskutieren.

     

    @ulli: Wenn Amazon sich das Löschen nicht ausdrücklich in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorbehalten hat, wäre es hierzulande wohl ein Fall für den Staatsanwalt, man § 303a StGB.

     

    Ich habe noch keinen Entwurf der AGB für den deutschen Markt gesehen, wäre aber gespannt, zu erfahren, was drinsteht. Möglicherweise Stoff für Verbraucherschutzklagen ...

  • A
    Alex

    Selbstverständlich ist es bedenklich das Amazon einfach das "Eigentum" eines anderen löscht. Im deutschen Recht wäre so etwas Gott sei dank nicht zulässig da bei gutgläubigem Erwerb auch Eigentum an einer Sache erworben werden kann, die dem Veräußerer gar nicht gehört.

     

    Man stelle sich das mal vor. Kaufe ich etwas nicht digital kommt Amazon ja auch nicht vorbei wenn das von mir erworbene gedruckte Buch illegal erzeugt wurde. Online scheint das aber weniger das Unrechtsbewusstsein zu packen.

     

    Es wird Zeit das der Kunde aus seiner Rolle als gläserne und unfreie Person im Internet befördert wird.

  • J
    Jan

    @ Ulli: Der Händler/Vertrieb sollte eine Übersicht über den Bestand und dessen Legalität haben. Insofern ist Amazon in der Pflicht seinen Kunden nur legitime Waren anzubieten.

     

     

    Die Freiheit mit der der Kunde seitens der großen Händler behandelt wird, macht mir Angst.

    Die Menschheit stellt sich bei all ihrer Begabung und ihrem Erfindungsreichtum immer wieder selbst ein Bein. Schade.

  • U
    Ulli

    @Doc: Wie stellst du dir das vor, soll Amazon, nur weil du ein seltsames Rechtsempfinden hast, zum Hehler werden? Wenn die technischen Möglichkeiten bestehen, "Raubkopien" wieder zu löschen, dann ist es nachvollziehbar, was Amazon gemacht hat. WIE Amazon das durchgezogen hat (keine Infos an die eigenen Kunden) ist hier aber der Aufhänger, nicht DAS sie es gemacht haben.

  • DM
    Doc Mison

    Wenn sowas bekannt ist dann kann amazon doch nicht einfach bereits erworbene Daten einfach löschen, sondern müssen sich nachträglich mit dem Rechteinhaber einigen. Einfach auf die Kindles der Leser zuzgreifen empfinde ich als zu ein sehr bedenklichen eingriff.

    Darum wird von mir sämtliches Material (Filme Bücher und Spiele) gemieden, die Online Access benötigen und mit DRM ausgestattet sind, und jetzt weis ich auch warum.