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Angriff auf Homosexuelle in IsraelHunderte Beamte durchsuchen Häuser

Tel Aviv hat sich seit Jahren zu einem Paradies für Homosexuelle entwickelt. Nun ist ganz Israel schockiert und überrascht von dem Anschlag auf ein Homosexuellen-Zentrum.

Solidarität mit den Toten: Tatort in Tel Aviv. Bild: dpa

Eine Welle der Solidarität umfängt die israelische Lesben- und Schwulenszene nach dem Attentat in der Nacht zum Sonntag. Dass die Homosexuellen ausgerechnet in dem liberalen Tel Aviv Ziel eines fanatischen Verbrechens werden könnte, löste landesweit Schockierung und Überraschung aus. Eine 17-jährige Teenagerin und ein 26-jähriger Mann waren erschossen worden, zwölf weitere Menschen erlitten zum Teil schwere Verletzungen, als ein ganz in Schwarz gekleideter Maskierter das Feuer auf die Gruppe eröffnete, die sich in den Räumen des Verbandes für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle versammelte. Der Täter konnte unerkannt entkommen.

Die Polizei verhängte umgehend eine Nachrichtensperre und ließ nur so viel an die Öffentlichkeit dringen, dass sie das Motiv entweder homophobischem Fanatismus oder einer enttäuschten Liebe zuschreibt. Die Gruppe der homosexuellen Jugendlichen traf sich regelmäßig jeden Samtagabend in dem Keller des Zentrums. Der Mann floh zu Fuß in eine verkehrsreiche Straße. Mit hunderten Beamten im Einsatz unternahm die Polizei gestern Haus-zu-Haus-Durchsuchungen.

"Der schockierende Mordanschlag in Tel Aviv letzte Nacht ist die Art vom Mord, die ein aufgeklärtes, kultiviertes Volk nicht akzeptieren kann", sagte Staatspräsident Schimon Peres am Sonntag. "Mord und Hass sind die schlimmsten Verbrechen einer Gesellschaft." Politiker aller Parteien beeilten sich mit einer Verurteilung des Überfalls und Beileidsbekundungen an die Familien. Premierminister Benjamin Netanjahu mahnte, "jeden Menschen, so wie er ist, zu respektieren", denn Israel sei ein "demokratisches und tolerantes Land".

Nach Ansicht von Oppositionsführerin Zipi Livni, die in der Endphase ihres Wahlkampfes große Unterstützung von der Lesben- und Schwulengemeinde erhielt, muss der "schwere Zwischenfall die Gesellschaft wachrütteln". Selbst solange die Details des Verbrechens ungeklärt sind, "existiert der Hass und muss konfrontiert werden". Der schwule Abgeordnete Nitzan Horowitz (Meretz) sprach vom "schwersten Angriff, der jemals gegen die homosexuelle Gemeinde in Israel verübt wurde". Sogar die ultraorthodoxe Schas-Partei, die gewöhnlich zu den schärfsten Kritikern der Homosexuellen zählt, verurteilte den Überfall.

Unmittelbar nach dem Schusswaffenangriff versammelten sich spontan einige hundert Menschen in Tel Aviv, die auf Schildern die Schas der homophoben Hetze beschuldigten. Der frühere Schas-Gesundheitsminister Schlomo Benisri hatte Homosexualität wiederholt als Krankheit bezeichnet, die auf Kosten der staatlichen Kassen geheilt werden müsse. Die Räume des Homosexuellenverbandes in Tel Aviv sind Anlaufstelle vor allem für Jugendliche aus der Peripherie oder auch für palästinensische Schwule und religiöse Homosexuelle, die sich noch nicht "geoutet" haben und beraten lassen wollen. Unter den Jugendlichen, die sich nach dem Anschlag vor dem Zentrum versammelten, wurde die Sorge laut, dass die Eltern einiger Verletzter so von den sexuellen Neigungen ihrer Kinder erfahren würden. Das Zentrum kündigte für den Abend eine Demonstration gegen Homophobie an.

Schauplatz des offenen Konflikts zwischen der ultraorthodoxen Gemeinde und den Homosexuellen war stets Jerusalem, wo einmal im Jahr eine bescheidene Gay-Parade veranstaltet wird. Vor vier Jahren kam es bei einer der ersten größeren Kundgebungungen von Homosexuellen in Jerusalem zu einem Messerüberfall und drei Verletzten.

Tel Aviv hingegen hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem regelrechten Paradies für Homosexuelle entwickelt, wo selbst die friedliche Koexistenz mit den Religiösen zu funktionieren scheint. Allerdings ist das Kräfteverhältnis in der Mittelmeerstadt deutlich anders als in Jerusalem. Die wachsende Gruppe von "geouteten" Vertretern in den Medien und in der Politik hat sich zu einer einflussreichen Lobby gemausert, der es zum Beispiel gelang, der Karriere eines beliebten Liedermachers ein Ende zu machen, nachdem er sich gegen verbesserte Familienrechte von Schwulen ausgesprochen hatte. Ein großer Durchbruch für die Minderheit war vor zehn Jahren die Teilnahme der transsexuellen Sängerin Dana International an der Eurovision.

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5 Kommentare

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  • A
    aso

    @ schnipp-schnapp, alias t.s.:

    Der Anschlag auf ein Homosexuelle-Zentrum ist doch mal wieder eine tolle Gelegenheit, hier Ihre übliche Pali-Propaganda, inklusive Israel-Hetze unterzubringen.

    Allein, die Überleitung ist etwas holprig geraten. Denn der Kompatibilitäts-Vergleich hinkt:

    Wer in Israel

    „...ein ganzes anderes Volk in Gefangenschaft...“

    sieht (sollen wohl die Palis sein), ist durch seinen Tunnelblick möglicherweise derart verblendet, daß er halluziniert. Was mit „dessen Ressourcen...“ gemeint sein soll, bleibt ähnlich im Nebel, als sei es dem Fieberwahn entsprungen.

    Wenn Sie mal beim Thema bleiben würden, und Ihnen die Pali-Unterstützung wirklich Ernst wäre,

    dann würden Sie nicht umhin können, die Doppelmoral in islamischen Mehrheiten anzuprangern:

    Daß die antiquierte Haltung, Homosexualitärt sei unnatürlich und abscheulich und so in der

    gesamten islamischen Welt aufs Schärfste verfolgt und gebrandmarkt wird.

    Todesstrafe ist in Islamstaaten, speziell „Gottesstaaten“ die Regel (auch für andere Selbstverständlichkeiten wie Apostasie).

    Leider sind Ihnen aufgrund des Tunnelblicks die homosexuellen Palis abhanden gekommen...die sich nun von Ihnen ausgegrenzt fühlen müssen...

  • S
    Spin

    Ein/e "schnipp-schnapp" fragt sich hier:

    "wie wohl diese Aufklärung und Kultur beschaffen sein muss, die kompatibel damit ist ein ganzes anderes Volk in Gefangenschaft zu halten, um sich an dessen Ressourcen zu bereichern."

     

    Ich sehe nicht, wie sich Israel an palästinensischen (die sind doch wohl gemeint) Ressourcen bereichern würde, allzuviel außer Land gibt es da ja nicht. Und das mit der Gefangenschaft stimmt nicht, da die meisten Palästinenser bereits ausgewandert sind und das auch dürfen. Die Behauptung dürfte einfach mal auf antisemitische Ideologie zurückzuführen sein.

     

    Nahost-Politik politisch zu kritisieren hieße, dies mit Augenmerk auf arabische, israelische und weltweite Interessenpolitik zu tun, und sich nicht selbstgefällig und ahnungslos Israel als Dauerbuhmann rauszupicken.

     

    Statt die mörderische Homophobie in West, Ost, Nord und Süd zu verurteilen, wird der Vorfall zu billiger Anti-Israel-Polemik mißbraucht. Beschämend!

  • S
    schnipp-schnapp

    >> "Der schockierende Mordanschlag in Tel Aviv letzte Nacht ist die Art vom Mord, die ein aufgeklärtes, kultiviertes Volk nicht akzeptieren kann", sagte Staatspräsident Schimon Peres am Sonntag.

     

    Beim ersten Durchlesen tritt natürlich das 'aufgeklärte, kultivierte Volk' in den Vordergrund - und man fragt sich - selbstverständlich nicht Frau Knaul - wie wohl diese Aufklärung und Kultur beschaffen sein muss, die kompatibel damit ist ein ganzes anderes Volk in Gefangenschaft zu halten, um sich an dessen Ressourcen zu bereichern.

     

    Aber bereits ein weiteres Durchlesen zeigt für welche 'Art' von Kultur der Held von Qana steht: "... ist d_i_e A_r_t vom Mord ...".

    Den Palästinensern wird diese 'Art' jedenfalls nur allzu bekannt vorkommen.

     

    Und natürlich bringt der Vorfall auch den Ex-Sharon-Berater Arnon Soffer zurück in's eigene Gedächtnis - mit seiner Erkenntnis, dass man die Palästinenser 'töten, töten und töten muss' - und sein seelenloses, grauenhaftes Selbstmitleid dazu.

  • E
    Edeljacke

    Tel Aviv ist nicht liberal, sondern überwiegend rechtsradikal. Mehr offene Rassisten findet man eigentlich kaum irgendwo.

  • M
    Martin

    Eines sollte man mal klar sagen: Israel ist das einzige Land im Nahen Osten, in dem es sich als Schwuler einigermaßen "normal" leben lässt.

     

    Die arabischen Länder drumrum sind meiner Ansicht nach für Schwule eine ziemliche Hölle, lediglich der Libanon, oder besser gesagt Beirut, bildet eine relative Ausnahme.

     

    Ich habe als Schwuler einige Zeit in arabischen Ländern gelebt und weiß wovon ich spreche.