Irans Revolutionsführer unter Druck: Parlamentarier fordern Absetzung

Abgeordnete machen Ali Chamenei für "Schauprozesse" und Gewalt nach den Wahlen verantwortlich. Oppositionsführer Mussawi will eine neue Protestbewegung gründen.

Mit dem Brief, in dem Chameneis Absetzung gefordert wird, wurde ein Tabu gebrochen. Bild: dpa

Eine Versammlung von rund 700 ehemaligen und gegenwärtigen Parlamentariern hat in einem bislang einmaligen Schreiben praktisch die Absetzung des Revolutionsführers Ali Chamenei gefordert. Damit wurde das bisher unantastbare Tabu gebrochen, über das seit dem Ausbruch der Unruhen im Iran hinter den Kulissen diskutiert wird. Nun steht das System der welayat-e faghieh, die absolute Herrschaft der Geistlichkeit, das die Grundlage der Staatsordnung der Islamischen Republik bildet, am Prager.

Die Abgeordneten kritisieren das Vorgehen der Polizei und Basidschi-Milizen in den vergangenen Wochen gegen Demonstranten auf das Schärfste und verurteilen "die Schauprozesse", die "in stalinistischer Manier" gegen Oppositionelle organisiert seien. Ebenso wird das inzwischen geschlossene Gefängnis Kahrisak, in dem inhaftierte Demonstranten schwer misshandelt und in zahlreichen Fällen zu Tode gefoltert wurden, als "schlimmer als die US-Gefängnisse Abu Ghraib und Guantanamo" beschrieben.

Das Schreiben, das an den Expertenrat gerichtet ist,verweist auf Artikel 111 der Verfassung, in dem die Aufgaben des Rates beschrieben sind. Demnach ist der Expertenrat für die Ernennung, Überwachung der Aktivitäten, aber auch nötigenfalls Absetzung der obersten Instanz der Islamischen Republik zuständig.

Die Absetzung ist laut Verfassung dann erforderlich, wenn der Revolutionsführer seinen Pflichten nicht nachkommt oder den Grundsätzen der Moral und der sozialen Gerechtigkeit zuwider handelt. Die Abgeordneten weisen darauf hin, dass der Revolutionsführer als oberste Instanz für das Vorgehen der Polizei und Milizen verantwortlich und daher zur Rechenschaft gezogen werden muss.

Das Schreiben wird zwar zumindest vorerst keine praktischen Konsequenzen haben. Denn die meisten Mitglieder des Expertenrats, die direkt vom Volk gewählt werden, werden ohne Willen des Revolutionsführers und ohne Zustimmung des Wächterrats nicht zur Wahl zugelassen. Aber das Schreiben hat einen hohen Symbolwert. Es zerstört die Autorität Chameneis und zeigt, wie weit selbst die Opposition innerhalb des Systems sich nach vorn wagt.

Indes hat der unterlegene Kandidat und ehemaliger Parlamentspräsident Mehdi Karrubi seine Vorwürfe wegen der Behandlung von Häftlingen bekräftigt. Augenzeugen hätten berichtet, Gefangene hätten sich nackt ausziehen und mit Händen und Füßen auf dem Boden herumlaufen müssen, während Wachleute auf ihnen geritten seien, schieb Karrubi auf seiner Webseite. Er steht seit Wochen im Hagel der Kritik der Anhänger Chameneis und des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad.

Sie bezichtigen ihn als Nestbeschmutzer und Kollaborateur mit ausländischen Geheimdiensten und fordern seine Verhaftung. Der einflussreiche Prediger Ahmad Chatami sagte beim letzten Freitagsgebet, Karrubi solle für seine Äußerungen auf die Anklagebank gesetzt werden. Seine "haltlosen und ungeheuerlichen Vorwürfe lassen die USA und Israel jubeln", sagte Chatami. Beobachter in Teheran gehen davon aus, dass sowohl Karrubi als auch Mussavi möglicherweise in den nächsten Tagen festgenommen werden.

Doch beide Politiker lassen sich allem Anschein nach durch Drohungen nicht einschüchtern. Sie haben in den letzten Tagen ihre Proteste verschärft und Schritte zur Organisierung der Protestbewegung unternommen. Zeitungsberichten zufolge will Mussavi eine Organisation unter der Bezeichnung "Grüner Pfad der Hoffnung" auf die Beine stellen.

Die Bewegung solle Iranern helfen, ihre rechtmäßigen Ansprüche durchzusetzen, zitierte die Reformzeitung Etmad Melli Mussavi am Sonntag. Die Organisation werde die "zahllosen" regierungsunabhängigen sozialen Netzwerke zusammenführen. Mussavi und Karrubi scheinen mehr als bisher ihre Aktivitäten miteinander zu koordinieren und ihre Anhänger in einer großen, das gesamte Spektrum umfassenden Opposition zusammenführen zu wollen.

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