Oberbürgermeister über ALG II: "Auflösung der Argen ist Wahnsinn"

Kommunen und Arbeitsagenturen sollen künftig wieder getrennt arbeiten. Gegen die Neuregelung der Jobcenter spreche wirklich alles, sagt Peter Kurz, der Oberbürgermeister von Mannheim.

Die Aufspaltung der Jobcenter bringt Nachteile, meint Oberbürgermeister Kurz. Bild: dpa

taz: Herr Kurz, Frau von der Leyen hat den Gesetzentwurf zur Reform der Jobcenter vorgelegt. Nun ist amtlich: Statt Grundgesetzänderung sollen Kommunen und Arbeitsagenturen ihre Aufgaben künftig wieder getrennt wahrnehmen. Was halten sie davon?

Peter Kurz: Der erfolgreiche Kern der Arbeitsmarktreform soll beseitigt werden. Wir haben in Mannheim nachgewiesen, dass man mit dem Instrument der Zusammenführung der Kompetenzen in der Arge sehr gute Erfolge erzielen kann. Die Auflösung des Modells in der Wirtschaftskrise ist für uns eine Katastrophe.

Was wäre der richtige Weg?

47, ist in Mannheim geboren, Jurist und seit August 2007 Oberbürgermeister seiner Heimatstadt. Außerdem ist er Mitglied im Landesvorstand der SPD von Baden-Württemberg.

Die Grundgesetzänderung. Es gibt doch niemanden, der im Wesentlichen etwas anderes über den Erfolg der Hilfe aus einer Hand sagt. Es schockiert, dass dennoch die Politik keine Lösung hinbekommt, obwohl aus politischer und fachlicher Hinsicht alles dafür spricht.

Welche Erfolge hat die "Hilfe aus einer Hand" in Mannheim hervorgebracht?

Wir konnten eine auf die lokalen Bedürfnisse orientierte Arbeitsmarktpolitik entwickeln. Die Jugendarbeitslosigkeit haben wir auf unter ein Prozent gebracht. Derzeit sind 75 Jugendliche unter 25 Jahre arbeitslos, vor Beginn der Arge waren es 1.200. Wir haben auch die Langzeitarbeitslosigkeit halbiert und mit einem kombinierten Programm zwischen der Kommune und der Bundesagentur für Arbeit quartiersbezogen Arbeitsmarktpolitik in Brennpunktquartieren gestalten können. Die Hilfe aus einer Hand wird von den Betroffenen als positiv erlebt.

Welche Probleme erwarten sie bei getrennten Aufgabenwahrnehmung?

Wir werden einen Zuwachs an Bürokratie bekommen, für Arbeitslose gibt es künftig zwei Ansprechpartner. Statt jetzt 50.000 Bescheide wird es 100.000 geben. Zudem werden mit der Aufspaltung der Verantwortung die Kommunen keine Einfluss- und Verhandlungsmöglichkeit mehr auf die Arbeitsmarktpolitik haben. Wir brauchen lokale, vor Ort erarbeitete Ansätze zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Unklar ist auch, was mit unserem Personal passiert.

Was ist mit den Jobsuchenden?

Unter integrations- und finanzpolitischen Aspekten existiert die schwierige Frage, wer ist vermittelbar und arbeitsfähig? Künftig wird solch eine Entscheidung wohl einseitig von der Bundesagentur getroffen. Es droht, dass ein erheblicher Teil der Personen für nicht arbeitsfähig erklärt wird. Für diese muss dann die Kommune aufkommen.

Andererseits setzt der Gesetzentwurf auf eine freiwillige Zusammenarbeit zwischen Arbeitsagenturen und Kommunen.

Die Nachteile durch freiwillige Zusammenarbeit aufzufangen, ist eine Illusion. Wieso sollen sich die Arbeitsagenturen künftig auf Vorschläge aus den Kommunen einlassen, wenn diese keine definierten Einfluss- oder Machtmittel mehr haben? Es gibt Kollegen, die sagen, warum sollen wir jetzt für die Bundesagentur unter engen Vorgaben eine Auftragsverwaltung übernehmen und dann auch noch die schlechten Ergebnisse verantworten?

Wie hoch schätzen Sie die Mehrkosten ein, die auf Mannheim zukommen?

Das ist spekulativ und hängt unter anderem davon ab, was mit unserem Personal geschieht. Aber wir haben Sorgen, dass es um Mehrkosten im deutlich zweistelligen Millionenbereich geht. Wir rechnen auch mit einer Zunahme der Klagen. Mehr Bescheide führen zu mehr Klagen, damit auch zu mehr Arbeit für die Sozialgerichte. Die Auflösung dieses Systems nach fünf Jahren ist ein Wahnsinn. Auch wenn bei den Argen selbst viel Verbesserungsbedarf besteht: Was jetzt vorgesehen ist, ist ein dramatischer Schritt.

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