Afghanistans Zukunft: "Versöhnung nur mit Frauenrechten"

Eine Teilnehmerin der Londoner Afghanistan-Konferenz zieht beim Jour Fixe von Heinrich-Böll-Stiftung und taz eine Bilanz des Treffens und erklärt, was sie für ihr Land erwartet.

US-Außenministerin Hillary Clinton (2.v.r.) spricht mit afghanischen Frauen auf der Londoner Konferenz - darunter Arezo Qanih (2.v.l.). Bild: privat

Die internationale Afghanistan-Konferenz in London brachte am 28. Januar Vertreter aus 65 Staaten sowie der Vereinten Nationen, der EU, der Nato und der Weltbank in die britische Hauptstadt. Aus Afghanistan waren 63 Teilnehmer gekommen, darunter Arezo Qanih und nur drei weitere Frauen. Ihr und einer Kollegin wurden in London zwanzig Minuten Redezeit vor dem Plenum zugestanden.

Beim Jour Fixe der Heinrich-Böll-Stiftung und der taz berichtete sie nun, was die Ergebnisse der Konferenz aus ihrer Perspektive bedeuten. Ihre größte Sorge ist, wann die Menschen in Afghanistan, und insbesondere die Frauen, wieder in Sicherheit leben können. "Es gibt keine Sicherheit in meinem Land", sagt sie.

Arezo Qanih wuchs in den Jahren der sowjetischen Besatzung, des sich anschließenden Bürgerkriegs und des Taliban-Regimes in Kabul auf. Deren Terrorherrschaft war dafür verantwortlich, dass sie mit zwölf Jahren die Schule verlassen und mit ihrer Familie jahrelang in einem Keller in der afghanischen Hauptstadt hausen musste. Nach während der Taliban-Herschaft gründete ihre Mutter das Erziehungs- und Ausbildungszentrum für bedürftige Frauen und Mädchen (ECW) in Kabul, für das Arezo Qanih heute als Programmdirektorin arbeitet. Als Mitglied im Afghan Civil Society Forum, also als Vertreterin der afghanischen Zivilgesellschaft, reiste sie nach London.

In den Medien war von einer Neuausrichtung des Afghanistan-Einsatzes der internationalen Gemeinschaft die Rede, von einem Strategiewandel. In knappen Worten: mehr Truppen, mehr Entwicklungshilfe, und eine Initiative zur Versöhnung mit den aufständischen Taliban. Das Ziel: die Voraussetzungen zu schaffen für einen Abzug der etwa 100.000 Soldaten der ISAF in den nächsten vier, fünf Jahren. 2014 sollen die afghanischen Streitkräfte die Sicherheit allein gewährleisten können, wie Moderator Sven Hansen, Asienredakteur der taz, erläuterte.

Frauen wollen mitreden

Arezoh Qanih sagte, in London sei es ihr und den anderen Vertretern der Zivilgesellschaft neben der Frage der Sicherheit und der Vermeidung ziviler Opfer bei militärischen Operationen um zweierlei gegangen: um gute Regierungsführung und die Rolle der Afghaninnen im politischen Prozess. Sie unterstütze die Übertragung der Verantwortung an die afghanischen Streitkräfte und Polizei, gleichzeitig sei sie besorgt über die wachsende Korruption.

Es sei zwingend, dass die Polizei gut ausgebildet würde, damit sie im Einsatz die Gesetze und die Menschenrechte kennen. Sie ist skeptisch, dass die Sicherheitsverantwortung so rasch wie in London angepeilt auf afghanische Kräfte übertragen werden kann. "Die Teilnehmer der Konferenz haben versprochen, dass sie so lange bleiben werden, wie wir sie benötigen. Und wir hoffen das auch."

Frauen sollten auf allen Entscheidungsebenen beteiligt werden, auch bei den eher traditionellen Regeln folgenden Versammlungen ("Friedensjirgas") im Rahmen des angestrebten Versöhnungsprozesses. Darin wurde Qanih in London unter anderem von US-Außenministerin Hillary Clinton unterstützt, aber insgesamt hätte Qanih sich ein klareres Bekenntnis der afghanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft gewünscht. Der gemeinsame Aktionsplan NAPWA, auf den sich die afghanische Regierung mit der Zivilgesellschaft verständigt hat, sei nützlich für die Bereiche Alphabetisierung, Bildung, Gesundheit, aber er brauche mehr Finanzmittel. Insgesamt sei das Resultat der Konferenz für die Belange der Zivilgesellschaft positiv.

Der zweite Gast des Jour Fixe war Omid Nouripour, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied im Verteidigungsausschuss. Sein Blick richtete sich eher auf die Afghanistan-Politik der Bundesregierung. Er bewertete die Zusage, die Mittel für Entwicklungshilfe am Hindukusch auf 430 Millionen Euro zu erhöhen, als "eine gute Sache", vermisste aber ein klares Konzept für den Einsatz dieser Mittel.

Während es in den USA vor der Entscheidung zur Truppenaufstockung eine lange und intensive Debatte über die Afghanistan-Strategie gab, fehlte in Deutschland jede Reflektion über die Ziele für das Land. Er klagte, es sei selbst als Abgeordneter schwierig bis unmöglich, einen Überblick über bisher abgeschlossene deutsche Entwicklungsprojekte in Nordafghanistan zu bekommen.

In Deutschland "sind wir extrem unsystematisch in dem, was wir tun", sagte Nouripour. Er wünschte sich mehr Mittel für und bessere Koordination der Staaten und der Nato mit der UNAMA-Mission der Vereinten Nationen. Die Polizeiausbildung, lange durch Deutschland als Führungsnation und nun durch die EU, bleibe nach wie vor hinter den gesetzten Zielen weit zurück.

Karzais ausgestreckte Hand

Der zweite Schwerpunkt des Abends war die sogenannte Versöhnungsinititaive des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai. Er ruft die Taliban schon seit längerer Zeit zu Gesprächen auf, doch bislang hat deren Führung diese öffentlich ausgeschlossen, solange sich ausländische Truppen auf afghanischem Boden befinden. Zuletzt bemühte sich Karzai in Riyadh um die Vermittlung Saudi-Arabiens. Die internationale Gemeinschaft unterstützt mit bis zu 500 Millionen Dollar Karzais Initiative, Taliban-Mitläufer durch finanzielle Anreize zum Gewaltverzicht und zur Wiedereingliederung in die afghanische Gesellschaft zu bewegen.

Arezo Qanih sah vielerlei Probleme bei dieser Strategie. Wer sich reintegrieren wolle, müsse die afghanische Verfassung anerkennen, in der die Menschenrechte und die Gleichberechtigung der Frau festgeschrieben sind. Afghanistans Frauen hätten eine klare Botschaft an ihre Regierung: Es dürfe keine Kompromisse bei den Rechten der Frauen geben. "Wir haben hart gearbeitet, wir hatten viele Probleme, und momentan sind wir so weit, wenigstens auf lokaler Ebene wirklich Entscheidungen treffen zu können", sagte Qanih. Das dürfe nicht infrage gestellt werden.

Viele Afghanen seien überzeugt, dass die Entscheidung für Verhandlungen nicht in ihrer Hand liege, sondern von den ausländischen Mächten getroffen werde. Die Bevölkerung sei gespalten, manche wollten die Taliban im Interesse des Friedens integrieren, andere sehen dies nach den Erfahrungen mit ihrer Herrschaft vor 2001 als ausgeschlossen.

Omid Nouripour sagte, man werde vermutlich viele der sogenannten "Zehn-Dollar-Taliban" in die Gesellschaft zurückholen könne, wenn es generell mehr Erwerbsmöglichkeiten gebe. "Wenn man eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung hat, braucht man nicht mehr darüber zu reden, dass sich Afghanen für zehn Dollar am Tag in Lebensgefahr bringen". Aber diese fälschlicherweise als "moderate" Taliban Etikettierten seien ohnehin nicht das Problem: Mit lokalen Militärführern der Aufständischen habe es etwa durch die Niederländer oder durch afghanische Gouverneure immer wieder Absprachen gegeben. "Die Aussöhnung geht nur mit dem Feind", sagte Nouripour, also mit dem harten ideologischen Führungskern der Taliban.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.