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Streit der WocheFrühe Warnungen ignoriert

Muss die EU Griechenland retten? Der Ökonom Heiner Flassbeck wirft Deutschland vor, den Schuldenberg der Griechen mitverursacht zu haben. Die Sängerin Nana Mouskouri fordert EU-Hilfe ein.

Zwei Mitglieder der Präsidentengarde vor dem Parlament in Athen. Bild: dpa

Nachdem die EU Griechenland wegen des immensen Haushaltsdefizits an die kurze Leine genommen hat, fordert Heiner Flassbeck, Chefökonom der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung, den Griechen finanziell zu helfen.

„Durch das Lohndumping der vergangenen Jahre in Deutschland haben sich in Griechenland gewaltige außenwirtschaftliche Defizite aufgetürmt“, schreibt Flassbeck im „Streit der Woche“ in der sonntaz. Daher müsse man dem Land jetzt beim Abbau der Schulden helfen. „Eine langfristige Lösung kann nur die Angleichung der Lohnkosten in allen EU-Staaten sein.“ Die Löhne in Deutschland müssten dafür massiv steigen.

Griechenland ächzt unter einem Berg von Schulden. Mit 300 Milliarden Euro steht das Land in den Miesen. Das Staatsdefizit betrug im vergangenen Jahr fast 13 Prozent. Erlaubt sind im Euroraum nur drei Prozent. Vor wenigen Tagen hatte die EU beschlossen, den Haushalt der Hellenen unter strenge Kontrolle zu stellen. Alle drei Monaten Athen Bericht erstatten. Bis 2012 hat die Regierung von Ministerpräsident Giorgos Papandreou nun Zeit, den Staatshaushalt in den Griff zu bekommen. Brüssel hofft auf die Selbstrettung des verschuldeten Staats.

taz

Den Streit der Woche lesen Sie in voller Länge in der aktuellen vom 6./7. Februar 2010 - jeden Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.

Daran zweifeln Öknomen und Politker. Sven Giegold, der für die Grünen im EU-Parlament sitzt, sieht ebenso wie Flassbeck alle EU-Staaten in der Pflicht. „Eine griechische Pleite wäre nur der Vorbote ähnlicher Gefahren in Italien, Portugal und Spanien“, schreibt Giegold in der sonntaz. Es bräuchte jetzt zum einen Steuererhöhungen und harte Sparanstrengungen in Griechenland. „Gleichzeitig sollte die EU gemeinsame Anleihen herausgeben, um die Zinslast Griechenlands zu mindern“, so Giegold. Das würde Griechenland helfen und den europäischen Zusammenhalt stärken.

Die griechische Sängerin Nana Mouskouri plädiert zwar dafür, dass die EU ihrem Heimatland notfalls zur Seite springt, zunächst müssten die Griechen aber selbst in die Pflicht genommen werden. „Die Frage ist, ob Griechenland entschlossen genug dafür ist, sich selbst zu helfen“, schreibt sie in der sonntaz. Athen müsse die strikten Regeln befolgen, die die Mitgliedschaft in der EU mit sich bringt.

„Griechenland hat viele Jahre über seine Verhältnisse gelebt und die EU mit gefälschten Statistiken hinters Licht geführt“, schreibt Markus Ferber, Vorsitzender der CSU-Gruppe im Europa-Parlament, in der sonntaz. Frühe Warnungen der EU seien in Athen ignoriert worden. „Daher darf die EU jetzt nicht den finanziellen Rettungsring auswerfen“, erklärt Ferber.

Nobert Walter, ehemaliger Chefökonom der Deutschen Bank, lehnt finanzielle Hilfe der EU-Mitgliedsstaaten für Griechenland ebenfalls ab. „Korruption und Vetternwirtschaft müssen bekämpft, der Haushalt saniert werden“, schreibt er im Streit der Woche. Die EU-Geldbeutel verschafften Griechenland keine prosperierende Zukunft.

Im „Streit der Woche“ diskutieren außerdem Prof. Rudolf Hickel, der Wirtschaftswissenschaftler Rolf Langhammer und taz.de-Leser Wolfgang Schwarz.

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11 Kommentare

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  • U
    Uwe

    Lieber Johannes,

    schon mal was von Lohn-Stück-Kosten gehört? Und vielleicht schon mal was vom Exportweltmeister D gehört? Und schon wahrgenommen, daß seit Jahren die Reallöhne in D sinken? Und noch Erinnerung an die letzten 25 Jahre Diskussion in Deutschland? Da wurde uns eingetrichtert, die Löhne in D seien zu hoch, wir sollten den Gürtel enger schnallen, damit die Wirtschaft wettbewerbsfähig sei. (By the way: wenn es der Wirtschaft gut gehe, gehe es allen gut - ist auch so ne Phrase.) Immer schön die Nominallöhne vergleichen, aber nicht die Lohn-Stück-Kosten: wie kann man eigentlich Exportweltmeister werden, wenn die Löhne zu hoch sind? Richtig, das geht nicht. Exportweltmeister wird man nur, wenn man billiger (und vielleicht qualitativ besser) ist, als der Rest der Welt. (By the way: genau so wird ja die "gelbe Gefahr" aus China an die Wand gemalt.) In Bezug auf GR und die EU stellt sich letztlich die politische (nicht ökonomische) Frage danach, ob man eher ein (solidarisches) Entwicklungsmodell möchte, bei dem es am Ende allen besser gehen soll, oder eher ein (Konkurrenz-)Modell, das zwangsläufig zu Gewinnern und Verlierern führt. Denn die ökonomischen Modelle sind immer nur im Rahmen ihrer eigenen Modellannahmen rational. In D und EU waren wir die letzten Jahre auf jeden Fall in Richtung 2. Modell unterwegs. Das Ergebnis sieht man jetzt: Finanzkrise (=faktisch sind alle möglichen Banken pleite), Island pleite, Irland pleite, Griechenland pleite, Italien und Spanien fast pleite usw. Interessant, daß die Dt. Bank und einige andere (die letztes Jahr quasi pleite waren, und ohne staatliche, d.h. solidarische Unterstützung wären sie es heute) gerade riesige "Gewinne" vermelden. Wo die wohl herkommen? Die waren bestimmt sehr fleißig, haben sich riesig angestrengt, den Gürtel enger geschnallt, nicht etwa Boni gezahlt. Und auf jeden Fall haben sie uns immer die Wahrheit gesagt. Tatsächlich: zumindest im Bereich Gehirnwäsche waren sie wirklich fleißig.

  • J
    Johannes

    Lese ich recht? Deutschland ist schuld, dass die Griechen über ihre Verhältnisse leben? Und glaubt Herr Flassbeck tatsächlich, dass es bei europaweit einheitlichen Löhnen einen massiven Anstieg der Löhne in Deutschland gäbe?

     

    Herr Flassbeck: Ermitteln Sie doch mal den Durchschnitt der Löhne innerhalb der EU und vergleichen Sie diesen dann mit dem Lohnniveau hier. Ein Aufschrei würde durch Deutschland gehen, wenn wir dafür arbeiten sollten!

  • M
    Matze

    Die Griechen haben laut Artikel also 300 Milliarden "Miese".

     

    Im Vergleich zu den globalen Bankenrettungs-Aktionen der letzten Zeit zwar nicht "Peanuts", aber auch nicht besonders viel.

     

    Wenn für die Pleite-Bank HRE 100 Milliarden drin sind, warum nicht einfach den Hellenen auch mal 100 Milliarden rüberwachsen lassen ?

     

    Das kann doch nicht so schwer sein ..

  • Z
    zalog

    Nicht Korruption und Vetternwirtschaft sind Schuld sondern Deutschland. Und Griechenland hat die EU auch nicht über Jahre von vorne bis hinten belogen.

     

    Danke, Herr Flassbeck, dass Sie die Dinge mal klargestellt haben.

  • KT
    Kyratso Tsiopa

    Sehr geehrte damen und herren,

    Ja, GR. befindet sich in einer schlechten situation, dafuer sind wir alle griechen verantwortlich, aber mehr unserer unfaehige politiker, die leider nichts gemacht haben.Die frage ist, wie wir aus der krise rauskommen, ohne wieder die kosten der krise von den beamten und den Rentern bezahlt werden.Warum sollen unsere schon niedrige loehne abgekuerzt werden? Ich arbeite als Lehrerin seit 28 Jahren und ich bekomme 1450 euro. Ich stelle euch die frage. Warum sollten wir millioneN OD mehr euro ausgeben um Waffen von DE od andere europaeische staate zu kaufen? Wozu brauchen wir die waffen heutzutage? gegen die Tuerken?

    Wie kann gr. die europaeische oekonomie so schlecht beeinfluessen?

    Waw glauben sie,koennte Deutschland, an dem moment, das geld, was sie waehrend der besetzung GR's (2ten welt krieg)geklaut hatte, zueruck geben?

     

    Ich bedanke mich sehr!

    Kyratso Tsiopa

    Larissa, GR.

     

    Entschuldingun fuer die fehler.

  • KI
    Karl Ilnyzckyj

    In vielen Presseberichten wird die Wahrheit über die Herkunft der “Löcher in den Staatshaushalten” bewusst verschleiert.

    Wir sollen vergessen, dass die Regierungen in den USA und in der EU vor einem Jahr Billionen Euros Steuergelder an die Börsenspekulanten gezahlt haben, um sie vor dem Konkurs zu retten.

    Ich unterstütze deshalb den Vorschlag von ATTAC zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer.

    Ausserdem sollten die Verantwortlichen der Krise und der “Haushaltslöcher” endlich zur Verantwortung gezogen werden, z.B. vor dem internationalen Gerichtshof der UNO in Den Haag. Wir können es nicht hinnehmen, dass die Täter auf freiem Fuss bleiben während ihre Opfer in Armut versinken.

  • B
    Benjamin

    Was für eine an den Haaren herbeigezogene These ist denn das? Weil Deutschland im internationalen Vergleich mit den Löhnen konkurrenzfähiger wurde, ist es Schuld dass Griechenland nichts mehr exportiert hat?

     

    ... das ist ja wohl sehr gewagt...

     

    Das zu 90% eher die Korruption und fehlende Reformen das Defizit verursacht hat und vielleicht zu 1% das handeln der Staaten um Griechenland herum, hat den Forscher wohl nicht gehindert eine möglichst große Schlagzeile in Bild-Zeitung-Stil daraus zu machen.

  • K
    kimathi

    Na endlich ist es gelungen , den einzigen Abo-Schuldigen am Übel der Welt zu entlarven. Wir sind schuld an Griechenlands Eurokatasrophe, das darauf vorher noch keiner gekommen ist. Wann kommt die Entlarvung in Sachen Klimakatastrophe? Wenn das nicht wir Deutschen waren, dann kommt die Journaillie aber schwer ins Grübeln.

  • AG
    A. Grech

    Nimmt Flassbeck eigenlich irgendwer ernst? Ausser der taz, natürlich.

  • U
    UweRietmöller

    Das ist ja das schöne an der linken "Wissenschaft". Das Ergebnis steht ja schon mal von Anfang an fest.

    Schuld ist

    - Deutschland

    - die Männer

    - die Weißen Rassisten

    Von dieser "Wahrheit" ausgehend, muss man dann nur noch einen aktuellen "Grund" herbeifaseln. Dank an Herrn Flassbeck, dass er das für uns getan hat.

     

    Warum leben die Menschen in Niger in Not und Elend?

    Müssen wir nicht untersuchen, denn die "Gründe" (siehe oben) sehen ja von Anfang an fest.

  • L
    Leser

    Matthaeus 5,29: Ärgert dich aber dein rechtes Auge, so reiß es aus und wirf's von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.

     

    Griechenland hat sich den Zugang zur EURO-Zone schlicht erlogen. Zeit, dass Sie um der ganzen EURO-Zone willen ausgeschlossen werden. Soll diese Bananenrepublik sich doch selber retten.

     

    Herr Flassbeck, der ja ein anerkannter Fachmann ist, behauptet, dass deutsches "Lohndumping" mitverantwortlich ist an Griechenlands Pleite. Richtig, genauso wie chinesisches, osteuropäisches, vietnamesisches. Überm Ouzo-Trinken wurde einfach übersehen, dass die Welt sich weiterentwickelt. Sind wirklich die anderen Länder schuld, wenn in Athen die letzten 20 Jahre geschlafen wurde?