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Geheimer Bericht über AtomtestsSoldaten waren Versuchskaninchen

Laut einem Geheimbericht hat Frankreich bei frühen Atomtests Soldaten radioaktiver Strahlung ausgesetzt. Verteidigungsminister Morin erklärte, die Mengen seien "nur sehr schwach" gewesen.

Zehn Millionen Euro sollen die Opfer der Atomtests als Entschädigung erhalten. Bild: ap

PARIS dpa | Menschen als "Versuchskaninchen": Frankreich hat bei seinen frühen Atomtests Soldaten vorsätzlich radioaktiver Strahlung ausgesetzt, um die Reaktion von Truppen in einem Atomkrieg zu untersuchen. Das geht aus einem geheimen Bericht hervor, aus dem die Zeitung "Le Parisien" am Dienstag zitiert. Viele der Soldaten erkrankten später an Krebs und anderen Verstrahlungsfolgen. Fünfzig Jahre nach den ersten Atomtests in der algerischen Sahara will Frankreich in diesem Jahr erstmals Opfer entschädigen.

Der Geheimbericht behandelt den "Gerboise verte" genannten oberirdischen Atomversuch in Algerien am 25. April 1961. Darin heißt es, die Versuche sollten "die physiologischen und psychologischen Wirkungen der Atomwaffe auf den Menschen erkunden, um die nötigen Elemente für die physische Vorbereitung und moralische Ausbildung des modernen Kämpfers zu erhalten". Einige Soldaten wurden dafür nach der Explosion bis auf 275 Meter an das Explosionszentrum herangeführt.

Bei "Gerboise verte" simulierten die Franzosen zwei defensive Manöver sowie die Rückeroberung einer von einer Atombombe zerstörten Position. 300 Mann, vor allem in Deutschland stationierte Rekruten, wurden dafür mobilisiert. 35 Minuten nach der Explosion rückte ein Truppenteil zu Fuß bis auf 700 Meter zum Zentrum vor. Soldaten in Geländewagen folgten nach einer Stunde. "Diese Patrouille wurde 275 Meter vor dem Punkt null gestoppt", heißt es in dem Bericht.

Als Konsequenz aus dem Versuch folgerten die Militärs, dass "der Kommandeur niemals die verseuchte Zone betreten" sollte. Weil die Mobilität der Infanteristen von Gasmasken halbiert werde, sollten die Gasmasken durch einfache Staubmasken ersetzt werden. Für die folgenden unterirdischen Atomversuche wurde beschlossen, das Absetzen der Schutzmasken "in kontaminierter Atmosphäre" zeitweise zu erlauben. Bei zwölf der 13 unterirdischen Atomtests gelangte Radioaktivität in die Umwelt.

Etwa 4800 noch lebende Atomtestteilnehmer sind heute Mitglied der Veteranenvereinigung Aven. Von ihnen haben 35 Prozent Krebs; nur zehn Prozent sind gesund. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums waren 150 000 Zivilisten und Soldaten an den 210 Atomtests in der Sahara und in Polynesien beteiligt, die sich von 1960 bis 1996 hinzogen.

Verteidigungsminister Hervé Morin erklärte, er kenne den Geheimbericht nicht. Die Soldaten hätten aber "nur sehr schwache" Strahlungsmengen abbekommen. Zu den Atomversuchen sagte Morin: "Das ist ein herrliches Epos, das Symbol der Beständigkeit einer Nation, die die Mittel seiner eigenen Souveränität erringen wollte." Er habe gegen eine starke Lobby erreicht, dass Paris in diesem Jahr zehn Millionen Euro für die Opfer zur Verfügung stelle. "Wir können diese Summe erhöhen, wenn es nötig ist."

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7 Kommentare

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  • T
    Totti

    heute sind die versuchskaninchen soldaten und zivilisten in zahlreichen aktuellen und vergangenen kriegen - nämlich durch uran-haltige munition. noch weigern sich die verantwortlichen die damit verbundenen gefahren wahrzunehmen, doch in einigen jahren können sie sie nicht mehr verheimlichen. dann wird es jedoch für etliche menschen zu spät sein.

    http://video.google.com/googleplayer.swf?docId=8192977154296057254&hl=de

  • MM
    Müllers Meinung

    ALLE Atommächte haben mit Sicherheit solche Versuche unternommen. Wer sehen will, wie's die Amis gemacht haben, sollte sich den Film "Trinity and Beyond" anschauen... Im übrigen ist "The Atomic Café" auch nicht zu verachten...

     

    Denn der Mensch (der ein Interesse an so etwas hat: Wissenschaftler, Waffenhersteller, Kriegstreiber, Politiker) wird ALLE Möglichkeiten IMMER bis zum ÄUSSERSTEN treiben. Damals "Die Bombe", heute "Die Information"

     

    Ob der Iran wenigstens vom Wissen der Amis, Russen, Franzosen ununununund ... profitieren darf? Natürlich nicht... vielleicht werden dann bald wieder Tests mit Menschen, Kaninchen, Schweinen, Schafen, und Atollen ... durchgeführt... und die Amis, Russen, Inder und Franzosen werden empört den Finger heben. Klar, die Wissen bereits, was dabei von statten geht; sie haben damals sauber Buch geführt.

     

    Ob unter oder über der Erde... Ihr macht alles krank...

  • A
    Andrela

    Noch mehr gute Atom-Nachrichten aus Frankreich:

    1. Es gibt Entschädigung für die (noch lebenden)Reste der 150 000 "Teilnehmer" der Atomtests - Ende Dez 2009 hat Frankreich ein Gestz verabschiedet, welches 10.Mio. zugunsten der "Verstrahlten" in den 2010 Haushalt eingestellt hat.

    2. Selbst der konservative Figaro berichtet und hat hübsche bildchen:

    http://www.lefigaro.fr/actualite-france/2010/02/16/01016-20100216ARTFIG00499-les-soldats-francais-cobayes-des-essais-nucleaires-.php, der dort abgebildete heisst dann auch noch Lucien Parfait (Perfekt).

    3. Gibt es bei den 34 AKW der 900 MW klasse Anomalien - keine Angst : nur bei den Dampfgeneratoren, nicht schlimm, werden aber sicherhaltshalber ausgetauscht!

    4. Derzeit sind von den 58 AKW's an 19 Standorten 18 (wg. Wartungsarbeiten o.ä.) stillgelegt, weshalb Frankreich derzeit kräftig im Ausland zukaufen muss - etwa die Produktion von 5 AKW's!)

    5. weitere Infos u.a. unter:

    http://www.ifrap.org/Nucleaire-la-France-manque-d-electricite,11464.html - auf französisch.

  • DP
    Daniel Preissler

    @ Markus: ce c'est vrai !

     

    PS: könnte man zur Spamvermeidung vielleicht alternativ auch mal die Begriffe Kaffee, Milch, Zucker verwenden?

  • DP
    Daniel Preissler

    Man stelle sich vor, ein iranischer Vertreter (im Sinne von: ein Vertreter des/von Iran) würde im Bezug auf ein tatsächliches oder angebliches eigenes Atom(waffen)programm sagen:

     

    "Das (wäre) ein herrliches Epos, das Symbol der Beständigkeit einer Nation, die die Mittel seiner eigenen Souveränität erringen (will)."

     

    Herrlich!

     

    Weitere Idee: Wir (als "Westen") könnten also den Palästinensern Atomwaffen schicken und schon wäre die Zwei-Staaten-Regelung praktisch umgesetzt d;-)

     

    Ein Minister einer "großen Nation" (ähem) in Westeuropa könnte sich schon etwas reiflicher überlegen, welchen Senf aus Dijon er jetzt genau dazu (und damit als Beispiel ab-) gibt. Vor allem, da es bei Atomwaffen doch immer um die Wurst geht.

     

    Grüße

  • G
    Gelächter

    Wer hat diesen "Geheimbericht" denn verfasst? Das ist doch nicht mehr ernst zu nehmen. Wie groß ist denn die Relevanz eines "Berichts" dessen Urheber zur höheren Sicherheit des Schwachsinns nichtmal ansatzweise verortet werden? Ist wahrscheinlich auch geheim.

     

    Ich habe auf meinem Computer auch einen geheimen Bericht. Will die taz den vielleicht abdrucken? Für Verhandlungen bitte in Kontakt treten.

  • M
    Markus

    Au, au, au - was sind das fuer Zeiten, in denen nicht einmal mehr Journalisten den korrekten Gebrauch der Reflexivpronomen beherrschen?

     

    "Das ist ein herrliches Epos, das Symbol der Beständigkeit einer Nation, die die Mittel seiner eigenen Souveränität erringen wollte."

     

    Wessen Souveränität - die des Epos? Die des Symbols? Oder doch die der Nation? Also die Mittel IHRER eigenen Souveränität?

     

    Ts, ts...