Verfassungsgericht urteilt: Mysteriöser Suizid bleibt ungeklärt

Unter rätselhaften Umständen starb ein jüdischer Student nach einer rechten Tagung. Das Verfassungsgericht entschied jetzt, dass sein Tod nicht näher untersucht werden muss.

Immer wieder wird der LaRouche-Bewegung Antisemitismus vorgeworfen. Bild: ap

FREIBURG taz | Die Verfassungsbeschwerde von Jeremy Duggans Mutter hatte keinen Erfolg. In einem am Dienstag bekanntgemachten Beschluss lehnte Karlsruhe die Forderung nach Aufnahme neuer Ermittlungen in dem mysteriösen Todesfall ab. Es sei vertretbar, so die Richter, dass die deutsche Justiz nicht an einem Suizid des englischen Studenten zweifle.

Jeremy Duggan war ein lebenslustiger 22-jähriger Literaturstudent, der an der Pariser Sorbonne eingeschrieben war. Im Vorfeld der US-Intervention im Irak kam er in Kontakt zu Mitgliedern der wirren rechten LaRouche-Bewegung, die den Irakkrieg ablehnte. Mit anderen Sympathisanten besuchte er eine Tagung am Schiller-Institut bei Wiesbaden, das zum LaRouche-Netzwerk gehört. Als der Irakkrieg dort als jüdische Verschwörung angeprangert wurde, stand Duggan auf und bekannte, selbst Jude zu sein. Daraufhin fühlte er sich auf der Tagung isoliert und unwohl. Dennoch blieb er weitere Tage in Wiesbaden, um an einer Jugendkader-Schulung der LaRouche-Bewegung teilzunehmen.

In der Todesnacht des 27. März 2003 war Duggan noch lange wach und diskutierte mit den anderen. Er rief seine Freundin in Paris an und sagte in verwirrten Sätzen, er sei "under too much pressure". Später verließ er das Haus, rief seine Mutter in London an und erklärte, er sei "in deep trouble", das Gespräch brach ab. Gegen fünf Uhr morgens rannte er entlang einer Bundesstraße mehrfach vor Autos und wurde schließlich von einem Fahrzeug überrollt. Er starb an tödlichen Kopfverletzungen.

Für die Polizei in Wiesbaden war der Fall klar: Selbsttötung. Und da Selbsttötung nicht strafbar ist, musste sie auch die Motive nicht aufklären. Jeremys Mutter forderte dagegen eine förmliche Vernehmung der Autofahrer und eine Autopsie. Sie wollte klären, ob ihr Sohn nicht vielleicht an einem anderen Ort getötet wurde. Und sollte es doch Suizid gewesen sein, sollten die vorherigen Einwirkungen der LaRouche-Leute auf ihren Sohn näher untersucht werden. Doch mehrere Gerichtsinstanzen lehnten die Aufnahme von Ermittlungen ab, es gebe keine Anzeichen für ein Fremdverschulden von Jeremy Duggans Tod. Ein Wiesbadener Staatsanwalt sagte, Frau Duggan könne sich einfach nicht damit abfinden, dass ihr Sohn Suizid begangen habe.

In England sorgte der Fall für großes Aufsehen, gerade weil ein jüdischer Student in einem rechten Kontext in Deutschland zu Tode kam. Der Großvater von Jeremy Duggan war während des Dritten Reichs nach England geflohen. Ein Großteil seiner Verwandschaft wurde von den Nazis ermordet. Noch 2007 unterstützten 96 britische Parlamentsabgeordnete die Forderung nach neuen Untersuchungen in Deutschland.

In einem am Dienstag bekanntgemachten Beschluss lehnte jetzt das Bundesverfassungsgericht eine Klage von Erica Duggan ab. Es verletze nicht ihre Grundrechte, wenn die deutsche Justiz eine Wiederaufnahme der Ermittlungen verweigere. Zwar gehöre es zur staatlichen Schutzpflicht für das Leben, dass mögliche Gewaltverbrechen untersucht und gegebenenfalls bestraft werden. Allerdings sei die Annahme der hessischen Gerichte "vertretbar", dass auch weitere Ermittlungsmaßnahmen die Annahme eines Selbstmordes nicht erschüttern könnten. Die Mutter müsse akzeptieren, dass Staatsanwaltschaft und Gerichte die Lage anders einschätzen als sie.

Die LaRouche-Bewegung wird in Deutschland vor allem repräsentiert durch Helga Zepp-LaRouche. Sie ist die Ehefrau von Lyndon LaRouche, der vor allem in den USA aktiv ist. Zepp-LaRouche ist Vorsitzende der Bürgerbewegung Solidarität (BüSo), die bei den letzten Bundestagswahlen weniger als 0,1 Prozent der Stimmen erhielt. Die BüSo tritt für Kernernergie und die Wiedereinführung der DM ein. Sie neigt zu Verschwörungstheorien. Immer wieder wird der LaRouche-Bewegung Antisemitismus vorgeworfen. In den klassischen rechtsradikalen Kreisen Deutschland ist sie nicht verankert. Sie gilt eher als Politsekte mit totalitären Tendenzen. Dass die BüSo von der deutschen Justiz protegiert wird, ist jedoch abwegig.

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