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Bundestag beschließt RekordverschuldungDas fesselnde Defizit

Für 2010 beschließt der Bundestag einen Haushalt mit 80 Milliarden Euro Schulden. Selbst das findet die Opposition schlampig gerechnet – sie kommt auf 120 Milliarden.

Eine Frage, Herr Schäuble: Woher nehmen Sie das Geld für die Steuersenkungspläne Ihrer Regierung? Bild: rtr

BERLIN taz | Das Buch zur Zeit heißt "Dieses Mal ist alles anders". Geschrieben haben es die Harvard-Wissenschaftler Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff. Die Ökonomen verfolgten den Ablauf von Finanzkrisen rückschauend bis ins 13. Jahrhundert. Zwei ihrer Thesen: Immer haben diese mit übermäßiger Verschuldung zu tun, und immer geriet die Verschuldung plötzlich und unerwartet außer Kontrolle.

Wie schnell nicht nur scheinbar solide Banken, sondern auch vermeintlich stabile Staaten ins Wanken geraten können, beweist gerade das Beispiel Griechenland. Die Regierung in Athen hat Sorgen, nicht mehr genug neue Kredite zu erhalten, um den Staatsapparat zu finanzieren. So weit ist es in Deutschland nach einhelliger Meinung bislang nicht gekommen. Aber auch hier steigt die öffentliche Verschuldung infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise bedenklich an.

Am Donnerstag beendete die schwarz-gelbe Bundesregierung ihre ersten Haushaltsberatungen im Bundestag. Im Haushalt für 2010 rechnen Union und FDP mit neuen Schulden von etwa 80 Milliarden Euro.

Alexander Bonde, der Haushaltssprecher der grünen Opposition, addiert die Verschuldung des Investitions- und Tilgungsfonds und der Bankenrettung hinzu und kommt dann auf rund 120 Milliarden Euro.

Im Verhältnis zu den Gesamtausgaben des Bundesetats von 325 Milliarden macht dies etwa 40 Prozent aus. Von zehn Euro Ausgaben muss sich der Bund also vier Euro leihen - kein Pappenstiel.

Es ist das größte Defizit aller Zeiten, das Kanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verantworten. Insgesamt steht der deutsche Staat mit knapp 1.700 Milliarden Euro in der Kreide - fast 75 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung eines Jahres. Tendenz steigend, bald werden wohl 80 Prozent erreicht.

Klingt enorm, aber muss man sich darüber Sorgen machen? "Ja", sagt Kenneth Rogoff. Denn spätestens ab 90 Prozent Staatsverschuldung sei die Grenze erreicht, was ein Staat überhaupt noch schultern kann, ohne unter der Last massiv zu leiden. "Dann hemmen die öffentlichen Schulden das Wachstum", so Rogoff. Wie muss man sich das vorstellen? Die Ausgaben für Zinsen und Tilgung erreichen Summen, die notwendige Investitionen in Zukunft erschweren oder unmöglich machen. Das Land kann nicht mehr genug Geld für Verkehrswege, Schulen und Verwaltung ausgeben. Es fällt ökonomisch im Vergleich zu anderen Staaten zurück und verwahrlost buchstäblich.

Noch ist dieser Zustand in Deutschland nicht erreicht - wenngleich die rund 40 Milliarden Euro, die im Etatentwurf für den Schuldendienst eingeplant sind, eben nicht in Kitas, Schulcomputer und LehrerInnen investiert werden, sondern auf die Konten von Privatleuten und Investoren fließen, die deutsche Staatsanleihen gekauft haben. Erstaunlicherweise sinkt der Schuldendienst 2010 gegenüber dem Vorjahr um rund 3 Milliarden Euro, obwohl die Verschuldung ansteigt. Diese merkwürdige Gegenbewegung kommt dadurch zustande, dass die Kreditzinsen stark gesunken sind - die öffentliche Verschuldung ist also billiger geworden.

In den nächsten Jahren wird sie allerdings definitiv wieder teurer. Die Zentralbanken werden die Zinsen anheben, um die Gefahr der Inflation zu bannen. In Form steigender Zinskosten bekommen dann künftige Bundesregierungen die steigenden Kosten der heutigen Verschuldung präsentiert. Unabhängig von diesem Effekt stellt die galoppierende Staatsverschuldung auch heute schon ein ernstes Problem dar. Man sieht es an Griechenland: Als Gegenleistung für weitere Kredite verlangen die Privatinvestoren so hohe Zinsen, dass der griechische Staat diese kaum tragen kann. Eigentlich wäre nun eine doppelte Antwort fällig. Die Regierung in Athen müsste ihre Schulden verringern, und die anderen Staaten des Euroraumes, darunter Deutschland, sollten das Mittelmeerland finanziell massiv unterstützen, um den Staatsbankrott nicht noch in greifbare Nähe rücken zu lassen.

Letzteres aber ist heute schwierig. Und an diesem Punkt macht sich bereits Deutschlands hohe Verschuldung nachteilig bemerkbar. Angesichts zunehmender öffentlicher Kredite und dutzender Milliarden Euro, die die Bundesregierung in die Rettung maroder Privatbanken gesteckt hat, können die Politiker den Bürgern eine weitere Verschuldung zugunsten Griechenlands kaum noch verkaufen. Auch daher rührt die möglicherweise fatale Weigerung der Bundesregierung, auch nur einen Euro nach Athen zu überweisen. Das hohe Defizit reduziert die Handlungsfähigkeit der Regierung. Es fesselt die Politik.

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9 Kommentare

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  • D
    demit

    Aus welchen Steuerarten werden die höchsten Steuereinnahmen generiert? Richtig! Lohn-und Gewerbesteuer. Also von vielen kleinen Menschen an vielen kleinen Orten oder eben von vielen grossen Menschen an vielen grossen Orten.Wie kann es sein, dass die von uns gewählten Vertreterinnen mehrheitlich unser Geld dermaßen vergeuden, dass immer weniger von den von uns generierten Geldern auch bei uns vor Ort wieder ankommt (Kindertagesstätten, Ganztagsschulen, Büchereien, Schwimmbäder, Jugendfreizeiteinrichtungen)? Jeder kann sich darüber eingehend informieren. Meiner Meinung nach sind es die politisch induzierten und lobbyistisch getarnten und verwickelten Steuergeldverwendungs- und transfersysteme (Stichort: Bund-Länder-Finanzausgleich).

    Es gibt natürlich noch mehr systemimmanente Faktoren....aber das führt hier zu weit.

  • J
    J.B.

    Von den Doors!

     

    Danach dann gleich noch "The End" und alles wird gut...

  • V
    vic

    Plötzlich und unerwartet geschah hier gar nichts.

    Seit 2007 war diese "Krise" absehbar und wäre außerdem noch zu verhindern gewesen. Spätestens im September 2009- vor der Bundestagswahl also- musste jeder Bohlen-Kandidat wissen, wo die BRD im Jahr 2010 finanziell stehen wird.

    Und es wird auch einfach so weitergehen, denn weiterhin wird auf jegliche Regulierung des Finanzmarkts großzügig verzichtet.

  • PZ
    P. Zimmermann

    "Die Ausgaben für Zinsen und Tilgung erreichen Summen, die notwendige Investitionen in Zukunft erschweren oder unmöglich machen. Das Land kann nicht mehr genug Geld für Verkehrswege, Schulen und Verwaltung ausgeben. Es fällt ökonomisch im Vergleich zu anderen Staaten zurück und verwahrlost buchstäblich.

     

    Noch ist dieser Zustand in Deutschland nicht erreicht"

     

    Ich weiß ja nicht wo dieser Mann lebt, aber da wo ich lebe (Hamburg) ist der Zustand schon längst erreicht. Seit ca. 20 Jahren verottet hier die Infrastruktur, werden Gelder für kulturelle- und Bildungseinrichtungen gestrichen. Selbst das Geld für die Straßenreinigung streichen die Bezirke mittlerweile ein und kehren einmal im Halbjahr. Das Geld wird wahrscheinlich zu anderen Stellen umgeschichtet. Seit in Hamburg die CDU regiert ist eine deutliche Beschleunigung dieser Entwicklung sichtbar. In Deutschland wird schon lange von der Substanz gelebt, der Substanz des Gemeineigentums und von der Substanz der Menschen. So ist das. Angefangen hat das mit Helmut Kohl. (geistig moralische Wende)

  • ND
    na denn

    In der Schweiz liegt in etwa so viel Schwarzgeld wie der Deutsche Staat Schulden hat (1700 Milliarden Euro)

     

    Aber da unsere Regierung nicht die Interessen der Steuern zahlenden Bürgern sondern eher die der

    Steuerhinterzieher vertritt, und wir Bürger auch kein bisschen Druck machen um solch wahnwitzigen Zustände zu ändern, wird sich daran wohl nichts ändern und es werden sicher wieder Leistungen für Bildungen, Kindergärten, Hartz4 etc. gekürzt um den Steuerkriminellen weiterhin ein Leben im Luxus auf unser aller Kosten zu ermöglichen ;O)

     

    Hier im Gespräch auf 3SAT erfährt man das in der Schweiz ca. 2000 Milliarden Euro an Schwarzgeldern liegen

     

    http://videoportal.sf.tv/video?id=e9612e82-9850-4637-94ea-c15c02d4e0ec

  • UB
    Ulrich Bogun

    Die wohl brillanteste Begründung zu dieser vorhersehbaren Neuverschuldung hat Georg Schramm geliefert: Da sich der Staat zum Ziele gesetzt hat, in den nächsten zehn Jahren oder so die Neuverschuldung nach bestimmten jährlichen Prozentsätzen abzusenken, muss im Referenzjahr die Kreditaufnahme so hoch wie nie sein.

     

    Die Regierung kümmert das nicht; sie ist gewohnt, ohnehin in 4-Jahres-Abschnitten zu denken. Und für die Kredite gibt es die Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH, die mit minimalem Eigenkapital für jeden Kredit, der getilgt werden muss, einen Neukredit aufnimmt.

     

    Wie die Schuldensumme jemals abgebaut werden soll? Das geht nicht. In ihrer fast religiösen Verdrängungsmentalität liefert "unsere" Regierung hier ein mustergültiges Beispiel des Weiterreitens eines toten Pferds. Aber das ist kein Alleinstellungsmerkmal ...

     

    Vielen Dank dem Redakteur für die nette Buchempfehlung. Als Untermalung vielleicht Klassiker à la "ship of fools?"

  • A
    Amos

    Glaubt man immer noch daran, dass der freie Markt alles

    regeln wird? Ich glaube eher dass die Freie Marktwirtschaft uns in ein Katastrophe führt. Wer das nicht einsieht und weiter die neoliberalen Parteien wählt, gießt noch Wasser auf die Katastrophenmühlen.

    Holen die uns aus diesem Dilemma heraus, die uns das

    eingebrockt haben? Wohl kaum! Die holen sich noch von denen, die sie bereits abgezockt haben. Keine Veräußerungssteuer, Heuschrecken, Hedgefonds, Shareholder Value -, das sind alles Begriffe, die einem zum Kotzen bringen. Die Privatisierung, trägt zu

    unserem Untergang bei. Darum die Selbstbereicherung unserer Politiker. Die wollen nicht "ausbrocken" was sie uns eingebrockt haben. Darum sorgen sie schon mal vor. Australien ist auch ein schönes Land und wie man weiß werden ja "Idi Amins" überall aufgenommen.

  • N
    Noname

    Die Verschuldung ist auch deshalb so negativ, weil sie die Schuldner zu ständiger Kapitalvermehrung bzw. Wachstum zwingt. Dieses Wachstum wird global in Zukunft mit Sicherheit an Grenzen stoßen (auch wenn das die Ökonomen ja nicht verstehen).

  • K
    kuwer.twoday.net

    Ach die Zinswirtschaft, wie bringt sie doch immer wieder das Gemeinwesen ins Wanken. In der ferneren Vergangenheit konnten die Herrscher ihre Schuldner wenigstens noch verschwinden lassen, Heute lassen die Schuldner ihre Herrscher verschwinden und rücken nach...