Apulien: Garnelenschwänze zu Malvasiner-Wein
Die Zukunft Apuliens liegt im Tourismus und im Anbau hochwertiger Nahrungsmittel. Nun erobern Frauen die Gastronomie, ziehen Weinreben hoch, treiben Umweltprojekte voran und können endlich Ideen verwirklichen
Wenn es an der Küste des Salento stürmt, halten sich die Bewohner des Fischerortes Tricase Porto vom Hafen fern. Hier, im Stiefelabsatz Italiens, ist das Meer unberechenbar. Erst schwappen die Wellen klein und leise in die Bucht, dann baut sich in wenigen Sekunden eine Riesenwelle auf. Wer nur nass wird, hat Glück gehabt. Manch einen trugen die Wellen fort. "Ich warne meine Gäste immer vor dem Meer, wenn es stürmt. Viele unterschätzen seine Kraft", sagt Imma Pantaleo. Das tut sie nie. Sie hat großen Respekt vor dem Meer, und sie hat ihm viel zu verdanken.
"Regina del mare" nennen sie die italienischen Restaurantkritiker. Alles, was aus dem Wasser kommt, verwandelt sie in kunstvoll arrangierte Köstlichkeiten. In dem Restaurant Il Bolina, das sie mit ihrem Bruder Fabio betreibt, serviert die Chefköchin Schwertfisch-Carpaccio, kross gegrillte Garnelenschwänze und mit Scamorza und Gemüse gefüllte Tintenfische. Ihre Gerichte sind ein Augenschmaus. Das Meer vor der Adriaküste des Salento, im Süden Apuliens, ist - im Gegenteil zu vielen anderen italienischen Fanggründen - noch nicht leergefischt. Deshalb bietet Immas Küche etwas Besonderes: frischen Fisch aus den heimischen Gewässern.
Imma Pantaleo, 52, ist eine der wenigen weiblichen Chefköche und Sommeliers Süditaliens. Bei regionalen Weinmessen oder Gastronomie-Events ist sie meist von Giovannis und Peppinos umringt und weit und breit die einzige Frau. "Es ist ein kulturelles Problem", sagt Imma. "Viele Frauen sind nicht gewohnt, sich mit Männern auszutauschen und zu messen. Ich habe da keine Hemmungen. Aber das liegt vielleicht an dem Job, den ich vorher gemacht habe." Bis vor acht Jahren war sie überall unterwegs, nur nicht in der Küche. Imma Pantaleo hat eigentlich Sozialwissenschaften studiert und dann viele Jahre mit problematischen bzw. drogenabhängigen Jugendlichen gearbeitet. Doch wer in Süditalien gegen die Drogenmafia kämpft, macht sich nicht nur Freunde. 2002 verließ sie Apulien und tauchte sozusagen in der Küche eines Restaurants nahe Rom unter. Später ging sie - als fast 45-Jährige - bei bekannten Chefkochs in ganz Italien in die Lehre, und in wenigen Jahren erreichte sie die hohe Kochkunst. Als ihr Bruder dann vor fünf Jahren mit drei Freunden ein Lokal aufmachen wollte, kehrte Imma zurück.
Heute ist Il Bolina ein Geheimtipp für Fischfans und Feinschmecker. Es ist aber auch ein Ort des persönlichen Widerstands von Imma Pantaleo, wo sie ihrem jugendlichen Personal etwas beibringen möchte, das ihnen eine Zukunft gibt. "Man kann die jungen Küchenhilfen nicht nur Kartoffeln schälen lassen. Ich versuche mehr aus ihnen herauszuholen, damit ihnen der Job Spaß macht. Denn eine große Auswahl haben sie hier nicht", sagt sie.
Die Arbeit und die Arbeitslosigkeit sind Themen, über die hier alle sprechen. Traditionell liegt die Beschäftigungsquote der Frauen in der armen Südregion mit 29 Prozent unter dem ohnehin niedrigen Landesdurchschnitt von 46,1 Prozent. Jetzt trifft die Krise die Ehemänner. Die wenigen Industriebetriebe sind kleine Unternehmen, die der globalen Konkurrenz nur selten standhalten. Deshalb überzeugen sich immer mehr Ökonomen und Unternehmer davon, dass die Zukunft Apuliens im Tourismus und im Anbau hochwertiger Nahrungsmittel liegt. Beide Branchen zeichnen sich aus durch einen hohen Anteil an weiblichen Arbeitsplätzen, davon noch ein Großteil in der Landwirtschaft.
Bereits heute kommen aus Apulien 40 Prozent des italienischen Olivenöls, 50 Prozent aller Mandeln, rund 30 Prozent der Gemüse- und Obstproduktion und 70 Prozent aller Tafeltrauben. Beim Wein macht es bislang eher die Masse als die Klasse. Nur 2 Prozent der rund zwölf Millionen Hektoliter Rebsaft wird zu Doc-Weinen ausgebaut. Dabei hätten die apulischen Trauben, nach Meinung von internationalen Experten, durchaus das Zeug zu Größerem.
Das hofft auch Annamaria Bello, 36. Sie arbeitet seit zehn Jahren auf den Weinfeldern des Herstellers Luigi Rubino, im Umland von Brindisi. "Wir sind besorgt wegen der Krise. Außer als Landarbeiterin gibt es für Frauen hier wenig Möglichkeiten, Geld zu verdienen", erklärt sie. Doch so wie es aussieht, muss sie sich darüber vorerst noch keine Sorgen machen. Ihr Chef ist ein aufgeschlossener Unternehmer, der mit seinen Weinen vor allem im Ausland Erfolg hat. Er baut ausschließlich einheimische Trauben wie Negroamaro, Primitivo, Malvasia nera, Malvasia bianca und Aleatico an. Bekannt wurde Rubino durch den prämierten Tropfen Visellio und durch sein Experiment, aus der in der Gegend von Brindisi weitverbreiteten Rebsorte Susumaniello einen Qualitätswein mit dem Namen Torre Teste zu machen.
Die Susumaniello-Trauben wachsen in Jaddico, einem der vier Weingüter der Familie Rubino. Die Felder liegen nur wenige hundert Meter von der Küste entfernt. Hier weht immer eine leichte Meeresbrise. Annamaria und ihre Kolleginnen kümmern sich von März bis Oktober um die Reben: vom Binden der Triebe bis zur Ernte im Herbst. Annamaria Bello liebt ihren Job, nur Hausfrau zu sein reicht ihr nicht. "Es gibt nichts Schöneres, als die Pflanzen wachsen zu sehen und schließlich die Früchte zu ernten", sagt sie. Im Team arbeitet auch ihre Schwester Cosimina, ihr Mann ist im Weinkeller beschäftigt. Wenn im Oktober die Arbeit der Frauen abgeschlossen ist, fängt die der Männer an. Auf diese Weise kommt jeden Monat ein Lohn ins Haus, der Annamaria, ihren Mann und zwei Kinder einigermaßen ernährt. Die Verträge sind immer nur auf die jeweilige Arbeitssaison befristet. Aber sie sind ordnungsgemäß nach Recht und Gesetz. Das bedeutet in der Realität Süditaliens, wo noch heute mafiose Vermittler Frauen und afrikanische Tagelöhner auf die Felder karren und ihnen schwarz einen Hungerlohn bezahlen, bereits ein Schritt nach vorn.
In Apulien tut sich was. Das findet auch Luisella Guerreri. Die 51-Jährige ist Ingenieurin und engagiert sich seit vielen Jahren für eine nachhaltige Bau- und Umweltpolitik. Nachhaltig bedeutet für sie auch sozial und frauenorientiert. Seit fünf Jahren ist sie zudem Beraterin der regionalen Verwaltung. Damals wurde der Linke Nichi Vendola zum Regionspräsidenten gewählt. "Es ist wie eine frische Brise. Wir haben zum ersten Mal die Politik im Rücken und können endlich langfristige Projekte planen", sagt sie. In den von der Bauspekulation hochgezogenen Vorstädten von Bari und Lecce gibt es heute Initiativen, die die Selbsthilfe und das unternehmerische Engagement der Frauen fördern. "Endlich realisieren wir moderne Konzepte, die über soziale Assistenz hinausgehen", so Luisella Guerrieri. Wie viele andere Frauen unterstützt sie die Kampagne Vendolas, der wieder für die Regionalwahlen kandidiert und keinen Hehl daraus macht, dass er schwul ist: "Wir werden so schnell keinen Politiker mehr bekommen, der so viel Sensibilität für unsere Probleme hat."
Das glaubt auch Chefköchin Imma Pantaleo. Aber sie sieht auch, dass die Jugendlichen anfällig sind für die Kultur der Illegalität und des schnellen Geldes, die sich in Süditalien ausgebreitet hat wie ein Geschwür. "Die Kultur und die Politik müssen sich gemeinsam ändern, sonst bleibt alles beim Alten", sagt sie. Und sie ist davon überzeugt: "Wenn diese kranke Kultur, die keine Zukunft bietet, hoffentlich einmal zusammenbricht, ist es das Verdienst der Frauen."
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