Debatte Homophobie im Reggae: One Love

Jamaikanische Reggae-Stars wie Sizzla rufen zur Gewalt gegen Schwule auf. Darum muss man es verhindern, dass sie in Europa auftreten.

Andere Länder, andere Sitten - so könnte man die Haltung des deutschen Reggae-Sängers Gentleman zusammenfassen, der sich in der taz (am 8. 4.) zu seinen homophoben Kollegen aus der Karibik geäußert hat. Gentleman meint, wir müssten es respektieren, wenn in anderen Kulturen Minderheiten unterdrückt werden.

Doch die Welt wird nicht besser, nur weil sie sich dreht. Schon sein Vergleich des Kopftuchzwangs im Iran und der Haltung des Vatikans zu Kondomen mit Aufrufen zu Gewalt und Mord durch Reggae-Großverdiener wie Sizzla zeigt deutlich, dass Gentleman eines nicht verstanden hat: Menschenrechte, und dabei vor allem das Recht auf Leben und auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, sind universell und auch nicht verhandelbar.

Wir akzeptieren es ja auch nicht, wenn Rassisten, Antisemiten, islamistische Hassprediger oder Holocaustleugner eine öffentliche Bühne in Deutschland dafür nutzen, zu Hass, Gewalt und Mord aufzurufen. Darum ist es nur konsequent, dass wir dort, wo wir die Möglichkeit dazu haben, auch gegen Reggae-Musiker wie Miguel Collins alias "Sizzla" vorgehen. In seinem Song "Nah Apologize" singt er etwa: "Rastaman dont apologize to no batty-boy / if yuh diss King Selassie mi gun shot yuh bwoy" - zu Deutsch: "ein Rastaman entschuldigt sich nicht bei Schwuchteln, wenn du King Selassie beleidigst, erschieße ich dich".

50, ist menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen und seit 1994 im Bundestag. Er lebt in Köln. Sein Einsatz trug dazu bei, dass der Reggae-Sänger Sizzla im Jahr 2008 ein europaweites Einreiseverbot erhielt.

Zwar hat auch Sizzla 2007 den "Reggae Compassionate Act" unterzeichnet, in dem sich jamaikanische Künstler verpflichteten, in ihren Songs auf schwulenfeindliche Aussagen zu verzichten. Das Problem ist nur: Er hält sich nicht daran. Und in einem Interview in Simbabwe distanzierte er sich im Februar 2010 offen von diesem Abkommen, das auf Druck der Kampagne "Stop Murder Music" zustande gekommen war. Seine Begründung: Er könne nicht aufhören, diese Lieder zu spielen, "da die Botschaft darin von den Menschen gehört werden müsse".

Dank einer aktiven Zivilgesellschaft schaffen wir es immer wieder, Aufrufe zu Hass und Gewalt zu unterbinden. Wie bei den Protesten gegen Neonazis, die Moscheegegner von "Pro Köln" oder den islamistischen Al-Quds-Tag schöpfen wir dafür alle juristischen Möglichkeiten aus. Der Protest auf den Straßen und im Internet zeigt, dass wir gewaltfrei und erfolgreich gegen Sizzla demonstrieren können. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, die Einstellung von Musikern wie ihm zu ändern. Wohl aber können wir verhindern, dass sie mit ihrem Hass auch noch Geld verdienen.

Letztlich ist es aber die Aufgabe des Rechtsstaats, hier abzuwägen. Dass Volksverhetzung in der Bundesrepublik strafbar ist, hat auch historische Gründe. Wer in der Bundesrepublik zum Mord an Schwarzen, Juden oder Homosexuellen aufruft, muss sich wegen Volksverhetzung vor Gericht dafür verantworten. Und Hasspredigern aus dem Ausland, die bei uns zu Mord und Gewalt aufrufen wollen, kann die Einreise verweigert werden. Das gilt für Sizzla und Co genauso wie für religiöse Eiferer jedweder Couleur.

Die Einreisesperre für den Schengenraum, die das deutsche Innenministerium auf Initiative des LSVD und von mir für das Jahr 2008 gegen Sizzla veranlassen ließ, wurde von der Bundesregierung inzwischen wieder aufgehoben. Doch für jemanden wie ihn, der offen für die Erschießung von Schwulen eintritt, hätte sie meiner Meinung nach jede Berechtigung.

Unser Engagement zeigt jedenfalls Wirkung: In Jamaika distanzieren sich namhafte Reggae-Künstler von homophoben Hasssängern; auf Konferenzen zur Zukunft des Reggaes wird öffentlich der Imageschäden beklagt, den einige wenige Künstler angerichtet haben. Der internationale Druck führt dazu, dass in Jamaika ein Umdenken beginnt. Zeitungen berichten über die Situation von Schwulen und Lesben, am vergangenen Mittwoch fand in Jamaika der erste Pride-Marsch statt, kurz: ein Tabu wird gebrochen.

Doch noch immer leben Homosexuelle auf Jamaika in ständiger Angst vor Übergriffen. Amnesty International berichtet regelmäßig von Hetzjagden auf Schwule und Menschen, die für schwul gehalten werden. Das liegt auch an einer Gesellschaft, die durch einen Rastafari-Glauben geprägt wird, der das Gebot der Nächstenliebe nicht für Schwule, Lesben und Transgender gelten lässt. Es lässt sich kaum bestreiten, dass Musiker wie Sizzla mit ihren Tiraden diese homophoben Stimmungen noch anheizen. Darum ist es vor allem ein Akt der Solidarität mit unseren Freundinnen und Freunden in Jamaika, wenn wir die Sänger, die zum Mord an Schwulen aufrufen, in Europa nicht dulden.

Natürlich darf man nicht alles auf die Goldwaage legen, was so in Reimform über die Mikrofone in die Kopfhörer anderer Menschen geht. Oft handelt es sich nur um großkotzige Angeberei und verbalen Schwanzvergleich, um sich selbst gegenüber anderen aufzuwerten. Das mag im Reggae oder Rap als "Competition" gelten. Nüchtern betrachtet ist es aber oft nichts anderes, als den vermeintlichen Gegner einer unterlegenen Minderheit zuzuschreiben und diese abzuwerten: so funktioniert gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Im Dancehall-Reggae und im HipHop sind es meist Frauen und Schwule, die im Namen der Kunst an monstergroßen Rappergeschlechtsorganen lutschen oder besonders hart anal penetriert werden. Das muss einem nicht gefallen, aber die Freiheit der Kunst wiegt im Zweifel schwerer als Fragen von Geschmack und Stil.

Naiv aber ist die Behauptung, die Hassgesänge von Reggae-Größen wie Sizzla seien lediglich metaphorisch zu verstehen. Leider zeigen die Morde an Schwulen in Jamaika immer wieder, dass diesen Worten auch ganz reale Taten gegenüberstehen.

HipHop und Reggae müssen nicht zwangsläufig so sein. Gerade von jenem Teil der HipHop- und Reggae-Szene, der sich so engagiert gegen Rassismus wehrt, kann man auch gegenüber anderen Formen von Menschenfeindlichkeit praktische Solidarität erwarten. Wer sich dem Kampf gegen Ausgrenzung und Hass verschrieben hat, der muss gegen all dessen Formen vorgehen. Immer im Ohr: "One Love!"

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.