die wahrheit: Der Neid des Hippokrates

Ich überlege, aus der Stadt rauszuziehen, habe aber seit einigen Tagen echte Bedenken. Auf dem platten Land sollte man zurzeit besser nicht alt werden, ...

... denn die ärztliche Versorgung findet in manchen Gegenden gar nicht mehr statt. Dort kann man verscheiden in Abgeschiedenheit. Mein Vater verzichtet schon auf Sonntagsausflüge ins Umland. Er sagt: "Wenn da was passiert unterwegs, da hast du nur noch die Freiwillige Feuerwehr für die Mund-zu-Mund-Beatmung!"

Was die Ärzte-Versorgung betrifft, sieht es in manchen Gegenden Deutschlands nicht besser aus als in Somalia oder in den Bergregionen Afghanistans. Da wo Deutschland noch Deutschland ist, also in den Provinzen, im Altmarkkreis Salzwedel oder in Mecklenburg-Strelitz oder in den Kreisen Regen, Rügen, Uckermark und Uelzen, da wohnt ja kaum noch jemand. Und da fehlen nicht nur die Tante-Emma-Läden, da fehlen vor allem dem Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler Ärzte. Darum will Minister Rösler nun eine Landarzt-Quote einführen.

Scheinbar ist es bei der Standortwahl für Mediziner weit attraktiver, in Köln, München und Düsseldorf die Vollgerauschten im Karneval und beim Oktoberfest notzuversorgen, als im Unterallgäu den Blutdruck zu messen. Da schielt der Landarzt offenbar mit dem Neid des Hippokrates auf die Metropolen.

Dabei haben Landärzte doch überschaubare Krankheitsbilder: Rücken verrenkt beim Erdbeerenpflücken oder Axt ins Bein beim Holzhacken - das passiert aber nur den Zugezogenen oder jenen, die "dringend mal den gelben Schein nötig haben". So hieß das jedenfalls bei uns früher, wenn wir uns "krank schreiben" ließen.

Wir hatten, Luxus pur, zwei Ärzte im Dorf. Zum einen ist man gegangen, wenn man wissen wollte, was man hatte (Doktor B.); zum anderen ist man gegangen, wenn man dringend "frei" brauchte (Doktor K). Doktor K. fragte nie: "Was haben Sie denn?" Doktor K. fragte immer nur: "Bis wann?"

Ich wundere mich, wie sehr die Werbung für den Beruf des Dorfarztes versagt hat, als ob es von "Schwarzwaldklinik" bis "Bergdoktor" keine Arztserien gegeben hätte. Andererseits - ist das wirklich so unverständlich? Da wartet so ein armer Abiturient möglicherweise mehrere Jahre auf einen Studienplatz, dann bekommt er den endlich, studiert, ist ein schlecht bezahlter, viel zu viel beschäftigter Assistenzarzt und dann, wenn es gerade reicht für Porsche, kleine Villa und zwei Sprechstundenhelferinnen, dann schickt man ihn nun hinaus in die Provinz?! Dorthin, wo man sich die Golflöcher noch selber buddeln muss! Jedenfalls wenn man nicht gerade einen Maulwurf im Garten hat. Nach Rheinland-Pfalz, in verschneite Schwarzwalddörfer oder in den tiefen Osten, also in Regionen, in denen ein Arzt nicht mal seinen Urlaub buchen würde!

Die Lösung ist eine andere. Soeben lese ich dazu den neuesten Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler: "Wer auf dem Land leben will, sollte Arzt werden!" Und wer Minister werden will, sollte sich vielleicht ein Hirn gönnen.

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kari

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