Guardian-Redakteur zu Wikileaks: „Erfolgreiche Träumer“
Der britische Investigativjournalist David Leigh über den Segen von Wikileaks – und die Gefahren, die den Machern in Zukunft drohen.
taz: Herr Leigh, vor zwei Jahren haben Sie Wikileaks einmal eine „obskure Gruppe von Träumern“ genannt. Was sagen Sie heute?
David Leigh: Ich würde Sie eine ziemlich erfolgreiche Gruppe von Träumern nennen (lacht).
Spätestens seit der Veröffentlichung des Bagdad-Videos, auf dem zu sehen ist, wie aus einem US-Hubschrauber Zivilisten getötet werden, ist Wikileaks weltweit bekannt. Hat die Presse- und Meinungsfreiheit eine neue Adresse: www.wikileaks.orghttp://www.wikileaks.org/?
Wir vom Guardian hatten schon vor der Veröffentlichung des Videos jeden Grund, den Wikileaks-Machern dankbar zu sein für die Erweiterung der Presse- und Meinungsfreiheit. In einem Fall hatten wir brisante Dokumente über die Barclays Bank; als wir diese auf unserer Internetseite veröffentlichten, wurden wir gerichtlich gezwungen, sie wieder herunter zu nehmen. Aber auf Wikileaks konnten sie erscheinen. Und dann war da natürlich noch der Trafigura-Fall.
Dabei ging es um einen geheimen Bericht, der einen Giftmüll-Skandal des Ölhändlers Trafigura in der Elfenbeinküste belegen sollte.
Auch da wurde uns mit juristischen Mitteln zunächst eine Berichterstattung untersagt. Nur durch Wikileaks ist öffentlich geworden, was das mächtige Schurkenunternehmen Trafigura unterdrücken wollte.
David Leigh ist einer der bekanntesten investigativen Journalisten Großbritanniens und arbeitet für die Tageszeitung "The Guardian". Mit seinen Recherchen hat er unter anderem Geheimzahlungen des Rüstungskonzerns BAE aufgedeckt. Seine Texte, Filmbeiträge und Bücher über den britischen Abgeordneten Jonathan Aitken und dessen Verwicklung in Rüstungsgeschäfte haben dazu beigetragen, dass dieser wegen Meineids sieben Monate im Gefängnis saß.
In dem Fall wurde Ihnen sogar verboten, über eine Parlamentsdebatte zu berichten, in der dieser Skandal behandelt wurde. Aber Wikileaks konnte niemand stoppen. Vorteil Wikileaks?
Sie haben einen technischen Vorteil. Niemand hat bisher offenbar einen Weg gefunden, den Service von Wikileaks lahm zu legen, der über Server auf der ganzen Welt verteilt ist. Der Arm des britischen Gesetzes erreicht sie jedenfalls nicht.
Wie wichtig ist Wikileaks für die Gesellschaft?
Die Behauptung der Macher, dass sie die Welt verändern werden, ist vielleicht ein wenig hochtrabend. Aber es besteht kein Zweifel, dass sie schon jetzt das Spiel verändert haben.
Zum Besseren?
Auf eine interessante Art.
Aber nicht zum Besseren?
Ich bin Journalist. Und deshalb würde ich sagen: Je mehr Information, desto besser.
Sie sind Redakteur bei einer guten, alten Tageszeitung. Ein Holzmedienmann, wie Blogger lästern würden. Haben Sie Angst, dass Projekte wie Wikileaks Sie irgendwann überflüssig macht?
Bisher hat mir Wikileaks nur bei meiner altmodischen Zeitungsarbeit geholfen. Dokumente, die wir nicht veröffentlichen durften, wurden öffentlich. Und wir konnten unsere Leser darauf hinweisen: Bei uns könnt Ihr das Dokument nicht lesen. Aber Ihr könnt es bei Wikileaks lesen.
Noch mal: Sie haben keine Angst, dass Wikileaks den althergebrachten Medien Konkurrenz macht?
Einerseits ja. Andererseits nein. Denn als Wikileaks angefangen hat, hatten sie die Idee, dass alles von alleine läuft. Dass Ihnen die Leute die Dokumente schicken und sich dann die Wahrheit schon ihren Weg bahnt. Tatsächlich braucht man aber nach wie vor klassische Medien und Journalisten, um diese Dokumente zu sichten, zu verifizieren und einzuordnen.
Das Video in Bagdad wurde von Wikileaks nicht nur in Rohform online gestellt. Es wurde bearbeitet, und allein der Titel „Collateral Murder“ ist eine klare Stellungnahme.
Das stimmt. Wikileaks hat sich hier gewandelt. Die Macher sagen: Hier ist das bisher geheim gehaltene Video - und das ist, was ihr darüber denken sollt.
Nämlich, dass es Mord war.
Das hätte ein Fernsehmagazin genauso machen können.
Stört Sie der Rollenwechsel?
Ich will Wikileaks von überhaupt nichts abhalten, was ihnen gefällt. Aber klar ist, dass sie an dieser Stelle Partei ergreifen, sie werden zu einer Art political partisan publisher. Das könnte manche Leute abschrecken, die eine andere Position vertreten.
Ein anderer Kritikpunkt ist, Wikileaks schere sich nicht um die Privatsphäre. So wurden zum Beispiel die Mitgliederlisten der rechtsextremen British National Party veröffentlicht – samt Namen und Adressen.
Die raison d'être von Wikileaks ist, alles zu veröffentlichen. Die Gefahren und die ethischen Fragen, die damit verbunden sind, liegen auf der Hand. Aber es ist ziemlich sinnlos, darüber zu diskutieren. Denn sie können offenbar nicht aufgehalten werden, zu tun, was sie tun. Es sei denn, jemand findet die technischen Mittel dafür. Bisher war das nicht der Fall.
Wie sicher kann eine Quelle sein, dass sie nicht enttarnt wird, nachdem sie Wikileaks Dokumente geschickt hat?
Ich bin kein technischer Experte. Aber ich nehme an, dass nichts zu 100 Prozent sicher ist vor den mächtigsten Nachrichtendiensten der Erde. Kein Code ist unknackbar. Aber so viel ich weiß, wurde noch kein Informant von Wikileaks enttarnt.
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