Die Trends für Gewerkschaften: Mindestlohn und Marken-Image
Die Jobwelt wird flexibler, die Bindung an die DGB-Gewerkschaften schwindet, das Mindestlohn-Dilemma – fünf Trends, auf die sich die Gewerkschaften einstellen sollten.
BERLIN taz | Der DGB und seine acht Mitgliedsgewerkschaften leiden unter einem Widerspruch, der typisch ist für die traditionellen Arbeitnehmerorganisationen. Je mehr Erwerbstätige in flexiblen Jobverhältnissen ackern, desto weniger können sie von den herkömmlichen Kampfformen der Gewerkschaften profitieren. Fünf Trends machen den Gewerkschaften zu schaffen:
1. Unbefristete Vollzeitstellen werden rarer und damit der Pool, aus dem sich Gewerkschaftsmitglieder vor allem rekrutieren.
40 Millionen Erwerbstätige gibt es in Deutschland, doch nur 22 Millionen haben sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen, Tendenz fallend. Davon sind überdies mehr als 600.000 Zeitarbeiter. Jeder Zehnte hat nur einen befristeten Vertrag. Und ein Drittel bis die Hälfte der Arbeitnehmer unterliegt gar keinem Tarifvertrag. Angesichts dieser Entwicklungen ist eine Mitgliederzahl von noch 6,3 Millionen bei den DGB-Gewerkschaften gar nicht so schlecht. Auch wenn es im Jahre 2000 noch 7,8 Millionen waren. Betriebsräte der IG Metall müssen sich anpassen - und verhandeln heute wie Co-Manager vor Ort über Öffnungsklauseln, Lohnverzicht, Beschäftigungsgarantien.
2. Arbeitskämpfe sind in den neuen Beschäftigungsformen, etwa der Zeitarbeit und der Solo-Selbständigkeit, kaum zu organisieren.
Unter den offenen Stellen ist fast jede fünfte nur noch ein Job in der Leiharbeit, heißt es bei der Bundesarbeitsagentur. Unter den Selbständigen ist jeder zweite Alleinunternehmer. Und das oft aus Not. In Deutschland gibt es eine heterogene Masse der Schwachen, für die Gewerkschaften einen Schutz organisieren müssen. Die Gewerkschaft Ver.di hat ein eigenes Referat für Selbständige und bietet für Mitglieder eine kostenfreie Beratung von Solo-Selbständigen an. Die IG Metall setzt sich in einer neuen Kampagne für die Gleichbehandlung von Zeitarbeitern und Stammbelegschaften ein.
3. Beschäftigtengruppen, die viel Durchsetzungskraft zusammenbringen, organisieren sich lieber in kleinen Berufsgewerkschaften.
In den vergangenen Jahren scherten kleine Gruppen wie Klinikärzte und Piloten mit dem Marburger Bund und der Vereinigung Cockpit aus den DGB-Gewerkschaften aus und kämpften eigenständig für höhere Entgelte. Das lässt die großen DGB-Gewerkschaften schwach aussehen. Diese Abwanderung betrifft allerdings vergleichsweise kleine Mitgliedergruppen. Und die öffentliche Meinung betrachtet die hohen Tarifforderungen der "unentbehrlichen Berufsgruppen" kritisch.
4. Der Lohnkampf hat sich auf die politische Ebene verlagert mit dem Streit um einen gesetzlichen Mindestlohn.
Eine gesetzliche Lohnuntergrenze ist auch eine Forderung der DGB-Gewerkschaften; käme sie, wäre das ein Erfolg auch der Gewerkschaften. Nach Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns müssten die DGB-Gewerkschaften aber versuchen, mehr für ihre Mitglieder herauszuholen, "um quasi ihre Existenzberechtigung nachzuweisen", sagt der Erlanger Gewerkschaftsforscher Claus Schnabel. Das könnte schwierig werden.
5. Die politisch-moralische Bindung an Gewerkschaften schwindet.
Arbeitnehmer müssen monatlich ein Prozent des Bruttolohnes als Beitrag an die Gewerkschaft zahlen. Erkämpfte Tariferhöhungen aber kommen allen Beschäftigten zugute. Wer keine emotionale Bindung an die Gewerkschaft hat, sieht daher oft nicht ein, Mitgliedsbeitrag zu zahlen. Wichtig ist also das "Marken-Image" der Gewerkschaften. Sie versuchen, für Mitglieder mehr Service zu bieten in Form von Beratungen, Netzwerken im Web. Umstrittene "Flash Mob"-Aktionen, wo etwa der Verkauf im Einzelhandel im Rahmen von Streikaktionen gestört wurde, sollen Aktivisten-Appeal verbreiten und Jüngere ansprechen. "Wenn man jemanden in einer frühen Phase seines Erwerbslebens nicht dazu bringt, einer Gewerkschaft beizutreten, wird es ganz schwer, ihn jemals zu organisieren", sagt Schnabel.
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