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Museumsleiter Michael Haverkamp"Zur Arbeit im Moor gezwungen"

15 Moor-Lager hatten die Nazis im Emsland eingerichtet, im benachbarten KZ Börgermoor entstand das Lied von den "Moorsoldaten". Michael Haverkamp, Leiter des Emsland Moormuseums in Geeste, will in seiner neuen Ausstellungshalle zeigen, wie die Torfindustrie von den Zwangsarbeitern profitierte. Das Thema sei bundesweit noch gar nicht beforscht, sagt er.

taz: Herr Haverkamp, die jüngst eröffnete neue Ausstellungshalle Ihres Museums widmet sich der Entwicklung der Moore seit 1930, eine Abteilung zur Nazi-Zeit fehlt aber bislang. Warum?

Michael Haverkamp: Weil die Forschungsarbeiten über KZ und Zwangsarbeitslager im Moor gerade erst begonnen haben. Das Thema ist bundesweit noch überhaupt nicht beforscht, in keinem deutschen Museum ist das Thema präsent. Wir sind also die Ersten und werden wohl drei bis vier Jahre brauchen. Danach werden wir das zugehörige Ausstellungsareal gestalten.

Im Zentrum dieses Areals sollen Zwangsarbeiter in der Torfindustrie stehen?

Ja. Da während des Dritten Reichs sämtliche Industrien von Zwangsarbeitern profitiert haben, wird die Torfindustrie keine Ausnahme gewesen sein. Die Nazis hatten ab 1933 insgesamt 15 Emslandlager eingerichtet, in denen Menschen kaserniert und zur Arbeit im Moor gezwungen wurden. In dem Zusammenhang entstand übrigens auch das Lied von den "Moorsoldaten". Häftlinge des KZ Börgermoor bei Papenburg haben es gedichtet. In welchem Umfang die Torfindustrie von den Zwangsarbeitern profitiert hat, werden allerdings erst unsere Forschungen erweisen. Abgesehen davon beforschen wir natürlich auch andere Themen.

Zum Beispiel?

Uns interessiert vor allem die wirtschaftliche Entwicklung des Moors. Das Moor ist ja ein höchst umstrittenes Gebilde.

Warum?

Weil hier immer Wirtschaftlichkeit und Naturschutz konkurrieren. Bis in die 50er Jahre hinein hat man noch Schwarztorf für die Beheizung der Häuser oder für Torf-Stromkraftwerke genutzt. Weißtorf wurde in der Landwirtschaft gebraucht - als Einstreu für die Pferde zum Beispiel. Die letzten Torfkraftwerke wurden in den 1970er Jahren abgeschaltet. Da hat die Torfindustrie neue Absatzmärkte gesucht - und gefunden: In einigen Bereichen gibt es bis heute keine Alternative zu Torf.

Michael Haverkamp, 50

ist Historiker mit den Schwerpunkten Stadtentwicklung und Sozialgeschichte und leitet das Emsland Moormuseum seit 2003. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Osnabrücker Museum für Industriekultur.

Nämlich?

Im industriellen Erwerbsgartenbau - genauer: in der Großgemüseproduktion. Dort ist es extrem schwierig, mit Ersatzstoffen das gleiche Ergebnis zu erzielen wie mit Torf. Aber genau das ist der strittige Punkt: Naturschützer behaupten, es gäbe durchaus Alternativen. Auch diesem Konflikt zwischen Naturschutz und dem technischen Torfabbau wollen wir eine Abteilung in der neuen Ausstellungshalle widmen, wenn unsere Forschungen abgeschlossen sind.

Wie lange dauert es, ein Moor urbar zu machen?

Jahrzehnte. So ein Moor ist ja acht bis neun Meter tief. Zuoberst liegt - zwei Meter tief - Weißtorf, darunter Schwarztorf. Das muss man behutsam Schicht für Schicht abtragen. Die Verträge, die die Emsland GmbH beziehungsweise das Land Niedersachsen in den 1950er Jahren mit den Torf-Abbauern geschlossen hat, gelten teils noch bis 2020, 2030. Ökologisch dachte man damals noch nicht, Moor galt als "Ödland", und das galt es in Zeiten der Nahrungsknappheit nutzbar zu machen.

Das heißt, es wurden Menschen im Moor angesiedelt.

Ja.

Wie ist so eine Ansiedlung überhaupt möglich?

Es gibt im Moor immer mal wieder trockene Bereiche - etwa, wenn irgendwo ein Sandrücken hochkommt. An solchen Stellen können dann auch schon mal Birken oder Heidekraut wachsen. Die Bauern der Moorrandgebiete haben auch schon in früheren Jahrhunderten die Trockengebiete der Moore genutzt, um ihr Vieh dort zu weiden.

Wie wohnte sichs im Moor?

Miserabel. Die Menschen haben in Hütten aus Birkenreisig gehaust, es war immer feucht, und der nährstoffarme Moorboden bot ein sehr karges Auskommen. Das besserte sich erst um 1840, als man die Moore systematisch zu entwässern begann.

Wenn man Moore konsequent schützte: Würden sie größer oder kleiner?

Da man sie nicht vor dem Klimawandel schützen kann, wachsen sie schon seit Jahrzehnten langsamer und werden damit trockener. Es gibt allerdings immer immer noch Moore, die etwas schneller wachsen. Das sind Restmoorkörper, die inzwischen auch unter Naturschutz stehen.

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