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Bahnhofs-Abrissarbeiten haben begonnenTag X in Stuttgart

Es ist so weit: Am Nordflügel des Stuttgarter Bahnhofs haben am Mittwochnachmittag massive Abrissarbeiten begonnen. Ehemaliger Architekt warnt unterdes vor Überschwemmung.

Proteste gegen den Abriss, der Mittwoch Nachmittag begonnen hat. Bild: dpa

STUTTGART taz | Der lange erwartete "Tag X" ist da: Am Mittwochnachmittag haben am Nordflügel des Stuttgarter Bahnhofs massive Abrissarbeiten am Mauerwerk begonnen. Die Gegner des umstrittenen Plans, den bisherigen Kopfbahnhof durch einen unterirdischen Durchgangsbahnhof zu ersetzen, riefen darauf via SMS und Internet Alarm aus. Innerhalb kürzester Zeit füllte sich der Platz vorm Nordflügel mit mehreren hundert DemonstrantInnen.

"Aufhören" und "Lügenpack" riefen sie unter dem ohrenbetäubenden Lärm von Trillerpfeifen und Vuvuzelas. "Das Polizeiaufgebot ist jedoch so massiv, dass wir am Nordflügel nichts machen können", sagte Fritz Mielert, einer der Sprecher der Initiative "Parkschützer". Einige Demonstranten haben deshalb ihren Protest auf die Straße verlagert und den Verkehr blockiert. Für den Abend riefen die Gegner zu einer Großdemonstration auf.

"Wie ein U-Boot aus dem Meer"

Unterstützung bekommen sie unterdessen vom einstigen Mitarchitekten des neuen Tiefbahnhofs, Frei Otto. Es gehe um "Leib und Leben", warnte er im Stern. Das Mammutprojekt berge große Gefahren, deshalb müsse man "die Notbremse ziehen". Zusammen mit Christoph Ingenhoven hatte Frei Otto 1997 den Architekturwettbewerb für Stuttgart 21 gewonnen. Anfang 2009 schied er jedoch aus dem Projekt aus. "Mit dem Wissen von heute kann ich dieses Projekt nicht mehr verantworten", sagt er.

Das Problem, vor dem Otto warnt, ist Stuttgarts Untergrund: Dieser ist voller Wasser und Quellen sowie Gipsschichten mit hohem Anhydridanteil. Dabei handelt es sich um ein Mineral, das in Verbindung mit Feuchtigkeit sehr stark aufquillt. Und das bei einer Stadt, die über das zweitgrößte Mineralwasservorkommen in Europa verfügt.

Laut Otto könnte der Bahnhof eventuell überschwemmt werden oder "wie ein U-Boot aus dem Meer" aufsteigen. Er hatte bereits früher Warnungen an offizielle Stellen gerichtet, doch die Kritik wurde abgeschmettert. Auch sein einstiger Mitstreiter Ingenhoven hatte am Montag erklärt, Otto sei "weder qualifiziert noch geeignet", die Risiken zu beurteilen.

Indes bestätigt ein Gutachten die Bedenken Ottos. Eine Studie des Ingenieurbüros Smoltczyk & Partner aus dem Jahr 2003, das bisher nur wenigen bekannt gewesen sei, belege, dass Bauarbeiten in dem Grund enorm schwierig würden, berichtet der Stern. Der Tübinger Geologe Jakob Sierich, der das Gutachten für das Magazin analysiert hat, kommt zu dem Schluss: "Bei Stuttgart 21 geht es nicht um mögliche Risse in Häusern, es geht um mögliche Krater, in denen Häuser verschwinden können. Es geht um Menschenleben."

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15 Kommentare

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  • V
    vic

    von Tania:

    Kann man bitte jetzt schon mal bestimmen, wer dann dafür verantwortlich gemacht werden kann? Liebe Journalisten, fragt doch mal nach, wer von den Machern von S21 garantiert, dass nichts passiert, das hätte ich gerne schriftlich von den Herren. Ich bin entsetzt, dass, obwohl es nun genügend unabhängige Gutachten gibt, nicht mal die Presse von diesem Skandal angemessen berichtet. Müssen erst Menschen sterben, dass es eine Schlagzeile wert ist? Kann der Journalismus nicht mal vorbeugend sein?

    Die Projektgegner haben jetzt schon so viel Zeit, Geld und Nerven investiert, alles unentgeltlich und unabhängig. Warum wird trotzdem noch den Profiteuren von S21 geglaubt? Es gibt Leute, die an Katastrophen viel Geld verdienen, insbesondere die Bauindustrie.

     

    Ich wette die Verantwortlich haben vorgesorgt, und den Transfer ihres Profits an einen sicheren Ort bereits veranlasst, einen Ort ohne Auslieferungsabkommen.

    Und Mappus wird hoffentlich im Frühjahr abgewählt.

    Vielleicht kann ja das Schlimmste noch verhindert werden, verzögert durch Protest und schlechteres Wetter das Grabungen vorerst verhindert.

  • JR
    Josef Riga

    Wenn die Bürger immer erst dann zur Trillerpfeife greifen, wenn die Planung eines Bauvorhabens praktisch abgeschlossen ist, sind sie selbst schuld, wenn sie nichts mehr aendern können. Irgendwie muss es ja in einer komplexen Gesellschaft auch noch möglich sein, ordnungsgemäß ein Projekt zu planen, und -wenn es dann politisch gewollt wird- auch durch zusetzen. im übrigen kann ich mich über den Teilabriss des monströs hässlichen Bonatzbaus nicht so sehr aufregen. Es werden ja nur die Seitenflügel gekappt. Das stadtbildprägende Mittelensamble mit dem uhrturm bleibt den Stuttgartern ja erhalten.

    die Firma Märklin hat diesem Bahnhof in den dreißiger Jahren aus Blech ein würdiges Denkmal gesetzt: Kosten des Spielzeugs heute ca. 4000-8000 Euro.

  • RS
    rotes Sternchen

    Die Kölner U-Bahn inklusive Stadtarchiv lassen grüßen.

    Wieso lernen manche Leute nicht aus Fehlern?

     

    Nen schönes Besispiel für das Funktionieren der Demokratie hier isses obendrein.

  • T
    Tania

    Kann man bitte jetzt schon mal bestimmen, wer dann dafür verantwortlich gemacht werden kann? Liebe Journalisten, fragt doch mal nach, wer von den Machern von S21 garantiert, dass nichts passiert, das hätte ich gerne schriftlich von den Herren. Ich bin entsetzt, dass, obwohl es nun genügend unabhängige Gutachten gibt, nicht mal die Presse von diesem Skandal angemessen berichtet. Müssen erst Menschen sterben, dass es eine Schlagzeile wert ist? Kann der Journalismus nicht mal vorbeugend sein?

    Die Projektgegner haben jetzt schon so viel Zeit, Geld und Nerven investiert, alles unentgeltlich und unabhängig. Warum wird trotzdem noch den Profiteuren von S21 geglaubt? Es gibt Leute, die an Katastrophen viel Geld verdienen, insbesondere die Bauindustrie.

  • S
    Susanna

    tja, manchmal wäre ein Volksentscheid die bessere Lösung.

     

    Keine Ahnung wie gefährlich das wirklich ist aber die Architektur des geplanten Bahnhofs sieht schon scheußlich genug aus um den Bau abzublasen.

  • O
    otto
  • K
    Kretschmann

    Die StutgarterInnen erleben einen überheblichen und demokratisch höchst unsensiblen Akt herrschender parlamentarischer Politik & kapitalen Privatinteressen. Sie lernen in wenigen Wochen, was andere bereits bei der Startbahn West in Frankfurt/M. erlebten, was die Wendländer seit Jahrzehnten erleben, was Menschen in diesem Land erleben müssen, wenn der Staat und der Landkreis und die Stadt nicht den Interessen der dort lebenden Menschen im Sinn hat, sondern ganz andere und sie erleben, wie Demokratie verkehrt wird und das Gewaltmonopol des Staates missbraucht. Hoffentlich merken sie sich das, hoffentlich lassen sie sich nicht einschüchtern und verziehen sich wieder in ihre Wohnzimmer, sondern werden mutiger, aufmüpfiger und politisch sensibilisiert gegenüber dem was Politik, Medien und Konzerne Ihnen alles so erzählen.

     

    Es mag komisch klingen, aber genau das haben wir 1989 in der DDR erfahren - die Zeit der Betonköpfe sollte vorbei sein, für immer und nun sehen wir, es gibt sie wieder überall. Schluss damit! Solidarität nach Stuttgart aus Berlin!

  • A
    ausländer

    http://webcam.schrem.eu/

    Webcam vor dem Nordflügel

  • S
    Stuttgarterin

    Welche interessanten Gutachten liegen wohl noch in den Schreibtischen der Verantwortlichen?

     

    Mit aufquellendem Erdreich hat man in der Stadt Staufen in Baden ja bereits weitreichende Erfahrungen gemacht. Hier sind es "nur" Risse an Gebäuden nach Erdwärmebohrungen.

     

    Die Schwaben können alles ... also vielleicht auch noch tiefere Löcher als das in Köln. Man ist auf dem besten Weg.

  • SB
    Sören Bauer

    jaa..der umweltschutz..ich finde es einfach nur krass, was dieses projekt jetzt schon für kosten verschlungen hat..und es steht noch kein einziger stein des neues bahnhofes..habe eben eine interessante debatte zuum thema umweltschutz entdecht:

     

    http://www.theeuropean.de/debatte/3990-naturschutz-um-jeden-preis

  • W
    Wolfgang

    Hat man immer noch nicht daraus gelernt, das Engstirnigkeit zu einem Chaos führt? Und anschließend will es wieder niemand gewesen sein.

    "Tut uns ja sooooo leid!"

  • D
    DerPestbeamte

    Und die Kosten für das Polizeiaufgebot werden sich wohl nicht positiv auf die bereits gestiegenen Baukosten auswiken.

     

    Da sollte man sich überlegen, wofür und warum man überhaupt noch dort demonstriert, wenn durch die Demos genau das passiert gegen das die Leute demonstrieren, nämlich eine Kostensteigerung bei dem bau.

     

    Naja was solls, ich denke mal der Zug ist abgefahren, das ding wird gebaut und in 3-4 Jahren sind alle Stuttgarter unheimlich Stolz auf ihren tolen hypermodernen Bahnhof

  • T
    topomoos

    Und die Antwort der Politik? Vor 40 Minuten hat hier in Stuttgart der Bahnhofsabriss begonnen.

  • A
    ausländer

    Danke Frei Otto!!!

     

    Na hoffentlich sieht OB Schuster endlich ein, Stuttgart21 zu stoppen. Lieber die Vertragsstrafen zahlen als zuzuschauen wie Stuttgart platt gemacht wird...oder rechnete er damit, dass somit noch mehr gewinnbringendes "Bauland" entstehen könnte???

  • K
    kotelette

    Ich glaube es handelt sich um Dr. Jakob SieriG und nicht um Dr. Jakob SieriCH aus Tübingen.

     

    http://www.youtube.com/watch?v=TfOmNl_Rs2Y