Jubiläumsshow von Einstürzende Neubauten: Wie romantisch sie waren

Eyeliner, Baggerschaufel und Gourmetwampen: Einstürzende Neubauten haben ihr 30-jähriges Bestehen mit einem Doppelkonzert in der Berliner Columbiahalle gefeiert.

Kann immer noch so schreien, dass die Biergläser im Publikum zerspringen: Blixa Bargeld. Bild: dpa

So viel kann passieren in 30 Jahren. Man kann erwachsen, arm, reich oder müde werden, Kinder kriegen, die sogar schon aus dem Haus oder noch ganz klein sind. Der Bauchumfang wächst, die Haare fallen aus. Die Wut auf das Leben kantappert den gleichen Bach runter wie die Lust.

Vor 30 Jahren stand die Mauer noch als Bollwerk zwischen den Systemen, vor 20 Jahren musste sie weg, jetzt malen sich die Menschen begeistert Deutschlandfarben auf die Wangen, und jeder kann im Netz recherchieren. 1980 plumpsten deutsche Texte auf anderen Ackerboden als 2010: Zwischendurch gab es NDW, Hamburger Schule und Techno, Globalisierung, Internet und Samples.

Die Einstürzenden Neubauten stehen für 30 Jahre Entwicklung. Als sie sich 1980 in Westberlin gründeten, malten sich der dünne Junge Blixa Bargeld und das schöne Mädchen Gudrun Gut die Augen mit Eyeliner an und erfanden zusammen mit N.U. Unruh und Beate Bartel aus einer klaustrophobischen Szene heraus mal eben ein industrielles Antimusikprojekt auf Blech. Der Krach stand archetypisch für den Sound der frühen Achtziger. Kurz zuvor war in Westberlin mit der taz eine linke Tageszeitung entstanden. In den deutschen Charts quälten einen Mike Krüger und die Gombay Dance Band. Die Tinte unter dem Nato-Doppelbeschluss war noch nicht trocken. Wir hatten euch was mitgebracht: Hass, Hass, Hass.

In Sogo Ishis Einstürzende-Neubauten-Doku "1/2 Mensch" von 1985 wurden neben japanischen Schriftzeichen die Geburtstage, Größen und das Gewicht der Bandmitglieder aufgeführt: Bargeld, 1959 geboren, ist 1,88 Meter groß und wog damals 60 Kilogramm. Am Sonntag, beim 30. Jubiläumskonzert in der Berliner Columbiahalle, ist er 51 Jahre alt, ummalt die Augen weiterhin mit Eyeliner, ein Gourmet-Ranzen wird unter feinem Tuch sichtbar. Bargeld kann immer noch so schreien, dass die Biergläser im Publikum zersprängen, wären sie nicht aus Plastik. Als jemand aus dem Publikum das 1980er Stück "Sehnsucht" fordert, brüllt Bargeld es ein paar Sekunden, der Bandrest hämmert dazu, dann ist Schluss. Man amüsiert sich über die eigene Haltung. Aus der Ecke von Alex Hacke, dem Küken der Originalbesetzung und jetzt auch immerhin Mitte 40, strömt permanent Energie auf die Bühne. Die Schlagwerker Rudolf Moser und N.U. Unruh lassen sich, anstatt zu sampeln, selbstverständlich ihre voluminösen Gebilde auf die Bühne karren - die wichtigste Intention war 1980 laut Bargeld, "kein normales Schlagzeug" zu verwenden. Moser trommelt natürlich auf einem überdimensionierten Stempelkarussell. Unruh lässt eine echte Baggerschaufel Metallstäbe abladen, wenn er einen Sound haben will, der klingt, als ob eine echte Baggerschaufel Metallstäbe ablädt. Der freundliche Gitarrist Jochen Arbeit streichelt sein Instrument zumeist mit dem E-Bow, einem Effektgerät, das lang anhaltende, elektronische Töne hervorbringt. Ash Wednesday evoziert am Keyboard für jeden Song die passende Stimmung.

Denn es ist vor allem ein Spiel mit Stimmungen, mit Befindlichkeiten - im Erwachsenenalter erkennt man klarer als damals, zu blinden Sturm-und-Drang-Zeiten, wie romantisch diese Band stets war. Es ging ihr musikalisch, und es ging Blixa mit seinen Texten so dermaßen um Gefühle, dass sich beim Konzert 2010 Frauen fast jeden Alters, ob mit olmekischem Neubauten-Logotattoo im Nacken oder nicht, mit geschlossenen Augen zu Bargelds Aperçus wiegten, als ob sie Balladen lauschten. Thema war zwar immer eher Ich als Wir, eher, was bei der richtigen Drogeneinnahme an Gedanken und Assoziationen aus einem rauswill, als reale Auseinandersetzung mit dem Draußen.

Bedeutungsvolles Rezitieren

Zwischenzeitlich haben Bargelds Texte und seine Attitude, das bedeutungsvolle Rezitieren, das theatralische Armfuchteln, das Nutzen sämtlicher Stimmlagen sich friedlich in eine zeitunabhängige, globale Bohemien-Philosophie-Welt verankert: Manche Textzeilen könnten auch von Ernst Jandl stammen. Wo einmal reine Wut war, ist heute öfter Witz. Dass bei "Lets do it à dada" Hugo Ball rezitiert wird, passt prächtig.

Öfter als früher muss man bei den vielen langsamen Stücken, bei "Susej" vom Album "Ende Neu", bei "Die Interimsliebenden" von "Tabula Rasa" an Psychedelic denken, an die Küchenpsychologie von Jim Morrison oder - wie in "Dead Friends" - die durch zarte Fender-Rhodes-Klänge unterstützte Anti-Rock-n-Roll-Pro-Dilettantismus-Haltung der frühen Modern Lovers. Wenn da nicht dieser extrem mitreißende Marschrhythmus wäre, dieses Brachialdeutsche. Das offensichtlich über die Grenzen hinweg faszinierend ist: In der vollen C-Halle parlieren unterschiedlichste Sprachen, die Salongigs der Jubiläumstour mit Freunden, Filmen und Lesungen sind allesamt längst ausverkauft.

2010 schockt niemand mehr, dass bei Biolek schwarzes Risotto gekocht wird, weil niemand mehr Fernsehen guckt. Bargeld füttert sein Ego mit gutem Essen und raucht auf der Bühne eine harmlose Kräuterzigarette, weil er den Rauch braucht, obwohl er vor zehn Jahren mit dem Rauchen aufgehört hat. Die Neubauten sind nicht stehen geblieben. Sie verändern sich mit Würde und Souveränität, ohne Jugendkluft anzubehalten, ohne eine Stadionband für mitgealterte Fans zu werden. Nick Cave hat gerade mit Grinderman vorgemacht, wie das in der zweiten Lebenshälfte geht. Die Einstürzenden Neubauten schaffen es auch.

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